Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist die Revision begründet, so kann der BFH, wenn er in der Sache selbst entscheidet, das Urteil des FG sowie den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben.

Hebt der BFH nur das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung auf und läßt er den ursprünglichen Verwaltungsakt bestehen, so kann er dem FA außer der Festsetzung der Steuer in entsprechender Anwendung des § 143 Abs. 2 FGO auch die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens sowie die Festsetzung des Streitwerts übertragen.

 

Normenkette

FGO § 100 Abs. 1 S. 1, §§ 121, 126/3/1, § 143 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1957, ob die an den Vater des Betriebsübernehmers gezahlte Umsatzbeteiligung als Betriebsausgabe oder als Sonderausgabe abzugsfähig ist.

 

Entscheidungsgründe

Die Vorentscheidungen sind aufzuheben.

Die Steuerfestsetzung wird dem FA übertragen.

Der BFH kann, wenn die Revision begründet ist, in der Weise in der Sache selbst entscheiden, daß er das Urteil des FG sowie den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (Einspruchsentscheidung) aufhebt. Das folgt aus den Vorschriften des § 126 Abs. 3 Ziff. 1 i. V. mit §§ 121, 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Kassation der Verwaltungsentscheidungen durch den BFH ist zwar in § 126 FGO nicht erwähnt. Daraus jedoch, daß die Entscheidung des FG nach § 100 Abs. 1 FGO grundsätzlich kassatorischer Natur ist, ergibt sich, daß der BFH als Revisionsgericht nicht in weitergehendem Umfange als das FG zur Steuerfestsetzung verpflichtet sein kann (§ 100 Abs. 2 Satz 1 i. V. mit § 121 FGO).

Die Kassation der Vorentscheidungen braucht sich nicht auf den ursprünglichen Verwaltungsakt zu erstrecken. Der BFH ist berechtigt, die Kassation auf das FG-Urteil und auf die Einspruchsentscheidung zu beschränken und den Steuerbescheid oder sonstigen ursprünglichen Verwaltungsakt des FA bestehen zu lassen.

Aus dem Worte "soweit" in § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO ergibt sich, daß eine teilweise Aufhebung der Verwaltungsentscheidungen möglich ist. Dabei kann es sich jedoch nicht um eine Aufhebung hinsichtlich einzelner sachlicher Punkte handeln. Denn diese stellen nur unselbständige Bestandteile der Besteuerungsgrundlagen dar. Steuerbescheide und Feststellungsbescheide über Besteuerungsgrundlagen bilden einheitliche Verwaltungsakte, die nicht teilweise aufgehoben werden können.

Das Wort "soweit" ist deshalb nur sinnvoll, wenn es auf eine der genannten Verwaltungsentscheidungen im ganzen bezogen wird. Zwar ist Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf befunden hat (§ 44 Abs. 2 FGO). Die Vorschrift hat aber lediglich die Bedeutung, daß der ursprüngliche Verwaltungsakt nur insofern und soweit angefochten werden kann, als die Beschwer nach Massgabe der Einspruchsentscheidung noch gegeben ist (vgl. BVerwGE Bd. 13 S. 195 (197)). Sie schließt nicht aus, daß beide Verwaltungsentscheidungen verfahrensrechtlich verschiedene Akte darstellen. Auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist anerkannt, daß die Entscheidungen des Verwaltungsvorverfahrens u. U. verschieden zu behandeln sind (vgl. Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Auflage, Rd. Nr. 1 zu § 79, Rd. Nr. 14 zu § 113). Das setzt voraus, daß es sich bei diesen Entscheidungen - unabhängig von ihrem Inhalt - um selbständige Verfahrensakte handelt. Diese Auslegung wird bestätigt durch § 100 Abs. 2 Satz 2 i. V. mit § 138 Abs. 2 Satz 2 FGO, wo das Gesetz davon ausgeht, daß der angefochtene Verwaltungsakt oder die angefochtene Einspruchsentscheidung aufgehoben werden kann. Ginge das Gesetz von der Auffassung aus, daß der angefochtene Verwaltungsakt und die Einspruchsentscheidung verfahrensrechtlich eine Einheit bildeten, so wäre die Erwähnung beider Akte in § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO überflüssig. Denn dann würde es genügen, die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Nach alledem besteht im steuergerichtlichen Verfahren - anders als im Verwaltungsprozeß (vgl. BVerwGE Bd. 13 S. 195 (198 f.)) - keine Verpflichtung, bei Vorliegen des gleichen Rechtsfehlers in der Einspruchsentscheidung wie in dem ursprünglichen Verwaltungsakt auch den letzteren aufzuheben. Das Wort "und" in § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO wird modifiziert durch die in derselben Vorschrift enthaltene Einschränkung "soweit" i. V. mit dem gesetzessystematischen Gesichtspunkt, daß der BFH zur Kassation von Verwaltungsentscheidungen nur berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, und daß einer eingeschränkten Kassation zwingende verfahrensrechtliche Gründe nicht entgegenstehen.

Die vorstehende Auslegung wird auch tragenden Grundsätzen des neuen Verfahrensrechts und Erwägungen verfahrenswirtschaftlicher Art gerecht. Denn wäre das Gericht zur Aufhebung auch des ursprünglichen Verwaltungsaktes in jedem Falle verpflichtet, so bedeutete dies, daß die auf Grund des aufgehobenen Verwaltungsakts bestehenden Sicherheiten (Pfandrechte usw.) wegfielen. Andererseits stünde das FA nach Aufhebung aller Verwaltungsakte und der Entscheidung des FG freier als das Gericht selbst, wenn es in der Sache entschiede. Dies würde dem Grundsatz widersprechen, daß der Kläger durch die Anrufung des Gerichts keinen Nachteil soll gewärtigen müssen (Verbot der Steuerfestsetzung zum Nachteil des Klägers, § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).

Da die Steuergerichte nicht verpflichtet sind, in der Hauptsache die Steuer festzusetzen (§ 100 Abs. 2 FGO), so können sie auch nicht zur Steuerberechnung nur um der Kostenentscheidung und der Streitwertberechnung willen verpflichtet sein. Aus § 143 Abs. 2 FGO ergibt sich, daß der Gesetzgeber den BFH nicht mit der Entscheidung über die Kosten des Verfahrens belasten wollte, wenn er nicht abschließend in der Sache entscheidet. Entsprechendes muß für die Festsetzung des Streitwerts (§ 146 FGO) gelten. Kommt der BFH zur Kassation der Verwaltungsentscheidungen, so kann er in Anwendung des Rechtsgedankens des § 143 Abs. 2 FGO dem FA auch die Kostenentscheidung und die Festsetzung des Streitwerts übertragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411934

BStBl III 1966, 199

BFHE 1966, 545

BFHE 84, 545

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