Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Steuerliche Betriebsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

Wird wegen einer rückständigen Steuer, die bei notwendiger Zusammenveranlagung nur in einem auf den Ehemann lautenden Einkommensteuerbescheid für I/1948 festgesetzt wurde, eine Zwangshypothek auf dem Grundstück der Ehefrau eingetragen und der Betrag bei der späteren Zwangsversteigerung deshalb dem Finanzamt zugeteilt, so ist diese Steuer gemäß § 152 AO wegen unheilbarer Nichtigkeit der Zwangsvollstreckungsmaßnahme auch dann zu erstatten, wenn das fehlende Leistungsgebot gegen die Ehefrau vor Durchführung der Zwangsversteigerung nachgeholt worden ist.

 

Normenkette

AO §§ 152, 157, 326 Abs. 5, § 326/3/1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Bfin. die Erstattung eines bei ihr beigetriebenen Betrages von 809,25 DM verlangen kann, den das Finanzamt im Zwangsversteigerungsverfahren wegen Rückständen an Einkommensteuer für I/1948 nebst Säumniszuschlägen gegen die Bfin. und ihren Ehemann geltend gemacht und zugewiesen erhalten hat.

Der Ehemann der Bfin. ist mit Bescheid vom 4. November 1949 mit 9.536 RM zur Einkommensteuer I/1948 veranlagt worden. Die Bfin. selbst hatte im Veranlagungszeitraum I/1948 keine eigenen Einkünfte. Der Bescheid erging nur gegen den Ehemann. Diese und andere Steuerschulden des in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Ehemannes der Bfin. sind zum Teil nicht gezahlt worden. Das Finanzamt hat deshalb zur Beitreibung der Steuerschulden durch Vollstreckungsantrag vom 14. November 1950 die Eintragung von Sicherungshypotheken auf einem den Eheleuten je zur Hälfte gehörigen Grundstück bewirkt, und zwar auf den Anteil der Bfin. die Eintragung einer Sicherungshypothek von 2.074 DM. Der Schuldbetrag setzte sich zusammen aus 745,10 DM Einkommensteuer für I/1948 nebst 64,15 DM Säumniszuschlägen und 964,75 DM Soforthilfeabgabe nebst 300 DM Säumniszuschlägen. Die Eintragung wurde am 28. November 1950 durch das Grundbuchamt vollzogen.

Auf die Beschwerde des Ehemannes der Bfin. vom 13. Oktober 1952 gegen die getroffenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, insbesondere auch gegen die Eintragung einer Sicherungshypothek auf dem Grundstücksanteil der Bfin., erwiderte die Oberfinanzdirektion am 6. Dezember 1952: "... Soweit Sie behaupten, daß weder gegen Sie noch gegen Ihre Ehefrau ein Leistungsgebot ergangen oder bekanntgegeben worden sei, kann Ihre Beschwerde nach Ablauf der Beschwerdefrist nicht mehr zur Aufhebung der bisher getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen führen." Gleichzeitig richtete die Oberfinanzdirektion an das Finanzamt folgendes Schreiben: "... Ich bitte, die fehlenden Leistungsgebote gegen die Ehefrau vor Ergreifung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen nachzuholen ..."

Dieses Leistungsgebot bezüglich der Einkommensteuer I/1948 mit zugehörigen Säumniszuschlägen wurde am 22. Januar 1953 der Bfin. zugesandt. über das dagegen eingelegte Rechtsmittel wurde noch nicht entschieden. Im April 1953 ist das Finanzamt dem Zwangsversteigerungsverfahren über das den Eheleuten gehörige Grundstück beigetreten. Auf Grund der Sicherungshypothek von 2.074 DM, die auf dem Grundstücksanteil der Bfin. eingetragen worden war, erhielt das Finanzamt dann aus dem Versteigerungserlös des Grundstücks am 25. Januar 1957 2.074 DM zugeteilt.

Mit dem vorliegenden Rechtsmittelverfahren beansprucht die Bfin. die Erstattung dieses Betrages.

Hinsichtlich der 964,75 DM Soforthilfeabgabe nebst Säumniszuschlägen wird auf das beim III. Senat anhängige gleichlaufende Rechtsbeschwerdeverfahren III 208/60 verwiesen. Die Bfin. wendet unter anderem ein, zur Einkommensteuer I/1948 sei nur ihr Ehemann veranlagt worden. Das gegen sie gerichtete Leistungsgebot vom 22. Januar 1953 habe einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Infolgedessen sei die Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen wegen Steuerschulden des Ehemanns unzulässig gewesen.

Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht vertrat die Auffassung, die streitigen Steuern seien bei der Bfin. zu Recht durch Zwangsversteigerung ihres Grundstücks beigetrieben worden, da durch das Leistungsgebot vom 22. Januar 1953 unter Hinweis auf § 26 EStG a. F. und § 7 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) klargestellt worden sei, daß die Bfin. als Gesamtschuldnerin für die im Einkommensteuerbescheid I/1948 festgesetzte Steuer hafte.

 

Entscheidungsgründe

Die dagegen eingelegte Rb. der Bfin. ist begründet.

Gemäß § 152 Abs. 1 AO ist unter anderem ein Steuerbetrag zu erstatten, der deshalb zu Unrecht beigetrieben wurde, weil das Zwangsverfahren gegen den, gegen den es gerichtet war, nicht hätte erfolgen dürfen. Das gleiche gilt gemäß § 157 AO für Säumniszuschläge.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Gemäß § 326 Abs. 5 AO darf die Zwangsvollstreckung erst beginnen, wenn dem Vollstreckungsschuldner die Verfügung, kraft deren er zur Zahlung aufgefordert wird, bekanntgegeben und seit der Bekanntgabe, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, mindestens eine Woche verstrichen ist. In der Entscheidung des Bundesfinanzhofs II 1967/52 S vom 30. September 1953 (BStBl 1953 III S. 312, Slg. Bd. 58 S. 54) gelangte der II. Senat des Bundesfinanzhofs zu dem Ergebnis, daß eine Zwangsvollstreckung vor Bekanntgabe des Leistungsgebotes wegen Verstoßes gegen § 326 Abs. 5 AO zu Unrecht vorgenommen und aus diesem Grunde auch dann aufzuheben ist, wenn später die Bekanntgabe des Leistungsgebotes nachgeholt wird. Der Beschluß geht davon aus, daß die Bestimmungen des § 12 Abs. 4 der Beitreibungsordnung (BeitrO), soweit sie diesem Rechtsgrundsatz entgegenstehen, mit dem Gesetz nicht vereinbar und deshalb als Verwaltungsvorschriften für die Gerichte nicht verbindlich sind. Die im Schrifttum gegen die Entscheidung erhobenen Bedenken berufen sich auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu § 750 und § 798 der Zivilprozeßordnung - ZPO - (vgl. Mattern, Juristenzeitung 1954 S. 349, und Liman-Schwarz, Das Steuerbeitreibungsrecht, 3. Auflage 1961, Tz. 15 zu § 12 BeitrO). Diese Vorschriften enthalten jedoch nur Bestimmungen über die vorherige fristgerechte Zustellung eines ordnungsmäßigen Schuldtitels als Voraussetzung der Zwangsvollstreckung, und die einschlägige Rechtsprechung befaßt sich nur mit der Heilbarkeit von Mängeln hinsichtlich der fristgerechten vorherigen Zustellung von an sich vorhandenen Vollstreckungstiteln (vgl. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 125 S. 286, und Entscheidung des Kammergerichts in Juristische Wochenschrift 1937 S. 1509). Um einen solchen Zustellungsmangel hinsichtlich des dem Vollstreckungstitel im Zivilprozeß in etwa vergleichbaren Leistungsgebotes im Verwaltungszwangsverfahren ging es aber in der angeführten Entscheidung des Bundesfinanzhofs II 167/52 S vom 30. September 1953 (a. a. O.) nicht allein. Vielmehr war dort ein gegen den Vollstreckungsschuldner gerichteter Steuerbescheid mit dazugehöriger Zahlungsaufforderung oder ein sonstiges gegen ihn ergangenes Leistungsgebot bei Beginn der Zwangsvollstreckung überhaupt nicht vorhanden. Ein derartiger Fall kann deshalb nur mit dem Fall im Zivilprozeßrecht verglichen werden, in dem eine Zwangsvollstreckung erfolgt, ohne daß gegen den Schuldner irgend ein Vollstreckungstitel vorliegt. Hierzu wird jedoch im Schrifttum zum Zivilprozeßrecht überwiegend die Auffassung vertreten, daß eine Vollstreckungsmaßnahme gegen einen Schuldner ohne Vorhandensein eines Vollstreckungstitels als notwendiger Vollstreckungsgrundlage unheilbar nichtig ist. So ist zu dieser Frage bei Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 17. Auflage, IX vor § 704 ausgeführt: "Ausnahmsweise sind Vollstreckungsmaßnahmen gänzlich wirkungslos, wenn wesentliche Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung oder wesentliche Formvorschriften verletzt worden sind. ... Unwirksam ist die Vollstreckungshandlung auch dann, wenn überhaupt der Vollstreckungstitel fehlt." Ebenso ist im Großkommentar zur Zivilprozeßordnung von Wieczorek in Anmerkung B III a, b zu § 867 ZPO hinsichtlich der Zwangsvollstreckung durch Eintragung einer Zwangshypothek ausgeführt: "Fehlt aber der vollstreckbare Titel als solcher, so ist die Hypothek nichtig. ... Sonstige Mängel machen die Eintragung angreifbar. Wird sie nicht angefochten, so behält die Zwangshypothek den Bestand." Vgl. auch Schönke-Baur, Zwangsvollstreckungsrecht und Konkursrecht, 6. Auflage, 1956, § 9 I S. 29.

Aus diesen Darlegungen ergibt sich, daß die gegen die angeführte Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 30. September 1953 (a. a. O.) im Schrifttum erhobenen Bedenken nicht berechtigt sind. Im übrigen erscheint es unter dem Gesichtspunkt des Nichtvorhandenseins eines Leistungsgebotes gegen den Vollstreckungsschuldner überhaupt zweifelhaft, ob § 12 Abs. 4 BeitrO, der sich nur mit der Frage der Heilbarkeit einer mangels vorheriger rechtzeitiger Zustellung des Leistungsgebots fehlerhaften Zwangsvollstreckungsmaßnahme befaßt, der obigen Entscheidung entgegensteht. Der erkennende Senat schließt sich aus diesen Gründen dem Standpunkt der S-Entscheidung des II. Senats an.

Im vorliegenden Fall erging der Einkommensteuerbescheid für I/1948 mit zugehörigem Leistungsgebot, auf Grund dessen die Eintragung der Zwangshypothek auf dem Grundstücksanteil der Bfin. unter anderem erfolgte, nur gegen den Ehemann der Bfin. Gegen die Bfin. selbst lag im Zeitpunkt der Eintragung der Zwangshypothek kein Leistungsgebot vor. Ohne dieses Leistungsgebot war der Einkommensteuerbescheid gegen den Ehemann, auch wenn er auf der Zusammenveranlagung der Ehegatten beruhte, gegen die Bfin. ohne Wirkung (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 681/28 vom 7. September 1928, RStBl 1928 S. 334, und Urteil des Bundesfinanzhofs III 233/55 S vom 7. Dezember 1956, BStBl 1957 III S. 23, Slg. Bd. 64 S. 62). Infolgedessen war die Zwangsvollstreckungsmaßnahme gegen die Bfin. mit einem unheilbaren Mangel behaftet, der auch nicht durch die nachträgliche Ausfertigung und Zustellung des Leistungsgebots, das durch Einspruch angefochten wurde, geheilt werden konnte. Aus der Nichtigkeit der eingetragenen Zwangshypothek ergibt sich, daß die Zuteilung des entsprechenden Betrages von 809,25 DM im anschließenden Zwangsversteigerungsverfahren zu Unrecht erfolgt ist. Demgemäß ist dieser Betrag an die Bfin. ohne Rücksicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen ihrer materiellen Steuerschuld in gleicher Höhe zu erstatten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410422

BStBl III 1962, 321

BFHE 1963, 147

BFHE 75, 147

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