Auslegung von Testamenten: maßgebliche Faktoren
Privatschriftlich errichtete Testamente eines juristisch nicht versierten Erblassers bereiten in der Praxis häufig Auslegungsprobleme. Das Saarländische OLG hat anhand eines in mehrfacher Hinsicht unklar formulierten Testaments eine Reihe von Grundsätzen für die Ermittlung des tatsächlichen Erblasserwillens aufgestellt.
Lebensgefährtin beantragt Erbschein
Gegenstand des entschiedenen Falls war ein Antrag der Lebensgefährtin des Erblassers auf Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Zum Zeitpunkt des Erbfalls war der Erblasser verwitwet und kinderlos. Er hatte noch eine Schwester, die Eltern waren vorverstorben.
Umgangssprachliches Testament mit grammatikalischen Ungenauigkeiten
Im März 2019 hatte der Erblasser ein privatschriftliches Testament errichtet. Darin verfügte er unter Verwendung sich u.a. grammatikalisch nicht sofort erschließender Formulierungen: „Hiermit verfüge ich, meine Lebensgefährtin …. als Erbe für mein Haus R. 1a ein. Mein Barvermögen bei der S. Bank und U. e.G. erbt H“ (Lebensgefährtin). „Meine Grundstücke und Anteile an Grundstücken vererbe ich meinen Nichten…und Neffe…. Für meine Beerdigung und Folgekosten zeichnet meine Lebensgefährtin…“.
Antrag auf Erbschein im Ergebnis erfolgreich
Das AG hat dem Antrag der Lebensgefährtin auf Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin stattgegeben und den Widerspruch eines am Erbscheinverfahren Beteiligten zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des weiteren Beteiligten blieb beim OLG erfolglos.
Testamentsauslegung dient allein der Erforschung des Erblasserwillens
Das OLG stellte zunächst klar, dass die Auslegung des Testaments gemäß §§ 2084, 133 BGB ausschließlich den Zweck zu verfolgen hat, den tatsächlichen Willen des Erblassers zu ermitteln (BGH, Urteil v. 7.10.1992, IV ZR 160/91). Hierbei sei zu berücksichtigen, ob ein Erblasser erkennbar aufgrund seiner Sprach- und Grammatikkenntnisse mit seinen Worten nicht exakt das zum Ausdruck gebracht habe, was er eigentlich wollte. In einem solchen Fall müsse durch Auslegung gemäß § 133 der Wortsinn der vom Erblasser verwendeten Begrifflichkeiten unter Heranziehung aller bekannten Begleitumstände hinterfragt werden, um den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen (BGH, Urteil v. 4. 6. 2009, IV ZR 202/07).
Gesetzliche Auslegungsregel
Eine wesentliche Bedeutung bei der Auslegung des Testaments im konkreten Fall maß das OLG der Vorschrift des § 2087 Abs. 2 BGB zu. Danach ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass der Erblasser eine mit einzelnen Vermögensgegenständen bedachte Person als Erbe einsetzen wollte, auch wenn er diese als Erbe bezeichnet hat. Im konkreten Fall hatte der Erblasser seiner Lebensgefährtin diverse Vermögensgegenstände, nämlich sein Haus sowie sein Barvermögen übertragen und die Lebensgefährtin als „Erbe“ bezeichnet. Dies könnte zur Anwendung der Auslegungsvorschrift des § 2087 Abs. 2 BGB führen, zumal da der Erblasser gleichzeitig verfügt hatte, dass er seinen Nichten und einem Neffen die übrigen Grundstücke „vererbe“.
Übertragung des wesentlichen Nachlassteils spricht gegen bloßes Vermächtnis
Nach Auffassung des OLG führt der auf den ersten Blick widersprüchliche Sprachgebrauch nicht zu dem Ergebnis, dass sowohl Nichten und Neffe als auch die Lebensgefährtin gemeinsam als Erben eingesetzt werden sollten. Nach der allein entscheidenden Vorstellung des Erblassers habe dieser seiner Lebensgefährtin nämlich sein wesentliches Vermögen zugewandt und damit seine Lebensgefährtin erkennbar als seine unmittelbare Rechtsnachfolgerin einsetzen wollen (BGH, Beschluss v. 12.7.2012, IV ZB 15/16). Bei den seinen Nichten und dem Neffen zugewandten Grundstücken handle es sich um einfache Grün- und Ackerflächen ohne einen - im Vergleich zu dem Hausgrundstück - ins Gewicht fallenden wesentlichen Wert.
Der umgangssprachliche Begriff „Haus“ kann das gesamte Grundstück umfassen
Der Auslegung des Beschwerdeführers, der Erblasser habe seiner Lebensgefährtin sein Hausgrundstück nicht übertragen, sondern dieser lediglich ein lebenslanges Wohn- und Nutzungsrecht einräumen wollen, erteilte das OLG eine Absage. Auch wenn in dem Testament lediglich von dem Haus und nicht von dem gesamten Hausgrundstück die Rede sei, so spreche doch nichts für einen Willen des Erblassers zur Einräumung lediglich eines Nutzungsrechts. Mit der umgangssprachlichen Wortwahl „Haus“ habe der Erblasser erkennbar das Eigentum an den gesamten Anwesen einschließlich des Inventars auf seine Lebensgefährtin übertragen wollen. Auch ein sprachlich und juristisch nicht versierter Erblasser wähle umgangssprachlich andere Formulierungen, wenn er einer Person lediglich ein Nutzungsrecht einräumen wolle.
Übertragung der Bestattungskosten als weiteres Indiz
Schließlich spricht nach Auffassung des OLG auch die Übertragung des gesamten Barvermögens und insbesondere die Übertragung der Verantwortlichkeit für seine Beisetzung und die Folgekosten (Grabpflege), für die Vorstellung des Erblassers, dass seine Lebensgefährtin nach seinem Tode über den Nachlass verfügen und auch die Nachlassverbindlichkeiten, also u.a. die Bestattungskosten (§ 1968 BGB) als Nachlassinhaberin regeln solle.
Übergehen einer nahen Verwandten kann Absicht sein
Die völlige Außerachtlassung der Schwester im Testament des Erblassers spricht nach Auffassung des OLG ebenfalls nicht gegen eine Einsetzung der Lebensgefährtin als Alleinerbin. Die Behauptung des Beschwerdeführers, der Erblasser habe seine Schwester nicht von der Erbschaft ausschließen wollen, bewertete das OLG als rein spekulativ und durch keinerlei Tatsachenhintergrund belegt. Vielmehr sprächen sämtliche Indizien für das vom AG gefundene Ergebnis, dass der Erblasser seiner Lebensgefährtin sein wesentliches Vermögen übertragen und sie zur Alleinerbin einsetzen wollte, während er seinen Nichten und seinem Neffen lediglich wertmäßig eher geringfügige Vermächtnisse zugedacht habe.
(Saarländisches OLG, Beschluss v. 30.3.2022, 5 W 15/22)
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