Leitsatz (amtlich)

1. Ist ein grunderwerbsteuerbarer Erwerbsvorgang vorerst, z. B. wegen beabsichtigter Errichtung eines steuerbegünstigten Gebäudes, von der Besteuerung ausgenommen, so entsteht die Grunderwerbsteuerschuld erst mit Wegfall des steuerbegünstigten Zweckes.

2. Wird ein zunächst steuerbegünstigt erworbenes Grundstück vor Erfüllung des steuerbegünstigten Zweckes rückveräußert, so beginnt die Zweijahresfrist des § 17 Abs. 2 Satz 1 GrEStG nicht schon mit rechtswirksamem Abschluß des vorausgegangenen Erwerbsvorganges, sondern erst mit dem Zeitpunkt des Wegfalls des steuerbegünstigten Zweckes für diesen Erwerbsvorgang.

 

Normenkette

GrEStG § 17 Abs. 2 Nr. 1; badenwürttembergisches Erstes Gesetz über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau vom 21.9.1953 - I. GrEStWG – (GesBl S. 147) § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 6; StAnpG § 3 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Grundstückserwerb des Klägers durch Vertrag vom 22. Juli 1958 – genehmigt am 6. August 1958 – war antragsgemäß nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des badenwürttembergischen Ersten Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnunbsbau vom 21. September 1953 – I. GrEStWG – (Gesetzblatt S. 147 – GesBl 147) von der Besteuerung ausgenommen worden. Durch notariellen Vertrag vom 12. Juli 1960 veräußerte der Kläger das Grundstück zur Hälfte an Dritte; die andere Hälfte erwarb der frühere Eigentümer zurück, der am 8. Mai 1961 wieder als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wurde. Das FA unterwarf nunmehr den Erwerbsvorgang von 1958 in vollem Umfang gemäß § 6 des 1. GrEStWG der Grunderwerbsteuer.

Der Einspruch, mit dem der Kläger hinsichtlich der Rückübertragung des halben Grundstücks auf den früheren Eigentümer Nichterhebung der Grunderwerbsteuer gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG beantragte, war erfolglos.

In der Einspruchsentscheidung vertrat das FA die Auffassung, die Steuerschuld für den streitigen Erwerbsvorgang sei am 6. August 1958 (Zeitpunkt der Genehmigung) entstanden, so daß im Zeitpunkt des Rückerwerbs durch den früheren Eigentümer (Grundbuchumschreibung am 8. Mai 1961) die Zweijahresfrist des § 17 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG abgelaufen gewesen sei.

Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte die Grunderwerbsteuer auf die Hälfte herab, da die Steuerschuld erst mit der Weiter- bzw. Rückveräußerung am 12. Juli 1960 entstanden sei, die Zweijahresfrist erst mit diesem Zeitpunkt begonnen habe, also im Zeitpunkt der Grundbuchumschreibung (8. Mai 1961) noch nicht abgelaufen gewesen sei.

Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rb. rügt das FA (Beklagter), das FG habe den Begriff „Entstehung der Steuerschuld für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang” in § 17 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG verkannt, der nur im Sinne des Wirksamwerdens eines steuerbaren Vorganges, also des vorausgegangenen Verpflichtungsgeschäfts verstanden werden könne. Dies sei der Zeitpunkt des „Eintritts der Steuerpflicht”, den allein der Gesetzgeber in § 6 Abs. 3 des I. GrEStWG mit dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld gemeint haben könne, wie auch die Neufassung des § 6 des I. GrEStWG durch § 9 Nr. 3 des II. GrEStWG vom 20. Juli 1962 (GesBl 74) ergebe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Rb. – jetzt Revision – des Beklagten ist nicht begründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Steuerschuld für den streitigen Erwerbsvorgang vom Juli 1958 auch im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG erst mit der Weiter- bzw. mit der Rückveräußerung des Grundstücks am 12. Juli 1960 entstanden ist. Der erkennende Senat hat in den vom FG zitierten Urteil II 166/57 U vom 4. November 1958 (BFH 68, 251, BStBl III 1959, 98) – jedoch lediglich im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Steuerbefreiung im allgemeinen eine endgültige ist oder nicht – bemerkt, daß für die Grunderwerbsteuer-Befreiung grundsätzlich die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld maßgebend sind. Bereits in diesem Urteil ist (etwas später) ausgeführt, daß in den Fällen, in denen ein Erwerbsvorgang nach den Ländergesetzen über die Befreiung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues zunächst von der Besteuerung ausgenommen ist, „die Steuerpflicht unter anderem eintritt, wenn der steuerbegünstigte Zweck innerhalb bestimmter Fristen aufgegeben wird”. Auch in dem Urteil des Senats II 146/61 U vom 21. Dezember 1961 (BFH 74, 431, BStBl III 1962, 162) bedeutet nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe die Gleichsetzung des Zeitpunktes der Entstehung der Steuerschuld mit dem Zeitpunkt des (zivilrechtlich wirksamen) „Erwerbs”, daß in den Fällen eines nicht nur der Grunderwerbsteuer „unterliegenden” (das ist gleich grunderwerbsteuer baren; vgl. § 1 Abs. 1 Einleitungssatz GrEStG), sondern auch steuer pflichtigen Erwerbs als Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld der Zeitpunkt anzusehen ist, in dem das Verpflichtungsgeschäft endgültig zustandegekommen ist, bei bedingten oder genehmigungspflichtigen Erwerbsvorgängen also im Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung bzw. der (letzten) Genehmigung (vgl. den drittletzten Absatz des o. a. Urteils II 146/61 U). In Ergänzung dieser Urteile hat der Senat deshalb in dem Urteil II 15/62 vom 7. April 1965 (HFR 1965, 418) klargestellt, daß in den Fällen, in denen ein grunderwerbsteuerbarer Vorgang (endgültig oder vorerst) von der Besteuerung ausgenommen ist, die grunderwerbsteuerrechtlich erheblichen Fragen (zunächst) nach dem Zeitpunkt zu entscheiden sind, in dem die Steuerschuld entstanden wäre, wenn der Erwerbsvorgang nicht steuerbefreit wäre. Andererseits hat der Senat in diesem Urteil zum niedersächsischen GrEStWG 1952 ausdrücklich entschieden, daß die Steuerschuld in derartigen Fällen erst mit der Aufgabe des steuerbegünstigten Zweckes entsteht (§ 3 Abs. 1 StAnpG). Bis zum Wegfall des steuerbegünstigten Zweckes ist eine Steuerschuld überhaupt nicht, also auch nicht als „aufschiebend bedingt” entstanden (vgl. für einen genehmigungspflichtigen Erwerbsvorgang bereits Urteil des BFH II 92/51 U vom 10. August 1951, BFH 55, 592, BStBl III 1951, 238; ferner Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, 9. Aufl., § 4 StAnpG, Anm. 2 [4], Anm. 4 [7], Anm. 6 [1]). Die Einleitungsworte in § 1 Abs. 1 des I. GrEStWG „von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz sind auf Antrag ausgenommen” bedeutet deshalb nicht nur – wie offenbar das FA meint –, daß zunächst eine (entstandene) Steuer lediglich unter „Ausnahme vom Besteuerungs verfahren” nicht im Sinne des § 3 Abs. 2 StAnpG „festgesetzt” werden dürfe. Der Erwerbsvorgang „wird” vielmehr erst „steuerpflichtig”, „wenn der steuerbegünstigte Zweck innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb … aufgegeben wird” (§ 6 Abs. 1, besonders Nrn. 2 und 5 des I. GrEStWG). Im selben Sinne sprechen § 6 Abs. 2 des I. GrEStWG vom „Eintritt der Steuerpflicht” und § 6 Abs. 4 des I. GrEStWG vom „Erwerb des Grundstücks bis zur Entstehung der Steuerschuld”. Aus der Verwendung des Ausdrucks „vom Erwerb bis zum Eintritt der Steuerpflicht” in dem durch § 9 Nr. 3 des II. GrEStWG neugefaßten § 6 Abs. 2 des I. GrEStWG kann deshalb nicht mit dem FA geschlossen werden, daß das Gesetz zwischen Entstehung der Steuerschuld (schon im Zeitpunkt des wirksamen Erwerbs) und Eintritt der Steuerpflicht (im Zeitpunkt des Wegfalls des steuerbegünstigten Zwecks) habe unterscheiden wollen. Sollte dem FA vorgeschwebt haben, daß durch einen grunderwerbsteuerbaren Erwerbsvorgang ein „Steuerpflichtverhältnis” (auch „Steuerrechtsverhältnis”) zwischen den am Erwerbsvorgang Beteiligten und dem FA entstanden ist (vgl. hierzu Becker-Riewald-Koch, a. a. O., § 97 AO, Anm. 1 [4], und Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. bis 3. Aufl., § 97 AO, Tzn. 2 bis 10; v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 1. bis 5. Aufl., vor § 97 AO, Tz. 3), so ändert ein solches (allgemeines) Steuerpflichtverhältnis für den streitigen Fall nichts daran, daß die Steuerpflicht erst eintritt, d. h. die Steuerschuld erst entsteht mit Wegfall des steuerbegünstigten Zweckes. Auch der Hinweis des FA, die der Erhebung von Stundungszinsen gleichkommende Zuschlagspflicht gemäß § 6 Abs. 4 des I. GrEStWG setze die Entstehung der Steuerschuld bereits mit Abschluß des Verpflichtungsgeschäfts voraus, schlägt nicht durch. Gerade weil die Steuerschuld in diesem Zeitpunkt noch nicht entsteht, bedurfte es einer ausdrücklichen Gesetzesvorschrift für die rückwirkende Erhebung eines Zuschlags.

Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ist eindeutig. Der Beginn der Zweijahresfrist ist an den Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang geknüpft. Schon nach dem Sinn der vorstehenden Ausführungen ist es nicht statthaft, die Worte „Entstehung der Steuerschuld” mit dem FA umzudeuten in „Wirksamwerden eines steuerbaren Vorganges”. Eine Auslegung dieser Vorschrift gegen ihren Wortlaut zuungunsten des Steuerpflichtigen kommt für die an den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers gebundenen Steuergerichte (vgl. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG –) nicht in Betracht. Die wortgetreue Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG führt nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis. Auf diese Weise kann der Erwerber, der die steuerbegünstigende Fünfjahresfrist des § 6 des I. GrEStWG voll ausnutzen darf, noch bei Aufgabe des steuerbegünstigten Zwecks prüfen, ob er nunmehr durch Rückübertragung des Grundstücks innerhalb von zwei Jahren von der Vergünstigung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG Gebrauch machen will, während er sich andernfalls bereits vor Ablauf der Fünfjahresfrist zu diesem Schritt entschließen müßte.

Da die Revision des Beklagten bereits aus diesen Gründen zurückzuweisen war, war auf die vom Kläger vertretene Auffassung, der Rückerwerb im Sinne des § 17 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG müsse bereits mit der Rückauflassung als eingetreten gelten, nicht mehr einzugehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 557413

BStBl II 1968, 416

BFHE 1968, 43

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