Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Merkmalen des gesetzlich nicht bestimmten Begriffs "Wohnung" im Sinne des II. WoBauG gehört neben der nach objektiven Merkmalen zu beurteilenden Bestimmung und Eignung der Wohnung zur dauernden Wohnraumversorgung das subjektive Merkmal, daß der Eigentümer spätestens im Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit entscheidet, die Wohnung solle alsbald zur Führung eines selbständigen Haushalts genutzt werden.

2. Veräußert jemand eine Eigentumswohnung, ohne daß er sich der entsprechenden Nutzung des Erwerbers versichert, erfüllt er bei abweichender Nutzung durch den Erwerber nicht das Merkmal, daß die neugeschaffene "Wohnung" zur Wohnraumversorgung dient.

2. In Nordrhein-Westfalen hängt - anders als nach bayerischem Landesrecht (vgl. BFH-Urteil vom 26. Mai 1976 II R 155/71, BFHE 119, 504, BStBl II 1976, 726) - die für den Erwerb eines Grundstücks vorgesehene Grunderwerbsteuerbefreiung davon ab, daß bei der Bebauung die vorgeschriebene 66 2/3-v. H.-Grenze, bezogen auf die Grundfläche aller Räume, eingehalten wurde.

 

Normenkette

II. WoBauG allgemeiner Begriff “Wohnung”; GrEStWoBauG-Nordrhein-Westfalen 1970 § 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin hatte 1968 ein Grundstück gekauft und erklärt, auf dem Grundstück ein Gebäude mit steuerbegünstigten Wohnungen errichten zu wollen. Das FA (Beklagter) hatte den Erwerb von der Grunderwerbsteuer freigestellt. Die Klägerin errichtete ein Gebäude mit 14 Eigentumswohnungen, die nach den Ausmaßen grundsteuerbegünstigte Wohnungen sein konnten, und verkaufte die Wohnungen vor ihrer Fertigstellung. Acht Wohnungen mit 592 qm Wohnfläche wurden von den Käuiern zu Wohnzwecken, sechs Wohnungen mit 538 qm Fläche zu gewerblichen Zwecken genutzt.

Das FA unterwarf daraufhin den gesamten Erwerb der Grunderwerbsteuer, weil nicht mehr als 66 2/3 v. H. der Grundfläche grundsteuerbegünstigte Wohnungen enthalte. Die Klägerin wandte ein, sämtliche Wohnungen entsprächen den Anforderungen des sozialen Wohnungsbaues. Die Nutzung durch die Käufer sei deshalb für die Frage, ob eine Nachversteuerung in Betracht komme, unbeachtlich. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die bloße Eignung von Eigentumswohnungen, steuerbegünstigte Wohnungen sein zu können, verleihe ihnen noch nicht den Charakter von eigengenutzten Eigentumswohnungen.

Das FG hob den Grunderwerbsteuerbescheid auf. Das von der Klägerin errichtete Gebäude habe im Zeitpunkt seiner Fertigstellung "ausschließlich Raumeinheiten, die mit Badezimmer und Küche ausgestattet waren und die nach ihrer bei der Planung und Errichtung des Gebäudes getroffenen Zweckbestimmung als Wohnungen anzusehen waren", enthalten. Mit der "bezugsfertigen Erstellung" habe die Klägerin den steuerbegünstigten Zweck erfüllt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage als unbegründet.

Steuerfreiheit für den Erwerb eines Grundstücks zur Aufteilung in Wohnungseigentum spricht das Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG-Nordrhein-Westfalen) vom 20. Juli 1970 (GVBl NW 1970, 620, BStBl I 1970, 989) in § 1 Nr. 2 Buchst. c aus. Diese für Zwischenerwerbe zur Schaffung von Wohnungseigentum vorgesehene Begünstigungsvorschrift ist hier nicht einschlägig.

Von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz ist u. a. ausgenommen der Erwerb eines ... Grundstücks ... zur Errichtung eines Gebäudes, dessen anrechenbare Grundfläche aller Räume (Wohn- und Nutzfläche) zu mehr als 66 2/3 v. H. auf Wohnungen und Wohnräume entfällt, die ... grundsteuerbegünstigt oder ... öffentlich gefördert oder als steuerbegünstigt anzuerkennen sind (§ 1 Nr. 1 GrEStWoBauG-NW - 1970).

Für das während des zeitlichen Geltungsbereichs des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) errichtete Gebäude genügt es zwar, daß die materiellen Voraussetzungen für eine Gewährung der Grundsteuerbegünstigung vorliegen, ohne daß sie tatsächlich in Anspruch genommen sein muß (vgl. Urteil des BFH vom 22. März 1972 II R 121/68, BFHE 105, 515, BStBl II 1972, 637; Boruttau/Klein, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 10. Aufl., Anhang, Rdnr. 987 S. 1811). Ob eine Grundsteuerbegünstigung gewährt werden kann, hängt aber davon ab, ob die Wohnung steuerbegünstigt ist. Eine steuerbegünstigte Wohnung i. S. des Zweiten Wohnungsbaugesetzes liegt vor, wenn sie zur dauernden Wohnraumversorgung geeignet und bestimmt ist und die Merkmale aufweist, die das Gesetz zu ihrer Begriffsbestimmung aufgestellt hat. Zu den Merkmalen des gesetzlich nicht bestimmten Begriffs "Wohnung" gehört neben der nach objektiven Merkmalen zu beurteilenden Bestimmung und Eignung der Wohnung zur dauernden Wohnraumversorgung das subjektive Merkmal, daß der Eigentümer spätestens im Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit entscheidet, die Wohnung solle alsbald zur Führung eines selbständigen Haushalts genutzt werden (vgl. Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender, Wohnungsbaurecht, Zweites Wohnungsbaugesetz, Bd. 2, § 82 Anm. 4.1, S. 9; Urteile des BVerwG vom 14. November 1968 VIII C 65/65, BVerwGE 31, 50, Bundesbaublatt 1969 S. 288 - BBauBl 1969, 288 -; vom 26. August 1971 VIII C 42/70, BVerwGE 38, 286, BBauBl 1972, 573; vom 30. Januar 1974 VIII C 182/71, BVerwGE 44, 327, BBauBl 1974, 526; vom 13. August 1975 VIII C 95/73, BVerwGE 49, 95, BBauBl 1976, 144; vom 13. August 1975 VIII C 69/74, BBauBl 1976, 142; vom 3. Dezember 1975 VIII C 20/70, BVerwGE 50, 29, BBauBl 1977, 80).

Räume, wie sie hier errichtet worden sind, sind regelmäßig sowohl als Wohnungen wie auch als gewerbliche Räume nutzbar. Ihre Zuordnung zur begünstigten oder nichtbegünstigten Fläche und damit die Entscheidung, ob der begünstigte Zweck erfüllt wurde oder nicht, hängt infolgedessen davon ab, ob die Räume tatsächlich zur Nutzung zu Wohnzwecken bestimmt und damit grundsteuerbegünstigt oder aber zu gewerblichen Zwecken bestimmt und damit nicht grundsteuerbegünstigt sind. Die Klägerin hat die Wohnungen noch vor ihrer Fertigstellung an Personen verkauft, die sie nicht zur Führung eines selbständigen Haushalts, sondern zu gewerblichen Zwecken erworben haben. Das Zweite Wohnungsbaugesetz zählt aber gewerblich genutzte Wohnungen nicht zu den durch die Gesetzgebung begünstigten Wohnungen.

Veräußert jemand eine Eigentumswohnung, ohne daß er sich der entsprechenden Nutzung des Erwerbers versichert, erfüllt er bei abweichender Nutzung durch den Erwerber nicht das Merkmal, daß die neu geschaffene "Wohnung" zur Wohnraumversorgung dient, und zwar gleichgültig, ob er die Nutzung des Erwerbers zu gewerblichen Zwecken kennt oder nur in Kauf nimmt.

Die Gestaltung von § 1 Nr. 1 GrEStWoBauG-NW 1970 läßt es zwar allenfalls zu, bei der Frage, ob der steuerbegünstigte Zweck erfüllt wurde, die Tatsache der Einraumung des Wohnungseigentums außer Betracht zu lassen, nicht aber, darüber hinaus den Wortlaut der Bestimmung auch noch insoweit außer acht zu lassen, als auch die 66 2/3-v. H.-Grenze nicht eingehalten zu sein braucht.

Der Senat hat zwar im Urteil vom 26. Mai 1976 II R 155/71 (BFHE 119, 504, BStBl II 1976, 726) entschieden, daß der Zwischenerwerb zur Errichtung von Eigentumswohnungen insoweit grunderwerbsteuerbegünstigt ist, als Eigentumswohnungen geschaffen werden, die ihrerseits grundsteuerbegünstigt sind. Die Entscheidung ist aber zum Gesetz über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG) Bayern 1958 ergangen. In ihr hat der Senat gefolgert, aus dem Zusammenhang der verschiedenen bayerischen Befreiungsvorschriften (Art. 1 Nr. 1 Buchst. a und c sowie Art. 1 Nr. 3 Buchst. d GrESWG Bayern 1958) ergebe sich, daß nach ihrem Sinn und Zweck der Zwischenerwerb im Hinblick auf den späteren, begünstigten Erwerb und in seinem Rahmen begünstigt werden sollte. Er hat insoweit die im bayerischen Gesetz in Art. 1 Nr. 1 Buchst. a GrESWG Bayern 1958 enthaltene 80-v. H.-Grenze, die sich ebenso wie die im nordrhein-westfälischen Gesetz auf die anrechenbare Grundfläche bezieht, als für die einzelne Eigentumswohnung geltend beurteilt. Eine solche Folgerung kann für das Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau Nordrhein-Westfalen 1970 indes nicht gezogen werden. Denn das nordrhein-westfälische Gesetz hat für den Zwischenerwerb eines Grundstücks zur Aufteilung in Wohnungseigentumsrechte und die anschließende Weiterveräußerung die besondere Regelung in § 1 Nr. 2 Buchst. c GrEStWoBauG-NW 1970 getroffen, die eine Begünstigung für Zwischenerwerbe von Grundstücken nur bei ihrer gewinnlosen Weiterveräußerung an Erwerber vorsieht, die ihrerseits auf dem Grundstück eigengenutzte Eigentumswohnungen errichten. Ein solcher Fall liegt indes - wie bereits eingangs erwähnt - nicht vor. Weitere Begünstigungen des Zwischenerwerbs im Hinblick auf die Schaffung von Eigentumswohnungen, wie sie im bayerischen Landesrecht vorhanden waren und zur Auslegung herangezogen werden konnten, fehlen im Landesrecht Nordrhein-Westfalen.

Der Einwand der Klägerin, der Veräußerer von Wohnungseigentum habe keinen Einfluß darauf, wie der Erwerber sein Eigentum nutzt, vermag zu keiner Auslegung entgegen dem Wortlaut des Gesetzes zu führen. Es trifft schon nicht zu, daß derjenige, der die Wohnungseigentumsanlage errichtet und ihre Wohnungen veräußert, einflußlos auf die Nutzung des Erwerbers sei. Es ist ihm unbenommen, schon bei der Einräumung des Wohnungseigentums die Erwerber und deren Nachfolger grundbuchrechtlich gesichert zur nichtgewerblichen, rein wohnlichen Nutzung des Sondereigentums zu verpflichten (vgl. §§ 10, 15 des Wohnungseigentumsgesetzes), oder dies mindestens dem ersten Erwerber aufzuerlegen, wenn ihm dies erforderlich erscheint, um eine Steuerbegünstigung zu sichern. Unterläßt er dies, kann er sich nicht den steuerlichen Folgen (Nachversteuerung) mit der Begründung entziehen, er habe auf die Nutzung der Wohnungen durch die Erwerber keinen Einfluß.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72496

BStBl II 1977, 872

BFHE 1978, 191

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