Jastrowsche Klausel im Berliner Testament

Setzen Ehegatten sich gegenseitig als Alleinerben ein und gewähren denjenigen Kindern ein betagtes Vermächtnis, die beim Tod des Erstversterbenden ihren Pflichtteil nicht fordern (Jastrowsche Klausel), kann der überlebende Ehegatte als Erbe des Erstversterbenden die Vermächtnisverbindlichkeit nicht als Nachlassverbindlichkeit abziehen, da das Vermächtnis noch nicht fällig ist. Das Kind hat den Erwerb des Vermächtnisses bei dem Tod des überlebenden Ehegatten als von diesem stammend zu versteuern. Ist es zugleich Erbe des zuletzt verstorbenen Ehegatten, kann es das Vermächtnis als Nachlassverbindlichkeit in Abzug bringen.

Hintergrund: Abzug betagter Vermächtnisverbindlichkeiten als Nachlassverbindlichkeiten?

Bei einer Betagung handelt es sich weder um eine Bedingung noch um eine Befristung. Eine Betagung bedeutet, dass nicht die Wirksamkeit, sondern nur die Erfüllung des Vermächtnisses hinausgeschoben ist, weil die Fälligkeit nicht mit dem Erbfall eintritt, sondern erst danach. Fraglich war im Urteilsfall u.a., ob die betagten Vermächtnisschulden nach der sog. Jastrowschen Klausel als Nachlassverbindlichkeiten gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig sind.

Sachverhalt: Berliner Testament mit Jastrowscher Klausel

Im Streitfall errichteten die Eltern der Klägerin zunächst ein sogenanntes Berliner Testament. Mit diesem in der Praxis häufig vorkommenden Testament setzten sich die Eltern gegenseitig zu Alleinerben ein, wobei der überlebende Ehegatte über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen konnte. Als Erben des überlebenden Ehegatten setzten die Eheleute die Klägerin und drei ihrer Schwestern ein. Ein Bruder und eine weitere Schwester wurden enterbt.

Überdies enthielt das Testament eine sog. Jastrowsche Klausel. Diese regelte, dass für den Fall, dass eines der Kinder nach dem Tod des zuerst sterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangt, dieses Kind auch vom Nachlass des zuletzt sterbenden Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll. Diejenigen Erben, die den Pflichtteil beim Tod des Erstverstorbenen nicht fordern, sollten bei Tod des länger lebenden Ehegatten aus dem Nachlass des Erstverstorbenen ein erst beim Tod des länger lebenden Ehegatten fälliges Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils erhalten.

Die enterbten Geschwister der Klägerin machten nach dem Tod des erstverstorbenen Vaters ihren Pflichtteil geltend. Die Klägerin erwarb daher beim Tod des Vaters ein entsprechendes Vermächtnis, dass mit dem Tod der Mutter fällig wurde.

Nachdem auch die Mutter verstorben war, setzte das Finanzamt gegenüber der Klägerin Erbschaftsteuer für den Erwerb nach der Mutter fest. Das Vermächtnis rechnete es weder dem Erwerb hinzu noch wurde es als Nachlassverbindlichkeit in Abzug gebracht. Die Klägerin war hingegen der Auffassung, das Vermächtnis sei bei ihr doppelt hinzugerechnet worden und deshalb als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Das Finanzgericht wies die Klage als unbegründet zurück.

Entscheidung: Vermächtnis wurde nicht doppelt besteuert

Der BFH schloss sich der Auffassung des Finanzgerichts an und verneinte, dass im Streitfall das Vermächtnis bei der Klägerin doppelt besteuert worden sei.

Besteuerung des Vermächtnisses nach dem Tod des Vaters

Der Wert des Vermächtnisses wurde zunächst einmal besteuert, nämlich nach dem Tod des Vaters bei der Mutter als dessen Alleinerbin. Da das Vermächtnis zwar damals bereits entstanden war, aber erst bei dem Tod der Mutter fällig wurde, ging der Nachlass des Vaters ungeschmälert, das heißt einschließlich des Vermögens, aus dem das Vermächtnis zu erfüllen war, auf die Mutter über. Die Mutter konnte die Vermächtnisverbindlichkeit bei ihrem Erbe nicht in Abzug bringen, weil sie mangels Fälligkeit diese Schuld nicht zu begleichen hatte.

Besteuerung des Vermächtnisses nach dem Tod der Mutter

Erbschaftsteuerrechtlich werden nach § 6 Abs. 4 ErbStG Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten fällig sind, über eine Gleichstellung mit den Nacherbschaften im Wesentlichen so behandelt wie Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten anfallen. Danach hat die Klägerin das Vermächtnis, das aufgrund der Jastrowschen Klausel mit dem Tod des zuerst verstorbenen Vaters angefallen ist, welches aber erst bei der zuletzt verstorbenen Mutter fällig geworden ist, aufgrund der Fiktion des § 6 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 ErbStG gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG als von der Mutter stammend zu versteuern.

Als Schlusserbin unterlag bei ihr außerdem der Nachlass nach der Mutter der Erbschaftsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG). Dort konnte sie die dann die fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit als Nachlassverbindlichkeit in Abzug bringen (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG). Das Vermächtnis unterlag bei der Klägerin daher nur einmal der Besteuerung.

Keine zweifache Hinzurechnung im Urteilsfall

In dem angefochtenen Bescheid erfolgte keine zweifache "Hinzurechnung" und dadurch bedingte doppelte Besteuerung des betagten Vermächtnisses. Das Finanzamt hatte im Urteilsfall bei der Klägerin weder das betagte Vermächtnis gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG der Besteuerung unterworfen noch die Vermächtnisverbindlichkeiten als Nachlassverbindlichkeit im Sinne des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Abzug gebracht. Da sich beide Positionen im Ergebnis ausgleichen, erfolgte keine doppelte Besteuerung bei der Klägerin. Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid war daher rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Hinweis: Im Ergebnis kann bei betagten Vermächtnissen im Falle einer Jastrowschen Klausel zweimal Erbschaftsteuer entstehen

Dass bezüglich des betagten Vermächtnisses im Ergebnis zweimal Erbschaftsteuer entsteht – einmal (ohne Abzugsmöglichkeit als Nachlassverbindlichkeit) bei der Mutter nach dem Tod des Vaters und ein weiteres Mal bei der Klägerin nach dem Tod der Mutter – ist für die Steuerpflichtigen zwar ungünstig, aus rechtlicher Sicht nach Auffassung des BFH aber nicht zu beanstanden. Es liege an der Verwendung der Jastrowschen Klausel, die – um den überlebenden Ehegatten mit ausreichend Liquidität auszustatten – das Vermächtnis zwar bei Tod des Erstverstorbenen anfallen, aber erst bei Tod des länger lebenden Ehegatten fällig werden lässt. Eine Doppelbesteuerung im engeren Sinn liegt nicht vor, da es sich bei dem Erwerb des überlebenden Ehegatten, der Mutter, von dem zuerst verstorbenen Ehegatten, dem Vater, einerseits und dem späteren Erwerb des Kindes, der Klägerin, als Vermächtnisnehmer von dem zuletzt verstorbenen Ehegatten, der Mutter, andererseits nicht um denselben Lebenssachverhalt handelt. Es liegen zwei zeitlich nacheinander erfolgende Erwerbsvorgänge von unterschiedlichen Erblassern mit unterschiedlichen Begünstigten vor. Im konkreten Urteilsfall konnte die Klägerin zudem nach dem Tod der Mutter die Vermächtnisschuld als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Hierdurch neutralisiert sich, dass sie selbst das Vermächtnis versteuern muss.

BFH, Urteil v. 11.10.2023, II R 34/20; veröffentlicht am 27.2.2024

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