Leitsatz (amtlich)

Eine betriebliche Steuerschuld kann nicht zu einer Dauerschuld im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 8 Nr. 1 GewStG werden, solange die Vollziehung des Bescheides über die betreffende Steuer gemäß § 242 AO, § 69 FGO ausgesetzt ist.

 

Normenkette

GewStG § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte im Streitjahr 1969 einen Rechtsstreit wegen Umsatzsteuer 1963. Die in diesem Rechtsstreit zu entscheidende Rechtsfrage war auch für die Umsatzsteuer 1964 bis 1967 von Bedeutung. Die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1963 bis 1967 war gemäß § 242 Abs. 2 AO bis zur Entscheidung des Rechtsstreits ausgesetzt.

In Höhe der strittigen Steuerbeträge (33 950 DM) bildete die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1968 eine Rückstellung. Diese Rückstellung wurde bei der Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs auf den 1. Januar 1969 als Schuldposten behandelt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) rechnete den Betrag im Gewerbesteuermeßbescheid für 1969 bei der Ermittlung des Gewerbekapitals dem Einheitswert als Dauerschuld (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG) und außerdem eine für Prozeßzinsen gebildete Rückstellung in Höhe von 1 800 DM dem Gewerbeertrag als Dauerschuldzinsen (§ 8 Nr. 1 GewStG) wieder hinzu.

Der Einspruch, der sich gegen diese Hinzurechnungen richtete, hatte insoweit Erfolg, als die auf die Umsatzsteuer 1967 entfallende Rückstellung (6 150 DM) nicht mehr als Dauerschuld behandelt wurde.

Die Klage wurde abgewiesen. Das Urteil ist in EFG 1972, 195 abgedruckt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 8 Nr. 1 GewStG und des § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG. Die Klägerin führt aus, bei einer Steuerschuld, deren Vollziehung im Hinblick auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids ausgesetzt wurde, bestehe keine "aktuelle" Zahlungsverpflichtung. Erst wenn über den Rechtsbehelf entschieden worden sei, könne aus der im laufenden Geschäftsverkehr entstandenen Steuerschuld nach entsprechendem Zeitablauf eine Dauerschuld werden. Diese Auffassung habe auch in der ständigen Rechtsprechung des BFH zum Dauerschuldcharakter von Schadensersatz-, Haftpflicht- und Gewährleistungsverbindlichkeiten (Urteile vom 13. März 1964 IV 385/62 S, BFHE 79, 311, BStBl III 1964, 344; vom 12. Juni 1968 I 278/63, BFHE 93, 154, BStBl III 1968, 715; vom 14. November 1968 I 51/65, BFHE 94, 574, BStBl II 1969, 266) ihren Niederschlag gefunden. Deshalb sei im vorliegenden Fall die Umsatzsteuerrückstellung für die Jahre 1963 bis 1966 keine Dauerschuld; ebensowenig könnten die zu Lasten des Gewinns 1969 zurückgestellten Prozeßzinsen als Dauerschuldzinsen dem Gewerbeertrag hinzugerechnet werden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Gewerbesteuermeßbescheid 1969 in der Form der Einspruchsentscheidung dahin abzuändern, daß der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag auf 34 551 DM festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur teilweisen Stattgabe der Klage.

1. Der Auffassung des FG, es habe sich bei den Umsatzsteuerschulden der Klägerin um Verbindlichkeiten gehandelt, die als Dauerschulden (vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG in Verbindung mit § 8 Nr. 1 GewStG) im Rahmen der Festsetzung des Steuermeßbetrags nach dem Gewerbekapital wieder hinzuzurechnen seien, kann sich der Senat nicht anschließen.

Als Gewerbekapital gilt der Einheitswert des gewerblichen Betriebs im Sinne des Bewertungsgesetzes (BewG) mit den sich aus § 12 Abs. 2 bis 4 GewStG ergebenden Änderungen (§ 12 Abs. 1 GewStG). Sofern bei der Ermittlung des Einheitswerts Verbindlichkeiten abgezogen wurden, die "der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen" (§ 8 Nr. 1 GewStG), sind diese Verbindlichkeiten dem Einheitswert des gewerblichen Betriebs nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG als Dauerschulden wieder hinzuzurechnen.

Den Gegensatz zu den Dauerschulden bilden die laufenden Verbindlichkeiten, die im gewöhnlichen Geschäftsgang eines Unternehmens entstehen (BFH-Urteil vom 11. August 1959 I 197/57 S, BFHE 69, 447, BStBl III 1959, 428). Zu ihnen können grundsätzlich auch betriebliche Steuerschulden gehören. Denn derartige Verbindlichkeiten hängen eng mit dem laufenden Geschäftsgang eines Unternehmens zusammen, weil sie in der Regel innerhalb kurzer Zeit nach ihrer Festsetzung zu begleichen sind. Allerdings können auch solche Verbindlichkeiten durch Zeitablauf zu Dauerschulden werden. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil I 197/57 S entschieden hat, tritt diese Umwandlung zu Dauerschulden ein, wenn die Steuerschulden nicht binnen Jahresfrist getilgt werden (vgl. auch BFH-Urteile vom 23. Januar 1962 I 159/60 S, BFHE 74, 601, BStBl III 1962, 222; vom 6. November 1962 I 309/61 U, BFHE 76, 193, BStBl III 1963, 69).

Diese Rechtsprechung bedarf jedoch einer Einschränkung insoweit, als es sich um Steuerschulden handelt, hinsichtlich deren wegen eines schwebenden Rechtsbehelfsverfahrens die Aussetzung der Vollziehung angeordnet wurde. Wie die Klägerin zu Recht ausführt, können diese Schulden während der Dauer der Vollziehungsaussetzung den Charakter von laufenden Verbindlichkeiten nicht verlieren. Insoweit muß hier das gleiche gelten wie bei Rückstellungen für die Inanspruchnahme eines Steuerpflichtigen aus Schadensersatz-, Haftungsund Gewährleistungsansprüchen, die der BFH in ständiger Rechtsprechung so lange zu den laufenden Verbindlichkeiten rechnet, als sie sich noch "in der Abwicklung befinden" und über die Berechtigung der Ansprüche zwischen den Beteiligten noch Verhandlungen im Gange sind (vgl. BFH-Urteile IV 385/62 S; I 278/63). Die Behandlung dieser Verpflichtungen als laufende Verbindlichkeiten wird damit gerechtfertigt, daß ihr Bestand noch in hohem Grade ungewiß ist. Sie sollen deshalb erst dann zu Dauerschulden werden, wenn sie nach Beendigung der - durch Vereinbarung oder durch Urteil zu beseitigenden - Ungewißheit nicht innerhalb eines Jahres getilgt werden. Die Ungewißheit über den Bestand einer Schuld besteht aber auch in den Fällen, in denen nach Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen einen Steuerbescheid die Aussetzung der Vollziehung (§ 242 Abs. 2 AO, § 69 Abs. 2 FGO) angeordnet wurde. Der hiermit verbundene Zahlungsaufschub ist steuerrechtlich anders zu behandeln als die durch Stundung (§ 127 AO) gewährte Fälligkeitsverschiebung; denn eine gestundete Steuerschuld ist - im Gegensatz zu einer Schuld, hinsichtlich deren die Vollziehung ausgesetzt ist - in der Regel in ihrem Bestande bereits gewiß.

2. Dementsprechend können auch die von der Klägerin zurückgestellten Prozeßzinsen (§ 112 FGO) nicht als Dauerschuldzinsen (§ 8 Nr. 1 GewStG) behandelt werden.

Nach § 112 FGO sind für den geschuldeten Abgabebetrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung ausgesetzt wurde, Zinsen nach § 5 StSäumG zu entrichten, soweit eine Anfechtungsklage gegen den betreffenden Steuerbescheid rechtskräftig abgewiesen worden ist. Handelt es sich bei den streitigen Abgabebeträgen um Betriebssteuern, so sind die zu entrichtenden Prozeßzinsen Betriebsausgaben. Rückstellungen, die für diese Zinsleistung gebildet werden, mindern den Gewinn des Jahres, in dem die Rückstellungen gebildet werden (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 1970 I R 6/68, BFHE 100, 20, BStBl II 1970, 802). Falls es sich - wie im Streitfall - bei dem der Verzinsung unterliegenden Abgabebetrag um keine Dauerschuld gehandelt hat, können auch die hierfür entrichteten oder gewinnmindernd zurückgestellten Zinsen nicht als Dauerschuldzinsen (§ 8 Nr. 1 GewStG) dem Gewinn wieder hinzugerechnet werden.

3. Da das angefochtene Urteil hinsichtlich der Hinzurechnungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 und § 8 Nr. 1 GewStG auf einer unzutreffenden Rechtsauffassung beruht, ist es aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70866

BStBl II 1974, 387

BFHE 1974, 343

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge