Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnsteuerhaftung des GmbH-Geschäftsführers

 

Leitsatz (NV)

Zur Haftung des alleinigen Geschäftsführers einer GmbH für einbehaltene, aber nicht abgeführte Lohnsteuern der Arbeitnehmer der GmbH; zur haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des Geschäftsführers.

 

Normenkette

AO § 109 Abs. 1, § 103; AO 1977 § 191 Abs. 1 S. 1; EStG § 38 Abs. 3, § 41a Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Kläger war alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH, die Anfang März 1976 aufgelöst wurde. Masse war, wie der Liquidator dem Finanzamt - FA - auf Zahlungsaufforderung mitteilte, nicht vorhanden. Die GmbH gab letztmals für die Monate Oktober, November und Dezember 1975 Lohnsteueranmeldungen ab, mit Angabe von Steuerabzugsbeträgen. Das FA nahm den Kläger durch Haftungsbescheid vom 2. Juni 1980 wegen der für Oktober bis Dezember 1975 rückständig gebliebenen Lohnsteuern und evangelischen Kirchensteuern und wegen Säumniszuschlägen als Haftenden in Anspruch. Der Einspruch hatte keinen, die Klage nur hinsichtlich der Säumniszuschläge Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Voraussetzungen der Haftung für die im Haftungsbescheid festgesetzten Steuerabzugsbeträge seien gegeben; der Kläger hafte nach § 109 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) neben der GmbH, da er als Geschäftsführer seine Verpflichtung aus § 38 Abs. 3, § 41 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), § 103 AO schuldhaft verletzt habe, wodurch Steueransprüche verkürzt worden seien. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß - entsprechend der Behauptung des Klägers - für die Monate Oktober bis Dezember 1975 Löhne nicht ausgezahlt worden seien. Die Lohnsteueranmeldungen der GmbH für die Monate Oktober bis Dezember 1975 enthielten unterschiedliche Steuerbeträge, gekürzt um an Arbeitnehmer ausgezahlte Zulagen nach dem Dritten Vermögensbildungsgesetz. Es widerspreche der Lebenserfahrung, daß ein Arbeitgeber Lohnsteueranmeldungen für Zeiträume abgebe, für die Löhne nicht ausbezahlt worden seien. Da zur Zeit des Eingangs der Anmeldungen beim FA - 19. Januar 1976 - sämtliche Anmeldungszeiträume abgelaufen gewesen seien, könne nicht angenommen werden, daß die Anmeldungen in Kenntnis einer Nichtauszahlung der zugrunde liegenden Löhne eingereicht wurden. Auch, weil später keine Berichtigungen der Steuererklärungen erfolgt seien, müsse von ihrer Richtigkeit, damit von der Auszahlung der Löhne, ausgegangen werden. Die Behauptung des Klägers, für den streitigen Zeitraum hätten wegen Liquiditätsschwierigkeiten der GmbH Löhne nicht ausgezahlt werden können, erscheine nach den Feststellungen nicht glaubhaft. Unter anderem stehe fest, daß die GmbH dem FA noch am 18. November 1975 einen Scheck über . . . zur Begleichung von Steuerschulden eingereicht und weitere Steuerzahlungen in Aussicht gestellt habe. Trotz gerichtlicher Aufklärungsbemühungen hätte nicht bewiesen werden können, daß Löhne für Oktober bis Dezember 1975 nicht ausgezahlt werden konnten. Insbesondere sei der Kläger der Aufforderung, ehemalige Arbeitnehmer der GmbH sowie Arbeitsgerichtsverfahren zu benennen, in denen wegen nicht gezahlter Löhne gestritten worden sei, bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nicht nachgekommen. Erst mit einem nach der mündlichen Verhandlung gefertigten Schriftsatz habe der Kläger die Beiziehung bestimmter Akten eines Arbeitsgerichts beantragt. Diese verspätet vorgebrachten Beweismittel seien zurückzuweisen. Selbst wenn der Kläger Ende 1975 nicht mehr in der Lage gewesen sein sollte, die streitigen Lohnsteuerbeträge an das FA abzuführen, stehe dies seiner Haftung wegen grobfahrlässiger Pflichtverletzung nicht entgegen. Wenn die ihm zur Verfügung stehenden Mittel der GmbH nicht ausgereicht hätten, so hätte der Kläger die Löhne entsprechend kürzen und die Steuern vom tatsächlich ausgezahlten niedrigeren Betrag berechnen, einbehalten und abführen müssen. Da der Kläger als Geschäftsführer grobfahrlässig Steuerabzugsbeträge verkürzt habe, sei seine Heranziehung als Haftungsschuldner auch unter Ermessensgesichtspunkten gerechtfertigt. Eine Inanspruchnahme der GmbH verspreche keinen Erfolg.

Mit der Revision gegen dieses Urteil macht der Kläger geltend, ein Haftungstatbestand nach § 42 d EStG sei nicht gegeben. Das FA habe sein Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt und Ermessenserwägungen nicht dargelegt. Bei nur wenigen Beschäftigten sei der Erlaß eines Haftungsbescheids gegen den Arbeitnehmer grundsätzlich unberechtigt. Das FA hätte zudem die ihm bekannten Arbeitnehmer der GmbH belangen müssen, falls Steueransprüche bestanden haben sollten. Es sei aber, zumindest aus den Lohnsteuerrückvergütungsanträgen, darüber unterrichtet gewesen, daß keine Löhne bezahlt worden waren. Statt selbst die ,,Arbeitsunterlagen" für die lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer der GmbH vorzulegen, habe das FA seinen - des Klägers - Beweisnotstand ausgenutzt und sich auf Lohnsteueranmeldungen berufen, die irrtümlich abgegeben worden seien, weil er selbst sich auf ,,Hauptanliegen" habe konzentrieren müssen, die GmbH aber wegen ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht mehr über qualifiziertes Personal verfügt habe. Das FA habe nicht dargetan, daß ihm - Kläger - hinreichende Mittel zur Steuerentrichtung zur Verfügung gestanden hätten. Die von der GmbH bewirkten Zahlungen seien durch Bankkredite ermöglicht worden, die Zahlung von . . . DM sei aus dem persönlichen Vermögen der Gesellschafter erfolgt. Die Verspätung seines Vorbringens müsse als entschuldigt angesehen werden, weil er - Kläger - keine Unterlagen gehabt habe, ihm auch jegliche Anhaltspunkte fehlten und weil das FA, obwohl dazu imstande, nichts zur Aufklärung beigetragen, im Gegenteil Gutschriften zunächst verschwiegen habe. In dem Vorgehen des FA, das Steuern fordere, von denen es selbst aufgrund seiner Unterlagen wisse, daß diese nicht geschuldet seien, liege eine unzulässige Rechtsausübung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat die Klage, soweit sie sich gegen die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner für Lohnsteuern der Arbeitnehmer der GmbH für die Zeit vom Oktober bis Dezember 1975 richtet, aus zutreffenden Gründen abgewiesen. Die Haftungsvoraussetzungen sind in der Person des Klägers erfüllt, auch läßt die Inanspruchnahme des Klägers Ermessensfehler nicht erkennen.

Die Haftung des Klägers beruht nicht, wie die Revision annimmt, auf § 42 d EStG, der die Haftung des Arbeitgebers - hier: der GmbH - für Lohnsteuern der Arbeitnehmer begründet, sondern, wie das FG richtig erkannt hat, auf den im Streitfall anzuwendenden einschlägigen Haftungsvorschriften der AO (vgl. Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung), nämlich auf § 109 Abs. 1, § 103 i. V. m. § 38 Abs. 3, § 41 a Abs. 1 Nr. 2 EStG und § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung.

Der Kläger - seinerzeit Geschäftsführer, damit gesetzlicher Vertreter der GmbH - hat die ihn hiernach treffende Verpflichtung zur Abführung einbehaltener Steuerabzugsbeträge schuldhaft verletzt und durch Steueransprüche verkürzt.

Das FG ist davon ausgegangen, daß Löhne in dem fraglichen Zeitraum tatsächlich ausgezahlt worden, Steueransprüche mithin entstanden waren. An die zugrunde liegenden Feststellungen der Vorinstanz über die Abgabe der Lohnsteueranmeldungen - nach Ablauf der jeweiligen Lohnsteuer-Anmeldungszeiträume (§ 41a Abs. 1 EStG) - und ihren Inhalt sowie die nicht erfolgte Berichtigung dieser Steuererklärungen ist der Senat gebunden, weil insoweit durchgreifende Revisionsgründe nicht vorgebracht worden sind (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das gleiche gilt für die darauf beruhende Beurteilung der in den Anmeldungen enthaltenen Angaben, die das FG für richtig befunden hat, mit dem Ergebnis, daß von der Auszahlung der Löhne auszugehen ist. Diese Bindung entfiele nur, wenn die Folgerungen des FG mit den Denkgesetzen oder mit Erfahrungssätzen unvereinbar wären (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 1977, § 118 Anm. 10; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 118 FGO Tz. 55 mit Rechtsprechungsnachweisen). Davon kann indessen hier nicht die Rede sein. Die Folgerungen, die die Vorinstanz gezogen hat, sind vielmehr, wenn nicht zwingend, so jedenfalls möglich. Die Revision beschränkt sich darauf, einen ungewöhnlichen Hergang, die Unrichtigkeit der Anmeldungen, ihre irrtümliche Abgabe zu behaupten; sie legt aber nicht etwa Gründe dar, die die Schlüsse des FG als denkgesetzlich ausgeschlossen erscheinen ließen.

Grundlage der Beurteilung bleiben mithin die von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen und die auf ihnen gründende Würdigung der Tatumstände. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich der Revision die Rüge entnehmen läßt, das FG habe das - verspätete - Beweisvorbringen des Klägers zu Unrecht nicht berücksichtigt und dadurch gegen seine Aufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verstoßen. Wäre dies anzunehmen, so wäre diese Rüge nicht zulässig erhoben, weil der Kläger keine Tatsachen bezeichnet hat, die einen solchen Mangel ergeben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Der Kläger hat nicht dargetan, daß er die Verspätung vor dem FG genügend entschuldigt habe (vgl. Art. 3 § 3 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit). Die allgemeine Berufung auf seinen ,,Beweisnotstand" ist nicht geeignet, den erforderlichen substantiierten Vortrag von Tatsachen zu ersetzen.

Die Erfüllung der der GmbH als Arbeitgeber obliegenden Pflicht zur rechtzeitiger Abführung der - wie bindend festgestellt - einbehaltenen Lohnsteuer (§ 41 a Abs. 1 Nr. 2 EStG) oblag gemäß § 103 AO dem Kläger. Diese Pflicht wird durch Nichtabführung der Lohnsteuerbeträge - fremde Gelder für den Arbeitgeber, die dieser nur treuhänderisch einzieht - im allgemeinen ohne weiteres verletzt (Senat, Entscheidungen vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, 418, BStBl II 1982, 521, vom 17. Juli 1984 VII S 9/84, BFH/NV 1986, 583, Steuerrechtsprechung in Karteiform, § 69 AO 1977, Rechtsspruch 7, und vom 21. Mai 1985 VII R 100/82, BFH/NV 1986, 126). Die für die haftungsrechtliche Inanspruchnahme erforderliche Feststellung des Vorhandenseins hinreichender Mittel zur Entrichtung der Steuern (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Juli 1982 V R 7/76, BFHE 137, 1 f., BStBl II 1983, 249) ergibt sich bereits aus der Tatsache der Auszahlung der Nettolöhne. Hätten die Mittel nur dazu, nicht aber zur Abführung der Abzugssteuern an das FA gereicht, so hätten, wie das FG richtig entschieden hat, die Löhne lediglich gekürzt gezahlt werden dürfen, unter Entrichtung der darauf entfallenden Lohnsteuern an das FA (so schon BFH-Urteil vom 9. Dezember 1955 IV 397/54 U, BFHE 62, 176. 178, BStBl III 1956, 66 f.; vgl. auch Senat, Beschluß vom 12. Juli 1983 VII B 19/83, BFHE 138, 424, 426, BStBl II 1983, 655, mit Nachweisen).

Im übrigen haben der GmbH nach den Feststellungen der Vorinstanz tatsächlich Mittel zur Verfügung gestanden, so die mittels Schecks im November 1975 gezahlten . . . DM. Daß diese Zahlung, wie der Kläger angibt, aus dem persönlichen Vermögen der Gesellschafter erfolgt ist, spielt für die rechtliche Beurteilung keine Rolle.

Durch die Pflichtverletzung sind Steuern verkürzt, weil nicht abgeführt worden (§ 109 Abs. 1 AO); diese Pflichtverletzung beruhte auch auf Verschulden, und zwar nach den Feststellungen des FG auf grober Fahrlässigkeit (vgl. zum Verschuldensmaßstab auch Senat in BFHE 135, 416, 418, BStBl II 1982, 521).

Die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner war zwar nicht zwingend, aber möglich (§ 191 Abs. 1 der Abgabenordnung 1977). Die Entscheidung darüber, ob bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung der Haftende heranzuziehen sei, ist eine Ermessensentscheidung (BFH-Urteile vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, 128, BStBl II 1978, 508, 510, und vom 5. März 1981 II R 80/77, BFHE 133, 77, 79, BStBl II 1981, 471, 473), die gerichtlich nur beschränkt, nämlich nur auf Ermessensfehler überprüfbar ist (§ 102 FGO). Solche Fehler sind im Streitfalle nicht ersichtlich. Es bedarf keines Eingehens auf die Frage, ob die angefochtenen Verwaltungsakte Ermessenserwägungen , insbesondere zu der Auswahl des Klägers als Haftungsschuldner, enthalten, wie dies grundsätzlich erforderlich ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. September 1981 VI R 44/77, BFHE 134, 149, 152, BStBl II 1981, 801, 803). Denn es ist anerkannt, daß die haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Geschäftsführers einer GmbH, wenn dieser grobfahrlässig Steuern verkürzt hat, regelmäßig gerechtfertigt ist; in solchen Fällen brauchen die die Ermessensausübung bestimmenden Erwägungen nicht in Haftungsbescheid oder Einspruchsentscheidung aufgenommen zu werden, weil dann davon ausgegangen werden kann, daß das FA stillschweigend von seinem Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht hat (Urteil in BFHE 125, 126, 129, BStBl II 1978, 508; ständige Rechtsprechung). Da im Streitfalle von grober Fahrlässigkeit des Klägers ausgegangen werden muß, erübrigte sich eine nähere Darstellung der für seine Inanspruchnahme maßgebenden Gründe. Besondere Umstände, die es geboten erscheinen lassen könnten, vorrangig die Arbeitnehmer der GmbH zu belangen, sind jedenfalls nicht ersichtlich; für die Annahme eines Ausnahmefalles der im Urteil des BFH vom 15. November 1974 VI R 167/73 (BFHE 114, 342, BStBl II 1975, 297) behandelten Art, in dem wenige, im einzelnen bekannte Arbeitnehmer Einkünfte unterhalb der steuerpflichtigen Grenze hatten und das Verhalten des Arbeitgebers nicht grob leichtfertig war, fehlt jeder Anhaltspunkt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414809

BFH/NV 1987, 286

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