Entscheidungsstichwort (Thema)

Bescheidung eines stillschweigend gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung

 

Leitsatz (NV)

Legt der Bevollmächtigte drei Tage nach telefonischer Auskunft des Berichterstatters des FG, daß ein fristwahrender Schriftsatz nicht eingegangen sei, eine Kopie dieses Schriftsatzes und des Postausgangsbuchs vor, liegt darin die stillschweigende Erklärung, das Schreiben sei möglicherweise auf dem Postweg verlorengegangen. In diesem Fall ist zumindest von Amts wegen darüber zu befinden, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 2 S. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) legte durch seinen Prozeßbevollmächtigten am 4. Mai 1993 "wegen Lohnsteuer 1988 bis 1990 und Berlin-Zulage 1988 und 1989" Klage gegen die Einspruchsentscheidung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) mit dem Hinweis ein, daß eine Begründung nachgereicht werde. Da auf die Aufforderung, die Beschwer darzulegen, entscheidungserhebliche Tatsachen und Beweismittel anzugeben sowie einen bestimmten Antrag zu stellen, keine Antwort beim Finanzgericht (FG) einging, setzte der Vorsitzende des Senats mit am 22. Januar 1994 an den Prozeßbevollmächtigten zugestelltem Schreiben vom 19. Januar 1994 gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Ausschlußfrist von sechs Wochen ab Zustellung, um "den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen, also anzugeben, was Sie mit der Klage oder dem Antrag anstreben". Mit weiterer Verfügung wurde die Prozeßvollmacht angefordert.

Am 3. Februar 1994 ging beim FG die Prozeßvollmacht mit dem weiteren Hinweis ein, daß die Begründung der Klage folge. Am 16. März 1994 sandte der Prozeßbevollmächtigte per Telefax die (handgeschriebene) Klagebegründung vom 12. März 1994 für 1988 an das FG; für die Begründung hinsichtlich der Streitjahre 1989 und 1990 wurde weitere Frist beantragt. Die Klagebegründung wurde im Schriftsatz vom 30. März 1994 fortgesetzt.

Nach Eingang der handgeschriebenen Klagebegründung führte der Berichterstatter des FG mit dem Prozeßbevollmächtigten am 18. März 1994 ein Telefongespräch, in dessen Verlauf der Prozeßbevollmächtigte erklärte, ein weiteres Schreiben mit Teilanfechtung nach Maßgabe einer noch nachzureichenden Klagebegründung an das FG abgesandt zu haben. Dieses (handgeschriebene) Schreiben vom 20. Dezember 1993, dessen Eingang beim FG nicht festgestellt werden konnte, legte der Prozeßbevollmächtigte dem FG mit Schriftsatz vom 21. März 1994 in Ablichtung zusammen mit einer Ablichtung des Postausgangsbuches vor.

Nach mündlicher Verhandlung, auf die der zum Einzelrichter bestellte Berichterstatter auf den 29. April 1994 geladen hatte, wurde die Klage betreffend Lohnsteuer 1988 bis 1990 als unzulässig abgewiesen; die Klage betreffend Berlin-Zulage wurde in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Das FG führte zur Begründung seiner Entscheidung u. a. aus: Die Klage sei unzulässig geworden, da der Kläger innerhalb der seinem Prozeßbevollmächtigten gesetzten Ausschlußfrist den Gegenstand des Klagebegehrens nicht bezeichnet habe (§ 65 Abs. 1 und 2 FGO).

Das Schreiben vom 20. Dezember 1993 sei im Original beim Gericht nicht eingegangen, sondern es sei vielmehr erst mit Anschreiben vom 21. März 1994 in Kopie nachgereicht worden. Die in diesem Zusammenhang erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 3. Mai 1994 erbetene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht rechtzeitig binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses beantragt worden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Der Berichterstatter habe den Prozeßbevollmächtigten des Klägers bereits am 18. März 1994 telefonisch darauf hingewiesen, daß der Kläger auf die Auflagen des Vorsitzenden vom 19. Januar 1994 rechtzeitig nur die Prozeßvollmacht eingereicht habe. Der Kläger habe auf den Anruf zwar reagiert, es aber versäumt, zugleich den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen.

Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Aufhebung der Lohnsteuerhaftungsbescheide, hilfsweise begehrt er die Herabsetzung der Haftungsschuld. Er rügt als Verfahrensfehler, daß das FG nicht über den stillschweigend gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden habe.

Das FA tritt der Revision entgegen. Es ist der Auffassung, der Kläger habe die Ausschlußfrist infolge Rechtsirrtums seines Prozeßbevollmächtigten versäumt. Nach Erhalt des Schreibens des FG vom 19. Januar 1994 hätte sich der Prozeßbevollmächtigte beim FG erkundigen können, weshalb die Aufforderung zur Benennung des Klagegegenstandes ergangen sei, da er doch den Gegenstand des Klagebegehrens bereits im Schriftsatz vom 20. Dezember 1993 benannt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der Kläger konnte die Revision durch Verweis auf seine Schriftsätze im Beschwerdeverfahren ordnungsgemäß begründen, da der mit der Revision gerügte Verfahrensmangel zugleich die Zulassungsbeschwerde begründet und zur Zulassung der Revision geführt hat (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18. März 1981 I R 102/77, BFHE 133, 247, BStBl II 1981, 578).

Dem FG ist dadurch ein Verfahrensfehler unterlaufen, daß es die Klage durch Prozeßurteil abgewiesen hat, ohne zunächst über die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden. Entgegen der Auffassung des FG hat der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 21. März 1994 stillschweigend einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Drei Tage zuvor hatte der Prozeßbevollmächtigte im Telefongespräch mit dem Berichterstatter des FG davon Kenntnis erhalten, daß sein Schriftsatz vom 20. Dezember 1993, mit dem die Aufhebung bzw. Herabsetzung des Lohnsteuerhaftungsbetrages begehrt worden war, nicht beim FG vorlag. Wenn der Prozeßbevollmächtigte dem FG mit Schreiben vom 21. März 1994 neben einer Kopie des Schriftsatzes vom 20. Dezember 1993 auch eine Ablichtung des Postausgangsbuches vorlegte, so liegt darin die stillschweigende Erklärung, das Schreiben sei möglicherweise auf dem Postweg verlorengegangen, und es sei demgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Selbst wenn man aber nicht von einem stillschweigenden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgehen wollte, mußte sich für das FG die Frage stellen, ob nicht von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO).

Der Senat hält es für zweckmäßig, die Sache nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen, damit dieses über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entscheidet.

 

Fundstellen

BFH/NV 1996, 758

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