Entscheidungsstichwort (Thema)

Anbringung einer Klage beim Finanzamt

 

Leitsatz (NV)

Eine Klage ist dann beim Finanzamt ,,angebracht", wenn sie derart in dessen Verfügungsbereich gelangt, daß es davon Kenntnis nehmen kann.

 

Normenkette

FGO § 47 Abs. 2, § 55 Abs. 2, § 56

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Streitig ist die Zulässigkeit der Klage.

Mit Bescheid vom 7. August 1984 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Einkommensteuer 1979 der Kläger und Revisionskläger (Kläger) auf . . . DM fest. Ihren Einspruch, mit dem sie sich gegen die Erfassung eines gewerblichen Entnahmegewinns wandten, wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 1984 zurück, die am 15. Oktober 1984 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wurde.

Die gegen den Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung gerichtete Klage unter dem Datum vom 15. November 1984 (einem Donnerstag) wurde in einem verschlossenen, ausschließlich an das Finanzgericht (FG) adressierten Umschlag beim FA eingereicht.

Nach der Behauptung der Kläger soll die Klageschrift so zusammen mit anderer Post in einem Sammelumschlag noch am Abend des 15. November 1984 von einer Kanzleiangestellten in den Briefkasten des FA eingeworfen worden sein.

Das Kuvert der Klageschrift trägt den Eingangsstempel des FA vom 16. November 1984 (einem Freitag). Das FA leitete die Klageschrift im verschlossenen Umschlag an das FG weiter, wo sie am 22. November 1984 eingegangen ist.

Das FG hat die Klage, mit der eine Herabsetzung der Einkommensteuer auf . . . DM begehrt wird, als unzulässig abgewiesen.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung der §§ 47 Abs. 2, 55 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und des Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

Das FG hat zu Recht die Klage als unzulässig abgewiesen, da sie nicht fristgerecht erhoben wurde.

1. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Klage grundsätzlich innerhalb der einmonatigen Klagefrist schriftlich beim FG zu erheben. Das ist im Streitfall nicht geschehen.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO gilt die Frist für die Erhebung einer Klage dann als gewahrt, wenn diese bei der Behörde, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, innerhalb der Frist angebracht oder zur Niederschrift gegeben wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine Klage dann i. S. des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO ,,angebracht", wenn sie derart in den Verfügungsbereich der Behörde gelangt, daß diese davon Kenntnis nehmen kann (seit Urteil vom 5. Dezember 1974 IV R 179/70, BFHE 114, 402, BStBl II 1975, 337).

a) Mit den gegen diese Rechtsprechung vorgebrachten Einwänden hat sich der BFH bereits auseinandergesetzt (vgl. Urteil vom 8. April 1987 X R 67/81, BFHE 149, 415, BStBl II 1987, 575 m. w. N.), so auch mit der - in der Revisionsbegründung wiedergegebenen - Auffassung des FG Baden-Württemberg im Urteil vom 28. Februar 1985 X-K 171/83 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 401), das aufgehoben wurde durch das - zur Vermeidung von Wiederholungen hier in Bezug genommene - BFH-Urteil vom 24. Februar 1989 III R 77/85 (BFH/NV 1989, 649).

Der Hinweis der Revision auf die erst nach Klageerhebung von Amts wegen gemäß § 71 FGO vorzunehmende Zustellung an das FA ändert an der vorstehenden Auslegung des in § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO verwendeten Begriffs ,,Anbringen" durch den BFH nichts.

Die von den Klägern geltend gemachte Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips (Art. 20 Abs. 2 GG) liegt schon deswegen nicht vor, weil die Möglichkeiten der Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG) nicht beeinträchtigt sind, wie der Senat bereits mit Urteil vom 7. August 1985 I R 131/83 (BFH/NV 1986, 168) ausgeführt hat. Der Zugang zu Gericht wird nicht unzumutbar erschwert (Urteil in BFHE 149, 415, 418, BStBl II 1987, 575).

b) Im Sinne der obigen BFH-Rechtsprechung gelangt die Klage nur dann derart in den Verfügungsbereich der Behörde, daß diese davon Kenntnis nehmen kann, wenn der die Klageschrift enthaltende Briefumschlag erkennbar für das FA bestimmt ist. Die Klage ist jedoch dann nicht beim FA angebracht, wenn die Klageschrift lediglich in den räumlichen Machtbereich des FA gelangt ist, dieses aber weder unmittelbar noch mittelbar als Empfänger angesprochen wurde.

c) Im Streitfall wurde die Klage nicht beim FA angebracht, da nach den getroffenen tatsächlichen Feststellungen das FA durch den ausschließlich an das FG adressierten (die Klageschrift enthaltenden) Umschlag nicht als Empfänger angesprochen wurde.

Da somit die Klage erst mit Eingang der Sendung beim FG am 22. November 1984 (später als einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung) erhoben wurde, konnte das FG zutreffend dahingestellt sein lassen, ob die Klageschrift noch am 15. oder erst am 16. November in den Briefkasten des FA eingeworfen wurde.

2. Entgegen der Revision war der Ablauf der Rechtsbehelfsfrist nicht gemäß § 55 FGO durch eine unvollständige oder unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung gehemmt. Die Belehrung durfte sich insoweit darauf beschränken, den Gesetzesinhalt wiederzugeben. Danach beruht die Fristversäumnis nicht auf einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung, sondern auf einem falschen Verständnis des Begriffs ,,anbringen" (Urteile in BFH/NV 1989, 649, 651, und 1986, 168).

3. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das FG den Klägern zutreffend versagt, da ihnen das Verschulden ihres Bevollmächtigten bei der Versäumung der Klagefrist zuzurechnen ist (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung; vgl. letztgenannte Urteile).

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 708

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