Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Erbschaftsteuererstattung bei Rückfall von Nachlaßvermögen rassisch Verfolgter.

 

Normenkette

StAnpG § 4 Abs. 3 Ziff. 2

 

Tatbestand

Die Erblasser, die jüdischer Abstammung waren, gingen am 22. September 1941 im Alter von 76 bzw. 60 Jahren unter Hinterlassung von drei aus Deutschland ausgewanderten Kindern in den Tod, um sich der Verfolgung durch die damaligen Machthaber zu entziehen. In dem von ihnen hinterlassenen gemeinschaftlichen Testament vom 9. September 1941 hatten sie als alleinigen Erben den Baron X mit der Begründung eingesetzt, daß die "derzeitigen internationalen Währungsverhältnisse ein Erb-Ergebnis für ihre Kinder "minimal und interesselos machten". Der Erbe nahm die Erbschaft an und entrichtete aus den vorhandenen flüssigen Mitteln des Nachlasses die festgesetzte Erbschaftsteuer in Höhe von 67.897,20 RM. Er betrachtete sich von vornherein auf Grund der alten freundschaftlichen Beziehungen zu der Familie lediglich als Treuhänder hinsichtlich des Nachlasses und händigte diesen nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur ohne weiteres den Testamentsvollstreckern aus. Auf Grund der Anfechtung des Testaments durch die Kinder der Erblasser wurde der ursprünglich auf Baron X ausgestellte Erbschein vom 29. Oktober 1941 eingezogen und ein neuer Erbschein zugunsten der Kinder der Erblasser unter dem 10. November 1950 erteilt.

Da bei Eintritt gesetzlicher Erbfolge, also ohne die Erbeinsetzung des Barons X, anstatt der tatsächlich gezahlten 67.897,20 DM

nur ------------------------------------------- 2.664,00 RM Erbschaftsteuer zu entrichten gewesen wären, haben die Beschwerdeführer beim Finanzamt Erstattung des Unterschiedsbetrages von ------ 65.233,20 RM

beantragt. Das Finanzamt hat den Antrag abgelehnt. Auch die Schritte der Beschwerdeführer bei der Oberfinanzdirektion sind ohne Erfolg geblieben. Die auf Grund des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland eingelegte und vom Finanzamt zugelassene Berufung ist ebenfalls ohne Erfolg geblieben. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Rechtsbeschwerde.

Das Finanzgericht hat die Erstattung der Erbschaftsteuer unter Hinweis auf Art. 77 des Brit. Rückerstattungsgesetzes (Brit. REG) abgelehnt. Diese Entscheidung ist jedenfalls hinsichtlich des vorliegenden Falls nicht frei von Rechtsirrtum.

 

Entscheidungsgründe

Art. 77 a. a. O. schließt es zwar aus, aus Rechtsgründen Steuern einschließlich der Erbschaftsteuer aus Anlaß des Rückfalls entzogener Vermögensgegenstände zu erstatten. Aber die Frage, ob dies außerhalb der Rückerstattungsfälle im engeren Sinne (vgl. Art. 1 a. a. O.) auch bei sonstigen Rückfällen von Vermögensgegenständen Platz greift, die, die z. B. im Sinne des Art. 66 a. a. O., unter den Zwangsverhältnissen der Zeitspanne vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus Verfolgungsgründen aufgegeben worden sind, und ob dies gleichermaßen für Rückfallberechtigte und Rückfallverpflichtete gilt, kann für den hier streitigen Fall dahingestellt bleiben. Das Brit. REG, und mit ihm sein Art. 77, gilt nur für bestehende Rückerstattungs- und sonstige Rückfallansprüche. Auch sind andere Ansprüche, wie Art. 49 besagt, im ordentlichen Rechtsmittelweg geltend zu machen (vgl. auch Harmening, Rückerstattungsgesetz Art. 49 Anm. 2, der selbst Ansprüche aus nicht im Rückerstattungsverfahren abgeschlossenen Vergleichen in Rückerstattungssachen nicht als Rückerstattungsansprüche ansieht, sondern an das ordentliche Gericht verweist). Darüber hinaus ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anwendung des Brit. REG erforderlich. Es müssen Rückerstattungs- und Rückfallsansprüche noch bestehen, um die Anwendung des Brit. REG zu rechtfertigen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Bereits unmittelbar nach dem Zusammenbruch hat Baron X den Nachlaß den Kindern der Erblasser zur Verfügung gestellt und klargestellt, daß ihm materiellrechtlich keine Erben-, sondern nur Treuhänderstellung zugestanden hat. Damit waren alle Ansprüche der wirklichen Erben außerhalb des Rückerstattungsverfahrens befriedigt, ohne daß irgend ein Streit zwischen den Parteien übrig blieb. Mit der Erfüllung der Verpflichtung des Barons X ist das Schuldverhältnis schon vor Inkrafttreten und möglicher Anwendung des Brit. REG erloschen gewesen (ß 362 BGB).

Was das Ziel des tatsächlichen Rückfalls des Nachlassens an die wirklichen Erben betraf, so ist hierfür im Streitfall nach der tatsächlichen Aushändigung des Nachlasses kein Raum mehr gewesen. Insoweit ist das Brit. REG auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden gewesen, und deshalb entfällt hier auch die Anwendung des Art. 77 a. a. O., gleichviel, ob die wirklichen Erben, um für Ausweiszwecke einen Erbschein zu erlangen, nachträglich zur förmlichen Beseitigung des alten auf Baron X lautenden Erbscheins das Testament der Erblasser gegenüber dem Nachlaßgericht - praktisch nur feststellungshalber - angefochten haben.

Weil das Brit. REG auf den Streitfall nicht anzuwenden ist, regelt sich der Erbschaftsteuererstattungsanspruch nach § 4 Abs. 3 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG). Durch die verbindlichen Erklärungen des Barons X ist seine für die Entstehung der Erbschaftsteuerschuld erforderliche Eigenschaft als Testamentserbe der Erblasser nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen. Die drei Kinder der Erblasser haben nachträglich die Erbenstellung eingenommen. Allerdings ist der Antrag der Erben auf Erstattung der Erbschaftsteuer an die Jahresfrist des § 4 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG geknüpft. Wie aber in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil des Bundesfinanzhofs III 10/54 S vom 18. Juni 1954 dargetan ist, beginnen Ausschlußfristen dieser Art erst dann zu laufen, wenn dem Antragsteller die den Anspruch begründenden Tatbestandsmerkmale bekanntgeworden sind. Für die Erben ist es im vorliegenden Fall, weil sie im Auslande lebten, und weil sich die Verhältnisse, insbesondere die Verkehrsverhältnisse, nach dem Zusammenbruch in Deutschland (Postverkehr; Begründung der Zuständigkeiten der Behörden in den einzelnen Zonen und Bezirken auf allen Gebieten, insbesondere der Justiz und der Finanz; Auffindung der zum Teil verlagerten Akten der Nachlaßgerichte und der Steuerbehörden) erst allmählich ordnen konnten, besonders erschwert gewesen, die einschlägigen Tatbestandsmerkmale, die sie nicht selbst miterlebt hatten, festzustellen. Wie jedoch die Anfrage ihres Bevollmächtigten vom 21. Dezember 1949 zeigt, haben sie in Verfolg ihrer Wiedergutmachungssache, in der sie offenbar Erstattung der Erbschaftsteuerbeträge beantragt hatten, unverzüglich versucht, die einzelnen Tatbestandsmerkmale zu klären. Für den streitigen Steuererstattungsanspruch haben diese nicht nur aus dem nachträglichen Ausscheiden des Barons X als Erben bestanden; vielmehr haben dazu auch und vor allem die einzelnen steuerlichen Merkmale (die alten Erbschaftsteuerbescheide, die Höhe der Steuerveranlagung für die Nachlässe des Vaters und der Mutter, die Aktenzeichen und die Höhe der überzahlung) gehört. Ohne schuldhaftes Zögern haben die Erben nach Eingang der Antwort auf die weitere Anfrage vom 7. Januar 1950 die Angelegenheit weiterhin verfolgt, und zwar, wie das Schreiben der Oberfinanzdirektion vom 28. Februar 1952 zeigt, zunächst im Rückerstattungsverfahren, das indessen bei Geldbeträgen mangels Feststellbarkeit des Vermögensgegenstandes nicht angewandt werden kann. Deshalb kann die Jahresfrist des § 4 Abs. 2 Satz 2 StAnpG in Verbindung mit § 4 Abs. 3 Ziff. 2 a. a. O. im vorliegenden Fall als gewahrt angesehen werden.

Daher rechtfertigt sich die entsprechende änderung der Erbschaftsteuerveranlagungen und die Erstattung der aus dem Nachlaß entrichteten unterschiedlichen Erbschaftsteuer im Verhältnis von 10:1 in DM.

Da das Finanzgericht dies verkannt hat, ist die angefochtene Entscheidung und die Beschwerdeentscheidung aufzuheben und die Sache zur rechnerischen Durchführung im einzelnen an das Finanzamt zurückzuverweisen, das die Eingabe vom 22. September 1952 als Einspruch zu behandeln hat, und dem die Entscheidung über die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens und die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes übertragen wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407962

BStBl III 1954, 239

BFHE 1955, 81

BFHE 59, 81

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