Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung eines Steuerbescheids wegen nachträglich bekanntgewordener rechtsmißbräuchlicher Zwischenvermietung

 

Leitsatz (NV)

Eine nachträglich bekanntgewordene Tat sache rechtfertigt die Änderung einer unanfechtbaren Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, wenn das FA sie an mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit steuererhöhend berücksichtigt hätte, wäre sie bei Erlaß des geänderten unanfechtbar gewordenen Steuerbescheids bekannt gewesen.

 

Normenkette

AO 1977 § 42; UStG 1980 § 15 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beteiligte sich 1983 an der Bauherren gemeinschaft "G". Sie vermietete die von ihr errichtete Eigentumswohnung ab Bezugsfertigkeit im Dezember 1984 für fünf Jahre an die S-GmbH (S), räumte ihr das Recht der Untervermietung ein, verzichtete auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze und zog in einer berichtigten Umsatzsteuererklärung vom 12. Juli 1985 für das Streitjahr 1984 bei Umsätzen von 0 DM Vorsteuerbeträge von ... DM ab.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) setzte die Umsatzsteuer für 1984 mit Steuerbescheid vom 10. Juli 1986 vorbehaltlos auf ./. ... DM fest. Daß Vorsteuerbeträge nur in dieser Höhe zu berücksichtigen seien, hatte die für die Bauherrengemeinschaft zuständige Betriebsprüfungsstelle dem FA am 27. September 1985 mitgeteilt. Dieser Mitteilung lagen die Ergebnisse einer Betriebsprüfung u. a. wegen Umsatzsteuer 1983 und 1984 zugrunde, die nach der Prüfungsanordnung an die "Bauherrengemeinschaft G"gerichtet war. In dem Prüfungsbericht war ausgeführt worden, daß die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze bei den Bauherren als erfüllt anzusehen seien, u. a. weil die Bauherrengemeinschaft als solche nicht nach außen unternehmerisch in Erscheinung getreten sei. In einem im Zusammenhang mit der Betriebsprüfung von der Betriebsprüfungsstelle angefertigten Vermerk für das FA wird dargelegt, ein Preisverfall durch ein Überangebot an Wohnungen habe zu einer geringen Unterdekung der Endmieten über die seinerzeit mit einer Rohgewinnmarge von 10 v. H. veranschlagten Zwischenmieten geführt. Der gewerbliche Zwischenmieter habe sich offenbar verkalkuliert. Da aber der Zwischenvermietung keine bewußt falsche Kalkulation zugrunde gelegen habe, sei sie anzuerkennen. Dabei lag ein sog. Negativtest des Geschäftsführers der Zwischenvermieterin S mit dem Datum des 17. April 1985 vor, in dem dieser dem Treuhänder bestätigte, daß die S im Zusammenhang mit der Anmietung der Wohnungen im Objekt G keine Zuzahlungen erhalte und das Mietrisiko allein trage.

Nachdem die S Anfang 1986 Mietzahlungen an die Klägerin eingestellt hatte, am 21. März 1986 die Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen beantragt worden war und das FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung ab Herbst 1986 ermittelt hatte, daß die S ab 1981 Stützungszahlungen und Bürgschaftsübernahmen in Höhe von mehreren Millionen DM erhalten hatte, erließ das FA am 30. Dezember 1988 einen Änderungs bescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Ab gabenordnung (AO 1977) und setzte die Umsatzsteuer für 1984 auf 0 DM fest, weil Vorsteuerbeträge nicht berücksichtigt wurden. Zur Begründung führte das FA u. a. aus, das Zwischenmietverhältnis sie nicht mehr anzuerkennen, weil das Mietausfallrisiko wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der S bei den Bauherren geblieben sei.

Den dagegen eingelegten Einspruch wies das FA zurück. Mit der Klage erreichte die Klägerin die Aufhebung der geänderten Steuerfestsetzung für 1984 in dem Änderungsbescheid vom 30. Dezember 1988. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, eine gesetzliche Grundlage für die Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung vom 10. Juli 1986 sei nicht vorhanden. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sei nicht anwendbar, weil die Vorschrift keine Berichtigung von Fehlern zulasse. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 949 veröffentlichten Urteilsgründe Bezug genommen.

Mit der (vom FG zugelassenen) Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Es führt aus, das FG habe nicht erkannt, daß die nach Bekanntgabe des geänderten Bescheids aufgedeckten Stützungszahlungen an die S für die Änderung der Steuerfestsetzung 1984 ursächlich gewesen seien. Wären diese schon im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Veranlagung bekannt gewesen, wäre der Vorsteuerabzug nach der damals maßgebenden Verwaltungsauffassung wegen mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Zwischenvermieters nicht zugelassen worden.

Das FA begehrt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das angefochtene Urteil war wegen Verletzung von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 aufzuheben. Das FG ist unzutreffend davon ausgegangen, daß eine zur Berichtigung der ursprünglichen Steuerfestsetzung berechtigende Tatsache nicht nachträglich bekanntgeworden sei, weil das FA einen Rechtsanwendungsfehler begangen habe, der nicht nach der bezeichneten Vorschrift korrigiert werden könne. Es hat dem FA außerdem Kenntnisse der Betriebsprüfungsstelle zugerechnet, obwohl für das nachträgliche Bekanntwerden von (rechtserheblichen) Tatsachen i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 die Kenntnis des für die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträgers maßgebend ist.

1. Das FA hat nicht geprüft, ob das FA bei rechtzeitiger Kenntnis der Stützungszahlungen, d. h. im Zeitpunkt der ursprünglichen Steuerfestsetzung vom 10. Juli 1986, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer anderen Steuer gelangt wäre. Das FG hat nicht beachtet, daß nur dann, wenn die Unkenntnis von Tatsachen für die ursprüngliche unrichtige Steuerfestsetzung ursächlich gewesen ist, ihr nachträgliches Bekanntwerden zur Änderung des Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 AO 1977 entsprechend der zutreffenden materiellen Rechtslage berechtigt (vgl. dazu Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180 zu C II 2 a). Unter diesen Voraussetzungen muß das FA das Zwischenmietverhältnis als Mißbrauch von Gestaltungen des Rechts (§ 42 Satz 1 AO 1977) beurteilen und den von der Klägerin begehrten Vorsteuerabzug versagen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes -- UStG 1980 --).

a) Eine nachträglich bekanntgewordene Tatsache rechtfertigt somit die Änderung einer unanfechtbaren Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, wenn das FA sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit steuererhöhend berücksichtigt hätte, wäre sie bei Erlaß des geänderten unanfechtbar gewordenen Steuerbescheids bekannt gewesen. Wie das FA den Sachverhalt bei Kenntnis der ihm nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen in dem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist aufgrund der Rechtslage zu beurteilen, wie sie nach der damaligen Rechtsprechung des BFH und nach den die Finanzämter bindenden Verwaltungsanweisungen gegeben war, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe des ursprünglichen Bescheids vorhanden waren (BFH-Urteil vom 11. Februar 1993 V R 90/89, BFH/NV 1993, 631).

Das FG ist bei der Beurteilung von nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen, die nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zur Änderung der unanfechtbaren Steuerfestsetzung für 1984 berechtigen, rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, daß das FA die Grundsätze der Rechtsprechung des BFH, soweit sie nach der Bekanntgabe der geänderten Umsatzsteuerfestsetzung vom 10. Juli 1986 veröffentlicht worden waren, hätte anwenden müssen und daß es das Zwischenmietverhältnis mit der S nicht hätte anerkennen dürfen. Entgegen der Auffassung des FG durfte das FA bei der Bekanntgabe der später geänderten Steuerfestsetzung 1984 von der seinerzeit maßgebenden Verwaltungsansicht ausgehen und mußte nur dafür erhebliche Tatsachen berücksichtigen.

b) Die Kenntnis der nachträglich bekanntgewordenen Stützungszahlungen von dritter Seite an den Zwischenvermieter S im Zeitpunkt des Abschlusses des Zwischenmietvertrages hätte das FA mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits beim Erlaß der bestandskräftig gewordenen geänderten Steuerfestsetzung für 1984 vom 10. Juli 1986 veranlaßt, den begehrten Vorsteuerabzug wegen Gestaltungsmißbrauchs zu versagen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG 1980, § 42 AO 1977). Es wird vom FG aufzuklären sein, ob das FA bei Kenntnis der wirtschaftlichen Verhältnisse der Zwischenvermieterin nach den seinerzeit vorhandenen, das FA bindenden Verwaltungsvorschriften bereits die Beurteilung in dem geänderten Steuerbescheid hätte vornehmen müssen, wie sie dem angefochtenen Änderungsbescheid vom 30. Dezember 1988 zugrunde liegt.

Nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 27. Juni 1983 (BStBl I 1983, 347, Betriebs-Berater 1983, 1201) nahm die Finanzverwaltung an, daß die Zwischenvermietung einer Eigentumswohnung einen Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO 1977) zur Erlangung des Vorsteuerabzugs darstelle, wenn ein wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Grund für diese Gestaltung nicht erkennbar sei. Anhaltspunkte dafür konnten sich nach Verwaltungsauffassung daraus ergeben, daß der Zwischenvermieter keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet hatte, insbesondere, wenn mit der An- und Weitervermietung keine Gewinnchancen verbunden waren (BMF-Schreiben in BStBl I 1983, 347 unter Abs. 4; vgl. auch Abschn. 148 a der Umsatzsteuer-Richtlinien 1988; BMF-Schreiben vom 1. Juli 1983, BStBl I 1983, 374, zu Tz. 14 -- Zuzahlungen von anderen Personen als den Eigentümern; Oberfinanzdirektion -- OFD -- Köln, Verfügung vom 6. Oktober 1983, Umsatzsteuer-Rundschau -- UR -- 1984, 173, unter 4. 4. -- fehlende wirtschaftliche Gründe für die Zwischenvermietung bei eindeutig nicht ausreichender Bonität des Zwischenmieters; OFD Köln, Verfügung vom 27. Juni 1984, UR 1985, 102, unter 2. b, wonach Stützungszahlungen anderer Personen bei der Beurteilung der Gewinnchance zu berücksichtigen sind). An dieser Rechtsansicht hatte die Finanzverwaltung für alle vor dem 1. September 1987 begründeten Zwischenmietverhältnisse festgehalten (vgl. BMF-Schreiben vom 8. August 1988, BStBl I 1988, 322).

Die bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des ursprünglichen Umsatzsteuerbescheids für 1984 vom 10. Juli 1986 veröffentlichte Rechtsprechung des BFH stand dieser Beurteilung nicht entgegen (vgl. BFH-Urteile vom 15. Dezember 1983 V R 131/75, BFHE 140, 363, BStBl II 1984, 393; V R 169/75, BFHE 140, 354, BStBl II 1984, 388; V R 112/76, BFHE 140, 375, BStBl II 1984, 398; V R 133/76, BFHE 140, 369, BStBl II 1984, 395; vom 22. Dezember 1983 V R 35/73, BFHE 140, 379, BStBl II 1984, 400; V R 173/75, BFHE 140, 387, BStBl II 1984, 404; vom 17. Mai 1984 V R 118/82, BFHE 141, 339, BStBl II 1984, 678), wenn sie betonte, das vom Zwischenvermieter übernommene Mietausfallrisiko müsse wirklich werthaltig (BFH-Urteil vom 29. November 1984 V R 38/78, BFHE 142, 519, BStBl II 1985, 269) übernommen worden sein. Erst seit dem Beschluß vom 29. Oktober 1987 V B 61/87 (BFHE 151, 251, BStBl II 1988, 45) stellte die ständige Rechtsprechung des BFH ausdrücklich nur auf die beim Eigentümer-Vermieter vorhandenen wirtschaftlich beachtlichen Gründe für die Beurteilung der Zwischenvermietung ab. Dies war für die vorher bezeichneten Entscheidungen, die besondere Sachverhalte betrafen, nicht erforderlich.

2. Die Vorentscheidung, die von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, wird aufgehoben. Es läßt sich aufgrund der vorhandenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Änderung der ursprünglichen Umsatzsteuerfestsetzung vom 10. Juli 1986 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 durch die angefochtene Umsatzsteuerfestsetzung vom 30. Dezember 1988 vorgelegen haben.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das FG prüfen müssen, ob einer Änderung der bestandskräftig gewordenen Steuerfestsetzung für 1984 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 durch den angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheid vom 30. Dezember 1988 die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) entgegenstehen. Maßgebend dafür, ob und welche weiteren Ermittlungen hätten vorgenommen werden müssen, ist der Kenntnisstand der Personen, die innerhalb der Finanzbehörde dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall abschließend zu bearbeiten (vgl. BFH-Urteil vom 19. Juni 1990 VIII R 69/87, BFH/NV 1991, 353). Das FA braucht sich ihm nicht zugänglich gemachte Kenntnisse der Betriebsprüfungsstelle nicht als ihm bekannte Tatsachen zurechnen zu lassen.

Soweit die erforderlichen Ermittlungen zur Feststellung eines Sachverhalts führen, der von den derzeit zugrundeliegenden Feststellungen abweicht, ist das FG durch die vorliegende Entscheidung nicht gebunden (vgl. dazu BFH-Urteil vom 30. Mai 1996 V R 134/93, BFH/NV 1997, 72; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 126 FGO Tz. 32 mit Rechtsprechungsnachweisen).

 

Fundstellen

Haufe-Index 422020

BFH/NV 1997, 743

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