Entscheidungsstichwort (Thema)

Werbungskostenabzug von Erschließungsaufwand

 

Leitsatz (NV)

Erschließungsaufwand für die Umgestaltung einer Straße zur verkehrsberuhigten Zone gehört zu den Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, wenn Substanz oder Wesen des vermieteten Grundstücks durch die baulichen Maßnahmen unverändert bleiben.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die Klägerinnen und Revisionsbeklagten (Klägerinnen) sind Eigentümerinnen eines bebauten Grundstücks in X, mit dem sie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielen. Die Straße, in der sich ihr Gebäude befindet, wurde umgestaltet, indem die Gehsteige abgesenkt und Verkehrsbeschränkungen angeordnet wurden. Die Stadt X verpflichtete die Klägerinnen durch Bescheide vom 17. November 1987 zur Zahlung eines Straßenausbaubeitrags von 7 055,65 DM, den diese im Streitjahr (1988) entrichteten. In der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Streitjahr machten die Klägerinnen den genannten Betrag als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Satz 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Klägerinnen haben keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat zu Recht den strittigen Straßenausbaubeitrag gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerinnen aus Vermietung und Verpachtung zum Abzug zugelassen und diese Aufwendungen nicht zu den Anschaffungskosten für Grund und Boden gerechnet.

1. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung bilden grundsätzlich alle Aufwendungen Werbungskosten, bei denen objektiv ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit der Vermietung und Verpachtung besteht und die subjektiv zur Förderung der Nutzungsüberlassung gemacht werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 8. Dezember 1992 IX R 68/89, BFHE 170, 134, BStBl II 1993, 434). Als Werbungskosten abziehbar sind grundsätzlich auch Aufwendungen, die den Grund und Boden betreffen; denn bei der Vermietung von Gebäuden gehört die damit verbundene Nutzungsüberlassung von Grund und Boden zum Einkünftetatbestand des § 21 Abs. 1 EStG (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 1991 IX R 30/89, BFHE 164, 364, BStBl II 1991, 761 zu Schuldzinsen für die Finanzierung eines unbebauten Grundstücks).

2. Zu den Werbungskosten zählen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 EStG auch öffentliche Abgaben, soweit sie sich auf Gebäude oder auf Gegenstände beziehen, die dem Steuerpflichtigen zur Einnahmeerzielung dienen. Sofort als Werbungskosten abziehbare Aufwendungen sind nach dieser Vorschrift auch Erschließungsbeiträge, sofern sie nicht als nachträgliche Anschaffungskosten auf den Grund und Boden anzusehen sind.

3. Beiträge zur Finanzierung erstmals durchgeführter Erschließungsmaßnahmen sind nach ständiger Rechtsprechung den Anschaffungskosten von Grund und Boden zuzurechnen (z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 2. Mai 1990 VIII R 198/85, BStBl II 1991, 448 m. w. N.). Werden hingegen vorhandene Erschließungseinrichtungen ersetzt oder modernisiert, so führen Erschließungsbeiträge nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten, es sei denn, das Grundstück wird durch die Maßnahme "in seiner Substanz oder in seinem Wesen" verändert (BFH-Urteil in BStBl II 1991, 448). Der Charakter eines Grundstücks wird durch grundstücksbezogene Kriterien bestimmt, insbesondere durch Größe, Lage, Zuschnitt, Erschließung und Grad der Bebaubarkeit. Solange diese unverändert bleiben, werden Substanz oder Wesen des Grundstücks nicht berührt (Urteil des BFH vom 27. Oktober 1993 I R 65/92, BFH/NV 1994, 471). Nicht entscheidend ist, ob die Maßnahme zu einer Werterhöhung des Grundstücks geführt hat. Der VIII. Senat hat seine im Urteil vom 16. November 1982 VIII R 167/78 (BFHE 137, 55, BStBl II 1983, 111) vertretene gegenteilige Rechtsauffassung mit der Entscheidung in BStBl II 1991, 448 aufgegeben.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die Grundsätze der zu Erschließungsmaßnahmen im betrieblichen Bereich ergangenen vorstehenden Urteile sind auch bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anwendbar, da der Begriff der Anschaffungskosten (§ 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches) bei den Vermietungseinkünften keinen anderen Inhalt hat als bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb (Senatsurteil vom 24. Februar 1987 IX R 114/82, BFHE 149, 233, BStBl II 1987, 810).

4. Das FG ist aufgrund seiner tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Streitfalles zu der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Schlußfolgerung gelangt, daß das Grundstück der Klägerinnen durch die strittige nachträgliche Erschließungsmaßnahme in seiner Substanz oder in seinem Wesen nicht verändert worden ist. Der BFH kann als Revisionsgericht nicht seine eigene Tatsachenwürdigung an die Stelle der Würdigung des FG setzen, wenn diese -- wie im Streitfall -- möglich ist (BFH-Urteil vom 27. August 1991 VIII R 84/89, BFHE 165, 330, BStBl II 1992, 9; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Rz. 39 ff.). Die Beurteilung des FG ist damit gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend. Es hat zur Grundstückssituation in tatsächlicher Hinsicht ausgeführt, daß die Straße schon vor der Erschließungsmaßnahme vorhanden gewesen war und daß lediglich die Gehsteige abgesenkt wurden. Eine wesentliche Änderung des Charakters des Grundstücks ist demnach nicht eingetreten. Straßenverkehrsrechtliche Regelungen (Verkehrsbeschränkung) bleiben außer Betracht, da der Straßenbaukostenbeitrag nicht hierfür, sondern für die bauliche Umgestaltung der Straße erhoben wurde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65299

BFH/NV 1995, 100

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