Leitsatz (amtlich)

1. In Rheinland-Pfalz sind die Finanzämter zuständig, im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens Billigkeitsrichtlinien anzuwenden, die auf Grund des § 17a Abs. 4 Rhld.-Pf. GrEStG 1963 (= § 42 Abs. 2 Rhld. Pf. GrEStG 1970) erlassen worden sind, obwohl die Erhebung der Grunderwerbsteuer den Landkreisen und den kreisfreien Städten obliegt.

2. Die bei der Festsetzung der Grunderwerbsteuer in Rheinland-Pfalz getroffene Billigkeitsentscheidung ist Bestandteil des Steuerbescheids und deshalb nicht selbständig anfechtbar.

 

Normenkette

Rhld.-Pf. GrEStG 1963 § 1

 

Tatbestand

Der Kläger und seine Ehefrau hatten ein bebautes Grundstück zu Miteigentum je zur Hälfte erworben und Grunderwerbsteuererlaß nach den Richtlinien des Rheinland-Pfälzischen Ministers für Finanzen und Wiederaufbau vom 12. Oktober 1953 über den Erlaß der Grunderwerbsteuer beim Grundstückserwerb durch Vertriebene und Flüchtlinge (MinBl 1953 Sp. 693) beantragt. Außerdem hatten sie Grunderwerbsteuerfreiheit nach § 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 des Rheinland-Pfälzischen Landesgesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung bei Wohnungsbau vom 14. März 1955 (GVBl S. 21) - LG - begehrt. Das beklagte FA hatte die Grunderwerbsteuerfreiheit nach dem Rheinland-Pfälzischen Landesgesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung bei Wohnungsbau vorbehaltlich der fristgerechten Verwirklichung des geplanten Bauvorhabens gewährt und für den Fall des Nichtvorliegens der Voraussetzungen für eine endgültige Steuerbefreiung eine nochmalige Prüfung des Antrages auf Grunderwerbsteuererlaß in Aussicht gestellt.

Da das geplante Bauvorhaben innerhalb der vorgeschriebenen Frist von fünf Jahren nicht abgeschlossen war, erhob das FA die Grunderwerbsteuer nach und lehnte in den Erläuterungen zu dem an den Kläger gerichteten Steuerbescheid auch einen Grunderwerbsteuererlaß nach den Richtlinien vom 12. Oktober 1953 ab, weil das ganze Grundstück nicht innerhalb eines Jahres seit dem Erwerb mindestens zur Hälfte für den eigenen Gewerbebetrieb allein oder zusammen mit der eigenen Wohnung in Anspruch genommen wurde. Der Kläger wandte sich mit seinem Einspruch sowohl gegen die Nachversteuerung als auch gegen die Ablehnung des Grunderwerbsteuererlasses. Das FA wies die Einwendungen wegen der Nachversteuerung durch Einspruchsentscheidung zurück und erließ gleichzeitig eine den Grunderwerbsteuererlaß ablehnende Verfügung, die eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, wonach die Beschwerde als Rechtsbehelf gegeben sei.

Die Beschwerde des Klägers gegen diese Verfügung blieb erfolglos. Auf die Klage hob das FG die angefochtene Verfügung des FA und die Beschwerdeentscheidung der OFD mangels Zuständigkeit der Landesfinanzbehörden auf und lehnte die Klage insoweit ab, als Erlaß der Grunderwerbsteuer begehrt wurde.

 

Entscheidungsgründe

Die vom FA eingelegte Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß für die Entscheidung über den Antrag auf Grunderwerbsteuererlaß nach den Richtlinien vom 12. Oktober 1953 über den Erläs der Grunderwerbsteuer beim Grundstückserwerb durch Vertriebene und Flüchtlinge nicht das FA, sondern der Landkreis zuständig sei. Die Zuständigkeit des FA ergibt sich aus § 17a Abs. 1, 2, 4 des Rheinland-Pfälzischen GrEStG 1963 (GVBl S. 111), geändert durch die Novelle vom 17. Dezember 1963 (GVBl S. 229). Auf Grund des § 17a Abs. 4 GrEStG 1963 erging der gemeinsame Runderlaß des Rheinland-Pfälzischen Ministers für Finanzen und Wiederaufbau und des Rheinland-Pfälzischen Ministers des Innern vom 13. Januar 1964 (MinBl. 1964, 227), durch den u. a. festgelegt wurde, daß die FÄ bei der Steuerfestsetzung die Richtlinien vom 12. Oktober 1953 anzuwenden hätten.

§ 17a GrEStG 1963 ist im vorliegenden Fall anwendbar, weil die Steuerschuld nach dem 31. Dezember 1963 entstanden ist (vgl. Art. 6 der Novelle vom 17. Dezember 1963). Ist ein grunderwerbsteuerbarer Erwerbsvorgang vorerst von der Besteuerung ausgenommen, so entsteht die Grunderwerbsteuerschuld erst mit dem Wegfall des steuerbegünstigten Zwecks (BFH-Urteil vom 5. März 1968 II 165/64, BFHE 92, 43, BStBl II 1968, 416), im vorliegenden Fall im Jahre 1965 mit dem Ablauf der Fünfjahresfrist für die Errichtung eines Gebäudes, das die Voraussetzungen der §§ 4, 5 LG erfüllt.

Zwar bestimmt § 17a Abs. 1 und 2 GrEStG 1963 nur, daß die FÄ die von den Steuergläubigern (den Landkreisen und den kreisfreien Städten - § 1 GrEStG 1963 -) zu erhebende Steuer durch schriftlichen Steuerbescheid festsetzen und daß die Steuerfestsetzung die Steuerermittlung und die Steueraufsicht, die Rücknahme und Änderung eines Steuerbescheides, das Rechtsmittelverfahren und das Steuerstrafverfahren umfaßt, während die Erhebung der Steuer nach § 1 GrEStG 1963 den Landkreisen und den kreisfreien Städten obliegt. Der Erlaß der Steuer im Erhebungsverfahren ist hiernach eindeutig Sache der Landkreise und der kreisfreien Städte. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß zur Steuerfestsetzung auch der Verzicht auf die Steuerfestsetzung und die Festsetzung der Steuer in geringerer Höhe aus Billigkeitsgründen gehört, wenn hierfür Richtlinien des Finanzministers mit Zustimmung des Innenministers nach § 17a Abs. 4 GrEStG 1963 vorliegen.

Wenn die Zuständigkeit der FÄ für derartige Billigkeitsmaßnahmen auch nicht ausdrücklich ausgesprochen wird, so folgt dies jedoch aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 4 des § 17a GrEStG 1963. Können Richtlinien für den Verzicht auf eine Steuerfestsetzung und für die Festsetzung einer Steuer in geringerer Höhe erlassen werden, so können diese sich nur an die FÄ wenden, da diese allein nach § 17a Abs. 1 GrEStG 1963 über die Festsetzung einer Steuer zu entscheiden haben. Dies wird auch deutlich bei einem Rückgriff auf die Materialien der Novelle vom 17. Dezember 1963. In der Begründung zu § 17a GrEStG 1963 heißt es (Drucksache II/74 der Drucksachen des Landtages Rheinland-Pfalz aus der V. Wahlperiode):

"Absatz 4 eröffnet die Möglichkeit zu Billigkeitsmaßnahmen im Rahmen der Steuerfestsetzung. Ohne eine solche Bestimmung würde die allgemeine Regelung des § 131 der AO gelten, wonach auch in diesen Fällen die Landratsämter und die Stadtverwaltungen der kreisfreien Städte zuständig wären. Im Hinblick auf die beabsichtigte Aufteilung der Steuerverwaltung zwischen den Finanzämtern und den Steuergläubigern ließe sich ein solches Verfahren jedoch nicht praktizieren. Es ist deshalb notwendig, die zuständigen Fachminister zum Erlaß von Richtlinien für eine niedrigere Festsetzung der Steuer im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen zu ermächtigen."

In diesen Ausführungen kommt die Auffassung der Landesregierung zum Ausdruck, daß für die in § 17a Abs. 4 GrEStG 1963 vorgesehenen Billigkeitsmaßnahmen die Zuständigkeit der FÄ gegeben sein soll. Hätte diese Auffassung im Gesetz auch deutlicher zum Ausdruck gebracht werden können, so ist es dem Gericht gleichwohl erlaubt, die Gesetzesmaterialien zur Unterstützung bei der Auslegung heranzuziehen, um auf den objektiven Gesetzesinhalt zu schließen, weil der Wille des Gesetzgebers im Gesetzestext noch einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (Beschluß BVerfG vom 17. Mai 1960 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126).

Sind danach die FÄ für die in § 17a Abs. 4 GrEStG 1963 angesprochenen Billigkeitsmaßnahmen zuständig, so kann keine Rede davon sein, daß der gemeinsame Runderlaß vom 13. Januar 1964 in Verbindung mit den Richtlinien vom 12. Oktober 1953 die Zuständigkeit der FÄ entgegen dem Gesetz erweitert. Das Gesetz hat die FÄ für die Anwendung von Billigkeitsrichtlinien, die auf Grund des § 17a Abs. 4 GrEStG 1963 ergehen, im Rahmen der Steuerfestsetzung für zuständig erklärt. Der Erlaß des Finanzministers vom 12. Oktober 1953 ist eine solche Billigkeitsrichtlinie.

2. Auch der Hinweis des FG auf die zur Gewerbesteuer ergangenen Urteile des BFH vom 9. Januar 1962 I 101/60 S (BFHE 74, 641, BStBl III 1962, 238) und vom 25. Mai 1962 I 129/59 S (BFHE 75, 632, BStBl III 1962, 497) führt zu keiner anderen Beurteilung der Rechtsfrage. Der I. Senat des BFH hat allerdings aus dem Zusammenhang der Sätze 1 und 2 des § 131 Abs. 1 AO gefolgert, daß das Recht nach Satz 2 das Bestehen der Befugnis nach Satz 1 voraussetzt, und deshalb angenommen, daß allein die Gemeinden zu Maßnahmen nach § 131 Abs. 1 Satz 2 AO bei der Gewerbesteuer befugt seien, weil ihnen im konkreten Fall die Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer übertragen worden sei.

Abgesehen davon, daß im vorliegenden Fall nur die Erhebung, nicht aber die Festsetzung der Grunderwerbsteuer den Landkreisen und kreisfreien Städten übertragen worden ist, liegen die Verhältnisse auch deshalb anders, weil der rheinland-pfälzische Gesetzgeber jedenfalls für die Frage der Behördenzuständigkeit den Zusammenhang zwischen den Sätzen 1 und 2 des § 131 Abs. 1 AO für die Grunderwerbsteuer gelöst hat, wie sich aus § 17a Abs. 1, 4 GrEStG 1963 ergibt. Dazu war er auch berechtigt, da § 131 AO für die Grunderwerbsteuer zum damaligen Zeitpunkt als Landesrecht galt (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Rheinland-Pfälzischen Landesgesetzes über die Anwendung von bundesrechtlichen Vorschriften des allgemeinen Abgabenrechts vom 3. Dezember 1954 - GVBl S. 154 - in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 GG in der vor dem 1. Januar 1970 geltenden Fassung und § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Rheinland-Pfälzischen Kommunalabgabengesetzes vom 8. November 1954 - GVBl S. 139 -). Aus diesem Grunde kann aus den genannten Urteilen des I. Senats, die zur Gewerbesteuer ergangen sind, nichts für die rheinland-pfälzische Grunderwerbsteuer hergeleitet werden.

3. Das beklagte FA hat jedoch aus einem anderen Grund fehlerhaft gehandelt. Verfahrensmäßig richtig war allerdings, daß es in den Erläuterungen des Steuerbescheides auch den begehrten Grunderwerbsteuererlaß ablehnte. Der Senat folgt hier für das rheinland-pfälzische Grunderwerbsteuergesetz der vom IV. Senat zu § 131 Abs. 1 Satz 3 AO und vom I. Senat zu § 131 Abs. 1 Satz 2 AO vertretenen Auffassung, daß die Entscheidung über die Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen Bestandteil der Steuerfestsetzung ist oder jedenfalls sein kann - so der I. Senat - (BFH-Urteile vom 6. Mai 1971 IV R 59/69, BFHE 102, 493, BStBl II 1971, 664, und vom 28. Juni 1972 I R 182/69, BFHE 106, 427, BStBl II 1972, 819; vgl. auch das Urteil des VIII. Senats vom 24. Oktober 1972 VIII R 32/67, BFHE 108, 39, BStBl II 1973, 233).

Hieraus folgt, daß die im Steuerbescheid ausgesprochene Ablehnung der Billigkeitsmaßnahme nur im Rahmen des Einspruchsverfahrens angefochten werden konnte. Zu beanstanden ist deshalb, daß das FA diese Frage aus dem Einspruchsverfahren dadurch ausschied, daß es den begehrten Erlaß der Steuer nochmals in einer gesonderten Verfügung ablehnte und den Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrung auf den Beschwerdeweg zur OFD verwies.

Der erkennende Senat hält es allerdings für unvertretbar, die Folgen der Aufspaltung des Rechtsbehelfsverfahrens, die das FA verursacht hat, dem Kläger aufzubürden. Weder das FA noch der Kläger konnten die Rechtsprechung des BFH über die Eingleisigkeit des Rechtsbehelfsverfahrens bei Billigkeitsmaßnahmen im Steuerfestsetzungsverfahren voraussehen. Dem Kläger kann deshalb nicht angelastet werden, daß er den Weg beschritten hat, den ihm das FA in der Rechtsbehelfsbelehrung, die der dem Steuererlaß ablehnenden besonderen Verfügung beigefügt war, gewiesen hat. Der Senat erachtet es unter diesen besonderen Umständen für zulässig, daß die Aufspaltung des Rechtsbehelfsverfahrens auch von den Gerichten beachtet wird, wenn wegen Rechtskraft der Entscheidung des FG in dem der Einspruchsentscheidung folgenden Prozeß die Zusammenführung beider Rechtsbehelfsverfahren nicht mehr möglich ist. In dem vom IV. Senat entschiedenen Fall IV R 59/69 lag der Sachverhalt insofern anders, als der Einspruch gegen den Steuerbescheid noch beim FA anhängig war, als der Senat über die Billigkeitsmaßnahme zu entscheiden hatte. Er konnte deshalb annehmen, daß die ganze Sache zu ihm gelangt sei.

Die Revision des FA führt zur Zurückverweisung der Sache an das FG, weil dieses bisher in eine materielle Prüfung der Klage nicht eingetreten ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70859

BStBl II 1974, 370

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