Leitsatz (amtlich)

Ist eine notwendige Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren unterblieben und ist die Einspruchsentscheidung dem notwendig Hinzuzuziehenden gegenüber nicht wirksam geworden, so darf das FG nach der notwendigen Beiladung gleichwohl eine Sachentscheidung erlassen, wenn die Einspruchsentscheidung zu keiner Änderung des Regelungsgehalts des angefochtenen Bescheids geführt hat und auch keine Fehler i.S. des § 126 AO 1977 vorgelegen haben.

 

Orientierungssatz

NV: Bei der Bewertung von nichtnotierten Anteilen an Kapitalgesellschaften nach dem sog. Stuttgarter Verfahren ist seit Anwendbarkeit der VStR 1977 --abweichend von den vorangegangenen Richtlinien-- der Ertragshundertsatz bei Vorliegen von Verlusten --von Ausnahmefällen abgesehen-- mit 0 v.H. anzusetzen.

 

Normenkette

FGO § 44 Abs. 1, § 60 Abs. 3; AO 1977 § 360 Abs. 3, § 126; BewG 1974 § 11 Abs. 2; VStR 1977 Abschn. 78 Abs. 6

 

Tatbestand

++/ Streitig ist die Bewertung von Anteilen an der Klägerin, einer GmbH, auf den 31.Dezember 1976 und den 31.Dezember 1977.

Die Klägerin betrieb neben dem Handel mit ...erzeugnissen die Herstellung und den Handel von ...produkten. Die Herstellung der ...produkte wurde 1979 aufgegeben. Ihre in A belegenen Betriebsgrundstücke verkaufte die Klägerin mit einem Veräußerungsgewinn von rd. 700 000 DM und beschränkt sich seitdem auf den Handel von B aus.

Das Stammkapital der Klägerin betrug zum 31.Dezember 1976 und zum 31.Dezember 1977 ... DM. Es wurde von der beigeladenen C-KG zu 90 v.H. und von der beigeladenen D-KG zu 10 v.H. gehalten. Die Klägerin ist eine Organtochter der E-GbR.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) sind von 1974 bis 1978 Verluste eingetreten, 1977 und 1978 allerdings bereits stark vermindert. 1979 wurde erstmals wieder ein Gewinn ausgewiesen, wobei der Gewinn aus der Veräußerung der Grundstücke in A noch nicht berücksichtigt ist.

Das beklagte Finanzamt (FA) stellte den gemeinen Wert zum 31.Dezember 1976 auf 66 DM und zum 31.Dezember 1977 auf 64 DM je 100 DM Stammkapital fest. Die Ertragsaussichten setzte es dabei gemäß Abschn.78 Abs.3 der Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) 1977 jeweils mit 0 v.H. an. Unter Berücksichtigung eines Vermögenswertes von 147,1 v.H. bzw. 142,1 v.H. und eines Abschlages von 30 v.H. ergaben sich die festgestellten gemeinen Werte.

Nach erfolglosem Einspruch hat die Klägerin Klage erhoben und vorgetragen:

Ohne das Bestehen des Organschaftsverhältnisses hätte sie längst Konkurs anmelden müssen. Die 1979 erzielten Gewinne dürften nicht in die Berechnung einbezogen werden. Denn die Verhältnisse hätten sich durch die Aufgabe der Produktion im Jahr 1979 grundlegend geändert. Die Klägerin hat beantragt, die gemeinen Werte für beide Stichtage auf jeweils 0 v.H. festzustellen.

Das FA hat vorgetragen, daß nicht die Verluste der vergangenen Jahre maßgebend seien, sondern die voraussichtlichen zukünftigen Erträge. Diese hätten mit mindestens 0 v.H. angenommen werden müssen, da sich die Verluste verringert hätten und 1979 sogar ein Gewinn entstanden sei.

Das FG hat die beiden Gesellschafter zum Verfahren beigeladen und der Klage stattgegeben. Es hat seine Entscheidung damit begründet, daß die Anwendung des Abschn.78 Abs.3 Satz 3 VStR 1977 im Widerspruch zu § 11 Abs.2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) stehe, wonach der Ertragshundertsatz mindestens mit 0 v.H. angesetzt werden müßte.

Unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit entstandenen Verluste ergebe sich folgende Berechnung:

31.Dezember 1976 31.Dezember 1977

Betriebsergebnisse

1974 ./. ... DM ---

1975 ./. ... DM ./. ... DM

1976 ./. ... DM ./. ... DM

1977 --- ./. ... DM

------------------------------------------

./. ... DM ./. ... DM.

Durchschnitt ./. ... DM ./. ... DM.

Ertragshundertsatz ./. 245 v.H. ./. 225 v.H.

Da die Vermögenswerte 147,1 v.H. bzw. 142,1 v.H. betrügen, ergebe sich danach ein gemeiner Wert von jeweils 0 v.H.

Das FA hat Revision eingelegt und beantragt, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Wert der Anteile auf 55 v.H. bzw. 54 v.H. festzustellen. Zu seinem Hilfsantrag ist das FA dadurch gelangt, daß es die voraussichtlichen jährlichen Durchschnittsverluste auf je ... DM geschätzt und jeweils einen negativen Ertragshundertsatz berücksichtigt habe.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Revisionsverfahren beigetreten. Er hält die Anwendung der VStR für gerechtfertigt, wonach keine negativen Ertragshundertsätze angesetzt werden dürften. Denn dies führe auch während des Bestehens einer Verlustphase zu angemessenen gemeinen Werten; diese würden in derartigen Fällen bis auf 45,5 v.H. des um 15 v.H. gekürzten Substanzwertes abgesenkt. Auch bei Unternehmen, die mit Verlust arbeiteten, müsse davon ausgegangen werden, daß an dem Ziel des Wiedereintrittes in die Gewinnphase festgehalten werde und dafür entsprechende Anstalten getroffen würden. /++

 

Entscheidungsgründe

++/ Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. /++

Der Senat ist nicht deshalb an einer Entscheidung über die vom FA erhobenen materiellen Rügen gehindert, weil die notwendig beigeladenen Gesellschafter vom FA nicht zum Einspruchsverfahren hinzugezogen worden sind und die Einspruchsentscheidung ihnen gegenüber auch nicht wirksam geworden ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß die fehlende Anhörung von notwendig Hinzuzuziehenden im Einspruchsverfahren durch die notwendige Beiladung zum Klageverfahren geheilt wird (vgl. das Senatsurteil vom 17.Juli 1985 II R 228/82, BFHE 144, 155, BStBl II 1985, 675). Der Senat hat allerdings ausgesprochen, daß gleichwohl ein Sachurteil in einem solchen Falle erst dann ergehen dürfe, wenn die Einspruchsentscheidung auch den notwendig Hinzuzuziehenden gegenüber wirksam geworden ist. Hieran hat er aber für den Fall nicht festgehalten, daß sich der Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheides durch die Einspruchsentscheidung nicht ändert und keine Fehler i.S. des § 126 der Abgabenordnung (AO 1977) vorliegen (vgl. die Beantwortung einer entsprechenden Anfrage des VIII.Senats durch den erkennenden Senat in der Sache VIII R 62/85, und hierzu das Urteil vom 22.November 1988, BFHE 155, 322, 325, BStBl II 1989, 359). Bei Zugrundelegung dieser neueren Auffassung des Senats durfte das FG im vorliegenden Fall zur Sache entscheiden, ohne daß zuvor die Einspruchsentscheidung gegenüber den beiden Gesellschaftern der Klägerin wirksam wurde. Denn der Einspruch ist durch das FA als unbegründet zurückgewiesen worden. Verfahrensfehler i.S. des § 126 AO 1977 sind nicht erkennbar.

++/ In der Sache ist dem FA darin zu folgen, daß das FG zu Unrecht negative Ertragshundertsätze angewendet hat.

Der Senat hat (von Ausnahmefällen abgesehen) keine rechtlichen Bedenken dagegen, daß in den VStR 1977 abweichend von den vorangegangenen Richtlinien angeordnet worden ist, der Ertragshundertsatz sei bei Vorliegen von Verlusten mit 0 v.H. anzusetzen. Der Auffassung des FG, daß diese Regelung, die den Ansatz negativer Ertragshundertsätze nicht mehr zuläßt, willkürlich ein tragendes Element des bisherigen Bewertungsverfahrens abgeändert habe, ist nicht zu folgen.

Bei der in den VStR vorgesehenen Methode für die Anteilsbewertung handelt es sich um eine besondere Form der Übergewinnmethode, die in der Ausgestaltung der VStR 1977 dem Vermögenswert gegenüber dem Ertragswert ein Übergewicht im Verhältnis 2 : 1 einräumt (vgl. hierzu die Senatsurteile vom 7.Dezember 1977 II R 164/72, BFHE 124, 356, 358, BStBl II 1978, 323, und vom 12.März 1980 II R 28/77, BFHE 130, 198, 202, BStBl II 1980, 405). Wegen dieses Übergewichts des Vermögenswertes ist diese Bewertungsmethode Ausdruck vorsichtiger Bewertung immer dann, wenn von der Erzielung von Übergewinnen auszugehen ist, wobei nach den VStR 1977 Übergewinne immer dann anzunehmen sind, wenn sie 10 v.H. übersteigen.

Aus der Anwendung dieser Methode folgt jedoch nicht zwingend, daß sie auch bei dem Zurückbleiben der Gewinnaussichten hinter den Normalgewinnen zu einer vorsichtigen Bewertung führt. Das Übergewicht des Vermögenswertes gegenüber dem Ertragswert dürfte die Rechtfertigung dafür sein, daß bei geringen Gewinnaussichten ein besonderer Abschlag vorgesehen ist (vgl. Abschn.79 Abs.3 VStR 1977, vgl. hierzu auch das Senatsurteil vom 6.November 1985 II R 220/82, BFHE 145, 431, 433, BStBl II 1986, 281). Unter Berücksichtigung dieser Abschläge können deshalb die Ergebnisse der Bewertung nach den VStR auch bei Vorliegen geringer Gewinnerwartungen noch als Ausdruck vorsichtiger Bewertung angesehen werden.

Sind die Gewinnerwartungen gleich null, so ergibt sich danach ein Wert von 45,5 v.H. des um 15 v.H. gekürzten Vermögenswertes (Abschn.79 Abs.3 i.V.m. Abschn.77 Abs.5 VStR 1977). Eine weitere Kürzung dieses Wertes ist auch nach Verlustperioden nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Insbesondere läßt sich die Übergewinnmethode, die für den Fall des Vorliegens von höheren Gewinnen entwickelt worden ist, nicht ohne weiteres auf eine Verlustperiode übertragen. Denn dies würde dazu führen, daß entsprechend dem Prognosenzeitraum für die Ertragsaussichten eine Verlustperiode von weiteren fünf Jahren angenommen würde (vgl. Abschn.79 Abs.1 Satz 9 VStR 1977). Auch wenn für einige Jahre Verluste eintreten, so führt dies nicht ohne weiteres dazu, daß ein geringerer Wert als gemeiner Wert angesetzt werden muß, als er sich aus den VStR mit 45,5 v.H. des um 15 v.H. gekürzten Vermögenswertes ergibt. Daß dieser Ansatz regelmäßig nicht unterschritten werden darf, ergeben folgende Überlegungen:

Sollen Verluste eines Unternehmens nicht existenzbedrohend werden, so ist es zwingend erforderlich, daß die Unternehmensleitung alsbald Maßnahmen trifft, um den Wiedereintritt in die Gewinnphase herbeizuführen. Hiervon gehen die VStR letztlich aus. Der Ansatz des Ertragshundertsatzes mit 0 v.H. in diesen Fällen besagt, daß die Ertragsaussichten generell so beurteilt werden, daß in den auf den Stichtag folgenden fünf Jahren ein ausgeglichenes Durchschnittsjahresergebnis erzielt werden kann. Diese Annahme der Richtlinien entspricht der zu erwartenden Zielsetzung einer jeden Unternehmensleitung. Es bestehen deshalb keine rechtlichen Bedenken, auch in Verlustperioden bei der Bewertung der Anteile von der Überwindung der Verlustperiode auszugehen.

Dem Senat ist allerdings bewußt, daß dies nicht ausnahmslos gelten kann. Es sind Fälle denkbar, in denen die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens an einem Stichtag so hoffnungslos ist, daß bei objektiver Betrachtung eine Verhinderung des Zusammenbruchs des Unternehmens nicht mehr zu erwarten ist, unabhängig davon, ob die Unternehmensleitung dies erkennt.

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, unterliegt sein Urteil der Aufhebung. Der Senat ist in der Lage, in der Sache selbst zu entscheiden. Die Klage ist abzuweisen, weil keine Feststellungen vorliegen, aus denen sich ergeben könnte, daß ausnahmsweise eine niedrigere Bewertung der Anteile in Betracht kommen könnte, als sie vom FA vorgenommen worden ist, und auch keine Anhaltspunkte dieser Art vorgetragen worden sind.

Nach Sachlage ist von dem Regelfall auszugehen, daß die Geschäftsleitung an den beiden Stichtagen entsprechende Maßnahmen getroffen oder vorbereitet hat, die im Durchschnitt der nächsten fünf Wirtschaftsjahre zumindest ein ausgeglichenes Ergebnis erwarten lassen. Konkrete Anhaltspunkte dahingehend, daß der baldige Zusammenbruch des Unternehmens bevorstand, ergeben sich weder aus den Feststellungen des FG noch aus dem Vortrag der Klägerin.

Wenn die Klägerin geltend macht, daß sie ohne die bestehende Organschaft längst hätte Konkurs anmelden müssen, womit sie offenbar auf die Verlustübernahme durch ihre Gesellschafter hinweisen will, so verkennt sie, daß der gemeine Wert der Anteile nach § 11 Abs.2 Satz 2 BewG unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten zu bewerten ist. Zu ihrem Vermögen aber gehören auch die Ansprüche gegen ihre Gesellschafter auf Übernahme von Verlusten. Sie hat keinen Anspruch darauf, daß ihre Anteile so bewertet werden, als belasteten ihre Verluste ihr Vermögen. Der Ermittlung des Vermögenswertes ist ihr Vermögen zugrunde zu legen und nicht ein fiktives Vermögen, wie es sich ohne die wirksam gewordenen Verlustübernahmen entwickelt hätte.

Was die Ertragsaussichten angeht, so hat die Klägerin nur darauf hingewiesen, daß bei der Bewertung nicht die grundlegende Änderung ihrer Verhältnisse hätte berücksichtigt werden dürfen. Diese Auffassung ist nicht richtig. Wenn es zur Gesundung eines Unternehmens erforderlich ist, daß Unternehmensteile stillgelegt oder aufgegeben werden müssen, so muß dies bei der Berücksichtigung der Ertragsaussichten in Betracht gezogen werden. /++

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 39

BStBl II 1989, 851

BFHE 157, 321

BFHE 1990, 321

BB 1989, 1817-1817 (L1)

DB 1989, 2364 (ST)

HFR 1989, 625 (LT)

StRK, R.10 (LT)

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