Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachbesserung von Begründungsmängeln eines Haftungsbescheids

 

Leitsatz (NV)

Mängel in der Begründung eines Haftungsbescheids - also nicht solche, die den verfügenden Teil des Bescheids (Haftungsumfang nach Grund, Art, Höhe und Person des Haftungsschuldners) betreffen - können nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 vom FA nachgebessert werden. Dies kann auch noch in der Einspruchsentscheidung geschehen.

 

Normenkette

AO 1977 § 126

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Jahr 1981 einer der beiden Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits geschäftsführende Komplementärin einer (GmbH und Co.) KG gewesen ist. Wegen rückständiger Umsatzsteuervorauszahlungen der KG für Juli bis Dezember 1981 hatte das FA ursprünglich am 26. Februar 1982 gegen jeden der beiden Geschäftsführer einen Haftungsbescheid über jeweils 4 254 332,41 DM zuzüglich 1 974 DM Nebenkosten erlassen. Nachdem das FG die Vollziehung dieser Bescheide in Form der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 1983 mit Beschluß vom 24. Oktober 1983 wegen einer von ihm angenommenen unzureichenden Bestimmtheit und daraus gefolgerten Nichtigkeit (§ 125 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) ausgesetzt hatte, hob das FA den gegen den Kläger ergangenen Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aus formellen Gründen auf. Gleichzeitig erließ es am 18. November 1983 wegen rückständiger Umsatzsteuervorauszahlungen April bis Juni 1981 einen neuen Haftungsbescheid, in dem es den Kläger in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer wegen der Steuerrückstände der KG (551 581 DM) mit 500 000 DM in Anspruch nahm (§ 69 i. V. m. § 34 AO 1977). In der Begründung des Haftungsbescheids wird teilweise auf Erwägungen in der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 1983 verwiesen, weil diese dem Kläger mitgeteilt worden und daher bekannt seien (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977).

Vor Ergehen der zweiten Einspruchsentscheidung hatte das FA zum angefochtenen Haftungsbescheid vom 18. November 1983 mit Schreiben vom 5. Juli 1984 ergänzende Ausführungen zur Sach- und Rechtslage gemacht. Diese Ausführungen stellten auch die wesentlichen tragenden Gründe der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 1984 dar, die nochmals eingehende Angaben zur Rechtslage enthält.

Auf die Klage hat das FG den Haftungsbescheid in Form der Einspruchsentscheidung aufgehoben.

Es hat ausgeführt: Der angefochtene Haftungsbescheid leide zunächst an dem Mangel einer rechtmäßigen Begründung i. S. des § 121 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO). Nach dieser Vorschrift sei ein schriftlicher Verwaltungsakt schriftlich zu begründen, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich sei. Nur die Darstellung über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme im Wege der Haftung im einzelnen (z. B. objektive Verkürzung, objektive Pflichtverletzung, subjektives Verschulden, Ermessensausübung etc.) könne dem Betroffenen schlüssig vermitteln, daß er für eine fremde Schuld einzustehen habe. Hieraus ergebe sich auch, daß im Falle eines Haftungsbescheids der Verfügungs- oder Entscheidungssatz und die Gründe in einem besonders engen Zusammenhang ständen. Die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts (§ 119 Abs. 1 AO) erfordere hier mehr als die bloße Bestimmtheit des Entscheidungssatzes.

Diesem für einen Haftungsbescheid speziellen Erfordernis werde der angefochtene Bescheid nicht gerecht. Er beziehe sich zu seiner Begründung letztlich ausschließlich auf die zu dem früheren Haftungsbescheid ergangene Einspruchsentscheidung des FA vom 19. Januar 1983. Diese Einspruchsentscheidung aber habe das FG in seinem Beschluß vom 24. Oktober 1983 zusammen mit dem damals zugrundeliegenden Haftungsbescheid für nichtig gehalten. Um den letzten etwa noch vorhandenen Rechtsschein zu beseitigen, habe das FA Haftungsbescheid und Einspruchsentscheidung zusätzlich ausdrücklich aufgehoben. Unmittelbar anschließend habe es sich aber auf die Letztgenannte nahezu ausschließlich wieder berufen.

Für den angefochtenen Haftungsbescheid habe dies mehr bedeutet, als daß nur eine Begründung als fehlend und damit als nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO nachholbar hätte angesehen werden können. Vielmehr sei dieser Haftungsbescheid wegen fehlender bzw. fehlerhafter Darstellung der Haftungsvoraussetzungen in sich endgültig unschlüssig und somit selbst nach § 125 Abs. 1 AO nichtig. Denn eine Berufung auf eine nichtige Grundlage könne gleichfalls nur Nichtigkeit zur Folge haben. Und diese Nichtigkeit bedeute, daß sie weder im Anschluß an den Erlaß des Haftungsbescheides noch im Endergebnis durch die Rechtsbehelfsentscheidung habe geheilt werden können; hier wäre allein die (deklaratorische) Aufhebung insgesamt (ggfs. eine Neuerteilung mit zutreffender Begründung) angezeigt gewesen (Hinweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Januar 1980 II R 90/75, BFHE 130, 74, BStBl II 1980, 316 f., und vom 15. Oktober 1980 II R 127/77, BFHE 131, 448, BStBl II 1981, 84).

Mit der Revision beantragt das FA, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Es rügt unrichtige Anwendung von §§ 119 Abs. 1, 121 Abs. 1 und 2, 125, 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977.

Das FA ist der Meinung, das FG habe den hier vorliegenden Haftungsbescheid zu Unrecht als nichtig beurteilt. Der Haftungsbescheid enthalte in seinem verfügenden Teil den Entscheidungsausspruch, also die Haftbarmachung wegen der Umsatzsteuerrückstände April bis Juni mit einer Haftungssumme von 500 000 DM und die Benennung des Klägers als des Destinatärs. Damit entfalle eine Nichtigkeit des Bescheids. Mangelhaft sei allenfalls die Begründung des Bescheids durch die Bezugnahme auf die - inzwischen aufgehobene - Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 1983 (ergangen zu dem früheren Haftungsbescheid betreffend Umsatzsteuervorauszahlungen Juli bis Dezember 1981). Eine solche mangelhafte Begründung könne nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 bis zum Abschluß des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens auch nachträglich gegeben, also nachgeholt werden. Dies sei durch das Schreiben des FA vom 5. Juli 1984, also noch vor Erlaß der Einspruchsentscheidung, vom 4. Oktober 1984, in hinreichendem Maß geschehen.

Im übrigen wäre die Nachholung der Begründung im vorliegenden Fall gar nicht erforderlich gewesen, weil dem Kläger die Auffassung des FA über die Sach- und Rechtslage aus dem früheren Verfahren (betreffend die Umsatzsteuervorauszahlungen Juli bis Dezember) hinreichend bekannt gewesen sei (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977).

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Der Haftungsbescheid vom 18. November 1983 in Form der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 1984 ist rechtswirksam. Er ist inhaltlich ausreichend bestimmt. Denn er enthält in seinem verfügenden Teil den Haftungsanspruch (Geschäftsführerhaftung nach §§ 69, 34 AO 1977), den Haftungsumfang nach Art (Umsatzsteuervorauszahlungen April bis Juni 1981) und Höhe (500 000 DM) und schließlich den Haftungsschuldner in der Person des Klägers. Damit ist dem Erfordernis der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit des Haftungsbescheids (§ 119 Abs. 1 AO 1977) genüge getan (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Tz. 1, 1 a und 1 b zu § 119 AO 1977). Der Hinweis des FG auf die Urteile des BFH in BFHE 130, 74, BStBl II 1980, 316 und in BFHE 131, 448, BStBl II 1981, 84 ist nicht stichhaltig, weil der Sachverhalt in den dort entschiedenen Fällen (die keine Haftungs-, sondern Steuerbescheide betrafen) anders gelagert war (unaufgegliederte Zusammenfassung mehrerer Rechtsvorgänge in einem Gesellschaftsteuerbescheid).

2. Der erkennende Senat neigt der Auffassung zu, daß die - übrigens nur geringfügige - Verweisung im Haftungsbescheid auf bestimmte Ausführungen in der ersten Einspruchsentscheidung rechtlich möglich war. Selbst wenn man aber mit dem FG davon ausgeht, daß die Verweisung auf die zu dem früheren Haftungsbescheid (betreffend Umsatzsteuervorauszahlungen Juli bis Dezember 1981) ergangene Einspruchsentscheidung einen Mangel des vorliegenden Haftungsbescheids beinhalte, so betrifft dieser die Begründung, nicht aber den verfügenden Teil des Bescheids. Für ein Übergreifen dieses Begründungsmangels auf den verfügenden Teil des Bescheids (Ziffer 1), wie vom FG angenommen, besteht kein rechtsverbindlicher Anhaltspunkt. Der Begründungsmangel konnte daher nach Maßgabe von § 126 AO 1977 bereinigt werden. Eine insoweit erforderliche Korrektur der Begründung hat das FA bereits mit Schreiben vom 5. Juli 1984 nachträglich gegeben, also nachgeholt (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977). In diesem Schreiben ist der Haftungsgrund - Geschäftsführerhaftung nach § 69 i. V. m. § 34 AO 1977 - ausführlich beschrieben und auch die Ermessensausübung durch den Hinweis auf die Nichtrealisierbarkeit des Steueranspruchs bei der Steuerschuldnerin ausreichend kenntlich gemacht. Vor allem aber sind die sämtlichen, für die Haftbarmachung des Klägers maßgebenden Erwägungen in der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 1984 nochmals ausführlich dargestellt (vgl. § 126 Abs. 2 AO). Dies ist insofern wesentlich, als Gegenstand des Klageverfahrens der Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung ist (§ 44 Abs. 2 FGO), ein Gesichtspunkt, dem der BFH bei Haftungsbescheiden wiederholt maßgebliche Bedeutung beigemessen hat (vgl. die Urteile des BFH vom 6. Dezember 1979 V R 125/76, BFHE 129, 126, BStBl II 1980, 103, und vom 17. Oktober 1980 VI R 136/77, BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138).

3. Da das FG zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, ist seine Entscheidung aufzuheben.

Die Sache ist nicht spruchreif, weil das FG - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zur materiellen Seite des Haftungsfalls, insbesondere zur Höhe der Haftungssumme bei in etwa gleichmäßiger Befriedigung des FA und der anderen Gläubiger der KG (sog. anteilige Tilgung der Umsatzsteuer, vgl. Urteil des BFH vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172 mit Hinweisen) getroffen hat.

Die insoweit erforderliche, überschlägige Vergleichsrechnung könnte nicht, wie in der Einspruchsentscheidung anklingend, durch den Hinweis auf die von der KG an ihre Lieferanten erbrachten (bzw. bei Konkurseröffnung rückständigen) Zahlungen für offen ausgewiesene und demnach vorsteuerabzugsfähige Umsatzsteuerbeträge (§§ 14, 15 des Umsatzsteuergesetzes) ersetzt werden. Die nicht spruchreife Sache geht daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 273

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