Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist ein Steuerbescheid vom Finanzgericht aufgehoben worden und hat der Vorsteher des Finanzamts hiergegen Rb. eingelegt, ist die Aufrechterhaltung vom Finanzamt im Vollstreckungswege erlangter Sicherheiten rechtlich nicht ausgeschlossen.

Für die Frage, ob die Aufrechterhaltung der Sicherheiten einen Ermessensverstoß darstellt, ist neben den Aussichten der Rb. vor allem maßgebend, ob bei Freigabe der verstrickten Vermögensgegenstände eine Erfüllung des Steueranspruchs im Falle seiner späteren Bestätigung gefährdet erscheint.

 

Normenkette

AO § 326; BeitrO § 55

 

Gründe

...

Zu prüfen bleibt, welche Bedeutung dem Umstande zukommt, daß während des Rechtsbeschwerdeverfahrens das Finanzgericht die Steuerbescheide, auf Grund deren das Finanzamt die Eintragung von Sicherungshypotheken erwirkt und Forderungen und Schmuck gepfändet hat, aufgehoben hat und damit die den Vollstreckungsmaßnahmen zugrunde liegenden Leistungsgebote weggefallen sind.

Zwar liegt entgegen der Ansicht der Bfin. eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache - wie sie auch während des Rechtsbeschwerdeverfahrens nach ständiger Rechtsprechung durch Beendigung der angegriffenen Vollstreckungsmaßnahmen eintreten kann und bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist - nicht vor. Denn die Vollstreckungsmaßnahmen, die zunächst lediglich zu einer Sicherung geführt haben, bestehen ungeachtet des die Steuerbescheide aufhebenden Urteils des Finanzgerichts fort und belasten weiterhin das Vermögen der Bfin.

Da aber in denjenigen Fällen, in denen während des Rechtsbeschwerdeverfahrens eine Erledigung der Hauptsache eintritt, dieser Umstand berücksichtigt wird und damit in ähnlicher Weise wie bei Entscheidungen über Arrestanordnungen (vgl. die Urteile des Bundesfinanzhofs IV 429/51 U und IV 27/52 U vom 21. Februar und 17. April 1952, BStBl 1952 III S. 90 und 1952, Slg. Bd. 56 S. 225 und 389) von der Regel, daß es auf den Stand der Dinge im Zeitpunkt der letzten Entscheidung der Verwaltung ankommt, abgewichen wird, dürfen im Rechtsbeschwerdeverfahren jedenfalls bei Maßnahmen mit anhaltender Wirkung, wie das bei Pfändungen der Fall ist, auch andere den Streitgegenstand berührende rechtserhebliche Ereignisse nicht außer acht gelassen werden. Andernfalls würde der Steuerpflichtige stets nur eine auf einen zurückliegenden Zeitpunkt bezogene Entscheidung erhalten, die vielfach überholt und damit für ihn nur von geringer oder gar keiner Bedeutung wäre, und er würde gezwungen sein, auf Grund einer eingetretenen änderung sich gegen den Fortbestand oder die Weiterführung von Maßnahmen mit anhaltender Wirkung mit neuen Rechtsmitteln zu wenden. Die Bfin. würde dann im Streitfalle nur eine Entscheidung darüber erhalten, ob die Oberfinanzdirektion die Ablehnung der Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen seinerzeit mit Recht gebilligt hat, müßte aber gegenüber der Weigerung des Finanzamts, die Maßnahmen auf Grund des die Steuerbescheide aufhebenden Urteils des Finanzgerichts aufzuheben, erneut Rechtsmittel einlegen, obwohl ein die Vereinbarkeit der Vollstreckungsmaßnahmen mit Recht und Billigkeit betreffender Rechtsstreit noch anhängig ist. Das würde die Erlangung von Rechtsschutz gegenüber Verwaltungsakten in wenig sinnvoller Weise erschweren.

Wird ein Steuerbescheid durch das Finanzgericht aufgehoben, so entfällt mit dem in ihm enthaltenen Leistungsgebot die Grundlage für eine Beitreibung der im Bescheid festgesetzten Steuer. Wie aber nach § 251 AO durch Einlegung eines Rechtsmittels die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht beeinträchtigt wird, so beeinträchtigt auch die Einlegung der Rb. durch den Vorsteher des Finanzamts nicht die Wirksamkeit des finanzgerichtlichen Urteils. Daher ist in diesem Falle von der im Urteil ausgesprochenen Aufhebung des Steuerbescheides auszugehen.

Im Einklang damit bestimmt § 55 Abs. 3 Ziff. 4 der Beitreibungsordnung (BeitrO) in Verbindung mit Abs. 1 und 2, a. a. O., daß die Vollstreckungsstelle, wenn ihr die Aufhebung eines Leistungsgebots angezeigt wird, Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben bzw. im Falle der Eintragung von Sicherungshypotheken dem Vollstreckungsschuldner zur Berichtigung des Grundbuchs behilflich zu sein hat. In Abs. 3 Ziff. 4 ist ausdrücklich gesagt, daß eine Rechtsmittelentscheidung die bezeichnete Wirkung auch dann hat, wenn sie noch nicht unanfechtbar geworden ist. Allerdings enthält die BeitrO - abgesehen von einigen Bestimmungen - nicht Rechts-, sondern Verwaltungsvorschriften, die für die Steuergerichte nicht bindend sind. Daher beantworten die genannten Vorschriften noch nicht die Frage, ob das Gesetz die Aufhebung getroffener Vollstreckungsmaßnahmen ohne Einschränkung verlangt.

In dieser Hinsicht ergeben sich Anhaltspunkte aus Rechtsprechung und Schrifttum zur Frage der Erstattung einer gezahlten Steuer im Falle der Berichtigung der Steuerfestsetzung durch Aufhebung oder änderung des früher erlassenen Bescheides im Rechtsmittelverfahren. § 151 AO sieht eine Erstattung der Steuer vor, ohne die Rechtskraft der ändernden Entscheidung zu verlangen. Während dementsprechend der frühere Reichsfinanzhof in seinem Urteil VI A 1117/25 vom 13. Januar 1926 (RStBl 1931 S. 833) nach Herabsetzung der Steuer durch das Finanzgericht einen Anspruch auf Erstattung ohne Einschränkung bejaht, hat er in seinem Urteil VI A 809/31 vom 20. Mai 1931 (RStBl 1931 S. 370, Slg. Bd. 28 S. 217) wie folgt entschieden: Wird ein eine Steuerfestsetzung enthaltendes Urteil des Finanzgerichts vom Reichsfinanzhof aufgehoben und die Sache zur weiteren Ermittlung an das Finanzgericht zurückverwiesen, so ist an sich der Steuerpflichtige berechtigt, die Erstattung der auf das Urteil des Finanzgerichts hin gezahlten Steuer zu verlangen. Das Finanzamt kann aber im Hinblick auf die Ungewißheit der Entscheidung über den noch in der Schwebe befindlichen Steueranspruch unter Berücksichtigung des derzeitigen Standes der Sache und von Recht und Billigkeit die Erstattung vorläufig ablehnen oder von einer Sicherheitsleistung abhängig machen. - Das Urteil I A 411/32 vom 17. Oktober 1933 (RStBl 1933 S. 1161), das einen Fall zum Gegenstand hatte, in dem das Finanzgericht die Steuer ermäßigt, aber die Verwaltung Rb. eingelegt hatte, hat sich den Grundsätzen des vorgenannten Urteils angeschlossen. Die Auffassung, daß bei Schweben der Rb. die Verwaltung nicht schlechthin zur Erstattung verpflichtet ist, vertreten auch Berger, Der Steuerprozeß, S. 343, und Friesecke in Steuer und Wirtschaft 1956 S. 874 ff.

Es kann dahingestellt bleiben, ob diesen Gedankengängen auf dem Gebiete der Erstattung, bei der es um die Rückgewähr zur Erfüllung von Steuerschulden bereits bewirkter Leistungen geht, uneingeschränkt zu folgen ist. Der darin zum Ausdruck gekommene Grundgedanke erscheint aber dem Senat jedenfalls ein geeigneter Ausgangspunkt auch für die im Streitfall auf dem Gebiet der Vollstreckung zu entscheidende Frage. Danach ist der Umstand zu berücksichtigen, daß zwar das einen Steuerbescheid aufhebende Urteil eines Finanzgerichts auch im Falle der Einlegung der Rb. durch den Vorsteher des Finanzamts wirksam ist, aber wegen seiner Anfechtung doch noch nicht endgültig entschieden ist, ob ein Steueranspruch besteht oder nicht, und daß dementsprechend der aufgehobene Steuerbescheid wieder aufleben kann, also ein Schwebezustand besteht. Nach Auffassung des Senats verbietet dieser Schwebezustand, zuungunsten des Steuerpflichtigen durch Einleitung neuer oder Weiterführung begonnener Vollstreckungsmaßnahmen die Erfüllung des streitigen Anspruchs weiterzubetreiben und damit die Wirksamkeit eines Gerichtsurteils außer acht zu lassen; auf der anderen Seite steht aber im Hinblick auf die Möglichkeit einer anderweitigen endgültigen Entscheidung die Aufrechterhaltung von Sicherungen des eventuellen Anspruchs des Steuergläubigers mit dem Gesetz nicht in Widerspruch (vgl. dazu auch Liman-Schwarz, Das Steuerbeitreibungsrecht, 3. Aufl., Anm. 4 - 6 zu § 55). Ob im Einzelfall erlangte Sicherungen aufrechterhalten werden dürfen, wird nicht nur von den Aussichten des schwebenden Rechtsmittels, sondern vor allem davon abhängen, ob bei der Freigabe der verstrickten Vermögensgegenstände die Erfüllung des Steueranspruchs im Falle seiner Bestätigung gefährdet erscheint. Im Streitfalle bot die Rb. der Verwaltung in dem den Steuerbescheid betreffenden Verfahren insofern gute Aussicht auf Erfolg, als sie sich auf eine in einer gleichliegenden Sache ergangene Entscheidung des Bundesfinanzhofs berufen konnte; das hat sich dadurch bestätigt, daß das Urteil des Finanzgerichts durch Urteil des Bundesfinanzhofs aufgehoben und der Rechtsstreit an das Finanzgericht zurückverwiesen worden ist, so daß die angefochtenen Steuerbescheide wieder bestehen und erst der weitere Verlauf des Rechtsmittelverfahrens über ihren Fortbestand entscheiden wird. Der Umstand aber, daß durch die Pfändungen der Verwaltung, wie oben ausgeführt, eine Sicherung der geltend gemachten erheblichen Steuerforderungen nur in geringem Umfang zu erzielen war, ließ befürchten, daß bei einer Freigabe auch dieser Sicherheiten, deren Verwertung sich durch das die Bescheide aufhebende Urteil des Finanzgerichts verbot, eine spätere Erfüllung nicht einmal im gleichen Umfang zu erwarten wäre.

Da somit die Aufrechterhaltung der nur eine Sicherung darstellenden Vollstreckungsmaßnahmen auch nach Erlaß des Urteils des Finanzgerichts weder einen Rechts- noch einen Ermessensmißbrauch darstellt, war die Rb., die nicht als in der Hauptsache erledigt anzusehen war, als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410332

BStBl III 1962, 142

BFHE 1962, 377

BFHE 74, 377

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