Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Werden die nach § 217 AO geschätzten Besteuerungsgrundlagen entsprechend der vom Steuerpflichtigen erstmals im Einspruchsverfahren eingereichten Steuererklärung berichtigt, so können die Verfahrenskosten dem Steuerpflichtigen wegen verspäteten Vorbringens nicht auferlegt werden, wenn das Finanzamt den Steuerpflichtigen vor der Schätzung weder an die Einreichung der Steuererklärung erinnert noch auf die Absicht der Schätzung hingewiesen hat.

 

Normenkette

AO § 307 Abs. 3, § 252

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Steuerpflichtigen - wie das Finanzamt meint - trotz erfolgreichen Einspruchsverfahrens die Kosten dieses Verfahrens wegen verspäteten tatsächlichen Vorbringens gemäß § 307 Abs. 3 AO auferlegt werden können. Das Finanzamt sieht die Voraussetzung dafür in der Tatsache, daß der Steuerpflichtige seiner Steuererklärungspflicht - nach zunächst schätzungsweiser Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen - erst im Einspruchsverfahren nachgekommen ist.

Das Finanzamt hatte dem Steuerpflichtigen zur Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer 1954 rechtzeitig die entsprechenden Erklärungsvordrucke mit der Aufforderung zugesandt, die Steuererklärungen spätestens bis zum 15. Mai 1955 abzugeben. Da die Erklärungen auch im Januar 1956 noch nicht vorlagen, veranlagte es ihn nunmehr, indem es die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 217 AO schätzte, ohne ihn nochmals zur Abgabe der Erklärungen aufzufordern und ohne ihn vorher darauf hinzuweisen, daß die Besteuerungsgrundlagen nunmehr geschätzt würden. Gleichzeitig setzte es wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen den nach § 168 AO zulässigen Höchstzuschlag fest. Von dem in Höhe von 44.922 DM vorangemeldeten Umsatz ausgehend, schätzte es den Umsatz auf 50.000 DM und den Gewerbegewinn sowie den Gewerbeertrag nach einem Reingewinnsatz von 30 v. H. auf 15.000 DM. Auf den Einspruch des Steuerpflichtigen ergingen entsprechend den im Einspruchsverfahren eingereichten Steuererklärungen gemäß § 94 Abs. 2 AO Abhilfebescheide, durch die seinen Rechtsmittelanträgen der Sache nach entsprochen wurde. Die Besteuerungsgrundlagen wurden nunmehr wie folgt ermittelt:

Umsatz ------------- 44.892 DM gewerblicher Gewinn - 5.344 DM Gewerbeertrag ------- 5.300 DM. über die Kosten es Einspruchsverfahrens ergingen besondere Einspruchsentscheidungen, durch die die Rechtsmittelkosten dem Steuerpflichtigen unter Hinweis auf § 307 Abs. 3 AO in voller Höhe auferlegt wurden.

Die Vorinstanz sieht in der verspäteten Einreichung der Steuererklärung einen Sachverhalt, der die Anwendung des § 307 Abs. 3 AO rechtfertigt. Dem vermag der Senat nach den gegebenen Umständen nicht zu folgen.

 

Entscheidungsgründe

Die Vorschrift des § 307 Abs. 3 AO ist eine Ermessensvorschrift. Von ihrem Ermessen kann die Behörde nur unter Beachtung der ihr durch Recht und Billigkeit gezogenen Grenzen Gebrauch machen. Demgemäß können einem Steuerpflichtigen die Kosten des Einspruchsverfahrens trotz Obsiegens in der Hauptsache nur dann auferlegt werden, wenn dies im gegebenen Einzelfall mit Recht und Billigkeit vereinbar ist. Diese Voraussetzung erachtet der Senat im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen nicht für gegeben:

Gemäß § 204 Abs. 1 AO hat das Finanzamt den für die Besteuerung wesentlichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Dieser Pflicht des Finanzamts entspricht die Mitwirkungspflicht - insbesondere die Steuererklärungspflicht - des Steuerpflichtigen im Sinne der §§ 166 ff. AO. Seiner Erklärungspflicht hat der Steuerpflichtige zwar sehr verspätet entsprochen, wofür ihm der nach § 168 Abs. 2 AO zulässige Höchstzuschlag von 10 v. H. der endgültig festgesetzten Steuer mit einem Betrage von insgesamt 229 DM auferlegt worden ist. Es fragt sich aber, ob schon der Umstand allein, daß die Erklärungen nicht innerhalb der Erklärungsfrist eingingen, das Finanzamt berechtigte, die Besteuerungsgrundlagen sofort zu schätzen und von weiteren Ermittlungen im Sinne des § 204 AO abzusehen. Nach § 217 AO hat das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn es sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Das ist unter anderem der Fall, wenn der Steuerpflichtige mangels Aufzeichnungen nicht in der Lage ist, genaue Angaben zu machen, oder wenn er sie verweigert, obwohl er dazu in der Lage wäre (§ 217 Abs. 2 AO). Aus dieser gesetzlichen Regelung ist zu entnehmen, daß das Gesetz im Interesse einer zutreffenden und gleichmäßigen Besteuerung einer genauen zahlenmäßigen Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen den Vorrang vor der Schätzung bis an die Grenze des im Einzelfall für die Behörde Zumutbaren einräumt. Der Steuerpflichtige hat nachlässig gehandelt, aber er war zu genauen Angaben in der Lage, und er hat sie auch niemals verweigert. Es war dem Finanzamt zwar nicht zuzumuten, vor einer etwaigen Schätzung die Erzwingung dieser Angaben mit den Mitteln des § 202 AO zu versuchen. Aber es war zumutbar, den Steuerpflichtigen - gegebenenfalls fernmündlich - unter angemessener Fristsetzung zur Einreichung der Erklärungen zu veranlassen und ihn auf die bei weiterer Säumnis beabsichtigte Schätzung hinzuweisen. Auf diese Weise wären - das kann nach der Sachlage angenommen werden - von vornherein zutreffende Veranlagungen - bei der Einkommensteuer unter Berücksichtigung des Freibetrags nach § 33 a des Einkommensteuergesetzes 1953 - möglich und die Einspruchsentscheidungen bzw. änderungsbescheide vermeidbar gewesen. Unter diesen Umständen würde sich eine Kostenauferlegung im Ergebnis für den Steuerpflichtigen als ein zusätzlicher Verspätungszuschlag auswirken, was mit Recht und Billigkeit unvereinbar wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 423992

BStBl III 1959, 10

BFHE 1959, 25

BFHE 68, 25

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