Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässiger Zeitpunkt für sogen. fehlerbeseitigende Fortschreibung nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG

 

Leitsatz (NV)

Die Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG (Fortschreibungszeitpunkt erst Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird) gilt nur bei Erhöhung des Einheitswertes, nicht jedoch für die fehlerberichtigende Artfortschreibung, auch wenn sich als Folge der Artfortschreibung die Höhe des Einheitswertes ändert oder ändern kann.

 

Normenkette

BewG § 22 Abs. 4 S. 3 Nr. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Alleineigentümerin eines in L gelegenen Grundstücks. Auf diesem Grundstück befindet sich ein Wohngebäude, welches die Klägerin imJahre 1979 bezugsfertig erstellte. Es handelt sich um ein zweigeschossiges Gebäude mit einem einzigen Zugang (Haustür). Die im Erd- und ersten Obergeschoß gelegenen Wohnräume sind durch eine offene Treppenanlage verbunden. Der Zugang zu den Wohnräumen im ersten Obergeschoß erfolgt durch die Diele im Erdgeschoß, von wo aus auch die Türen zu den Wohnräumen im Erdgeschoß abgehen. Im ersten Obergeschoß befinden sich zwei Wohnräume, ein Badezimmer und ein Raum, der früher als Küche, jetzt als Kinderzimmer genutzt wird.

Das Gebäude war vom Finanzamt (FA) zunächst als Einfamilienhaus, später - im Hinblick auf die Vermietung der Dachgeschoßräume ab 1981 - auf den 1. Januar 1982 als Zweifamilienhaus bewertet worden.

Das Mietverhältnis endete im Jahre 1982. Im Anschluß an eine am 12. Juli 1983 durchgeführte Ortsbesichtigung bewertete das FA das Gebäude durch Bescheid vom 27. März 1985 auf den 1. Januar 1983 im Wege der Artfortschreibung als Einfamilienhaus und erhöhte wegen des höheren Vervielfältigers den Einheitswert auf . . . DM.

Mit ihrer - nach erfolglos gebliebenem Einspruch - erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt, ,,den Einheitswertbescheid auf den 1. Janur 1983 . . . und den Einspruchsbescheid . . . aufzuheben".

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Einheitswertbescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufgehoben. Es vertrat dabei die Auffassung, das FA habe die fehlerbeseitigende Art- und Wertfortschreibung im Hinblick auf § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht schon zum 1. Januar 1983 vornehmen dürfen. Die Fortschreibung dürfte wegen des Schutzgedankens aus § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG erst auf den 1. Januar 1985 vorgenommen werden. Dies gelte nicht nur hinsichtlich der Erhöhung des Einheitswertes, sondern auch bezüglich der Fortschreibung der Grundstücksart. § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG solle für den Fall der fehlerbeseitigenden Fortschreibung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes in die Vergangenheit zurückwirkende steuerliche Mehrbelastungen verhindern. Steuerliche Mehrbelastungen ergäben sich jedoch nicht nur bei einer zahlenmäßigen Erhöhung des Einheitswertes, sondern auch durch Folgewirkungen bei einheitswertabhängigen anderen Steuern, wie der Einkommensteuer.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG. Die Auslegung des FG widerspreche dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift, wonach die zeitliche Beschränkung für die fehlerbeseitigende Fortschreibung nur für eine Erhöhung des Einheitswertes gelte, nicht jedoch für eine geänderte Artfeststellung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt hinsichtlich der Artfortschreibung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

Das FA wendet sich mit seiner Revision ausschließlich gegen die Aufhebung der selbständig und gesondert anfechtbaren Feststellung - Artfortschreibung - (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. November 1981 III R 116/78, BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88, 89). Gegenstand der Revisionsentscheidung kann deshalb gemäß §§ 121, 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auch nur dieser Streitpunkt sein.

Offenbleiben kann, ob das FA berechtigt war, aufgrund veränderter tatsächlicher Verhältnisse die Artfeststellung zu ändern. Denn das FA hat jedenfalls zu Recht im Wege der fehlerbeseitigenden Fortschreibung für das Wohngrundstück der Klägerin zum 1. Januar 1983 die Art Einfamilienhaus (vgl. § 75 Abs. 1 Nr. 4 BewG) festgestellt, weil es nur eine Wohnung enthält (vgl. § 75 Abs. 5 BewG). Der Senat vermag die Auffassung des FG nicht zu teilen, das FA sei im Hinblick auf § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG daran gehindert gewesen, die fehlerbeseitigende Artfortschreibung bereits auf diesen Stichtag vorzunehmen.

Gemäß § 22 Abs. 3 BewG findet eine Fortschreibung des Einheitswertes, der Grundstücksart oder der Zurechnung des Gegenstandes auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt. Fortschreibungszeitpunkt für eine solche sog. fehlerbeseitigende Fortschreibung ist gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird, bei Erhöhung des Einheitswerts jedoch frühestens der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird. Die in Nr. 2 des Absatzes 4 des § 22 BewG behandelten Fallgruppen stehen sich in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis gegenüber. Dabei lautet die Regel, daß Fortschreibungszeitpunkt bei einer fehlerbeseitigenden Art- oder Zurechnungsfortschreibung oder einer nicht werterhöhenden Fortschreibung des Einheitswertes der Beginn des Kalenderjahres ist, in dem der Fehler dem FA bekannt wird. Bei einer Erhöhung des Einheitswertes ist ,,jedoch" (Ausnahme) Fortschreibungszeitpunkt der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird. Für eine zweckgerichtete - extensive - Wortlautinterpretation, wie sie vom FG vorgenommen wird, läßt der Gesetzestext keinen Raum. Dies gilt auch für die z.T. im Schrifttum (vgl. Rossler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 15. Aufl. 1989, § 22 BewG Rdnr.79; Moench/ Glier/ Knobel/Werner, Bewertungs- und Vermögensteuergesetz, Kommentar § 22 BewG Rdnr.32) vertretene Auffassung, die Ausnahmeregelung in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr.2 2. Alternative BewG gelte auch für eine fehlerbeseitigende Artfortschreibung, die zu einer gleichzeitigen Erhöhung des Einheitswerts führt. Denn die in einem Einheitswertbescheid über ein bebautes Grundstück getroffenen Feststellungen zum Wert, zur Art und zur Zurechnung sind selbständige (und gesondert anfechtbare) Feststellungen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88). Das gilt auch für eine fehlerbeseitigende Fortschreibung nach § 22 Abs. 3 BewG. Die Höhe des Einheitswerts wird bei einer fehlerbeseitigenden Fortschreibung unmittelbar aber nur durch einen Wertfortschreibungsbescheid, nicht durch einen Artfortschreibungsbescheid angesprochen. Deshalb kann § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr.2 letzter Halbsatz BewG nur für Wertfortschreibungsbescheide gelten. Artfortschreibungen sind insoweit neutral. Es ist deshalb unbeachtlich, ob als Folge einer Artfortschreibung auch der Wert geändert werden muß oder kann (vgl. wie hier: Gorski in Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 22 BewG Anm.137).

Auch eine am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte ausdehnende und über den Wortlaut hinausgehende Auslegung der Vorschrift des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr.2 2. Alternative BewG dahingehend, daß diese auch für fehlerbeseitigende Artfortschreibungen gilt, kommt nicht in Betracht. Eine solche ausdehnende, über den Wortlaut hinausgehende Auslegung einer Vorschrift setzt voraus, daß das Gesetz lückenhaft ist, d.h. keine Regelung für den zu beurteilenden Sachverhalt enthält. Eine Lücke des Gesetzes liegt dort vor, wo es gemessen an seiner eigenen Absicht unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, 370f.).

Eine Gesetzeslücke liegt hier schon deshalb nicht vor, weil das Gesetz für den hier zur Entscheidung anstehenden Fall der fehlerbeseitigenden Artfortschreibung hinsichtlich des maßgebenden Fortschreibungszeitpunkts in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr.2 BewG eine Regelung enthält. Denn diese Vorschrift bestimmt als Fortschreibungszeitpunkt für den Regelfall der fehlerbeseitigenden Fortschreibung, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Wert-, Art- oder Zurechnungsfortschreibung handelt, den Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird.

Auch Sinn und Zweck der in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr.2 BewG enthaltenen Regelungen erfordern es nicht, die Ausnahmeregelung der 2. Alternative der Nr.2 auf alle fehlerbeseitigende Fortschreibungen anzuwenden, die im Ergebnis infolge Anknüpfung an die Artfeststellung zu einer höheren Steuer führen. Denn diese Regelung hat der Gesetzgeber offensichtlich im Hinblick auf die unmittelbaren Auswirkungen des erhöhten Einheitswertes auf die einheitswertabhängigen Steuern (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 BewG) getroffen. Während bei diesen eine Erhöhung des Einheitswerts unmittelbar auch zu einer höheren steuerlichen Belastung des Steuerpflichtigen führt bzw. führen kann, sind - worauf das FA mit seiner Revisionsbegründung zu Recht hinweist - bei einer Artfortschreibung die Auswirkungen auf die Steuerbelastung im Einzelfall nicht ohne weiteres erkennbar, weil sich sowohl eine höhere als auch eine niedrigere Steuerlast einstellen kann und dabei sogar Wechselwirkungen (Erhöhung der einen und Ermäßigung der anderen Steuer) zu beachten wären.

Die Sache ist spruchreif. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung enthält das Wohngrundstück keine zwei Wohnungen, weil die im Erdgeschoß und ersten Obergeschoß gelegenen Räume nicht räumlich abgeschlossen sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 8. Februar 1985 III R 62/84, BFHE 142, 567, BStBl II 1985, 319). Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist, sind die Räume im Erdgeschoß mit den Wohnräumen im ersten Obergeschoß durch eine offene Treppe verbunden. Dies hindert die Annahme, es handle sich um zwei Wohneinheiten. Den insoweit bestehenden Fehler der vorausgegangenen Artfeststellung mußte das FA entsprechend berichtigen.

Gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr.2 1. Alternative BewG durfte das FA die fehlerbeseitigende Artfortschreibung durch Bescheid vom 27. März 1985 zum 1. Januar 1983 vornehmen, weil ihm der Fehler der vorangegangenen Artfeststellung anläßlich einer im Jahre 1983 durchgeführten Ortsbesichtigung bekannt wurde.

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 353

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