Leitsatz (amtlich)

1. Ein Rechtsmittelverzicht kann gegenüber dem am Rechtsstreit unbeteiligten Finanzministerium - als vorgesetzter Behörde des beklagten FA - nicht wirksam erklärt werden.

2. Ein gemäß § 1 Nr. 6 GrEStWoBauG Nordrhein-Westfalen begünstigter Erwerb eines Grundstücks als Ersatz- oder als Austauschland liegt nicht vor, wenn das Grundstück nicht vom Veräußerer der hergebenden Fläche, sondern von dessen im gesetzlichen Güterstand lebenden Ehegatten erworben wird.

 

Normenkette

FGO § 57 Nr. 2, § 155; ZPO §§ 514, 566; GrEStWoBauG Nordrhein-Westfalen § 1 Nrn. 1, 6

 

Tatbestand

Die Klägerin lebt mit ihrem Ehemann, einem Landwirt, im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Im August 1970 hat der Ehemann ihm allein gehörende unbebaute Grundstücke verkauft. Der Erwerbsvorgang ist vom gemäß § 1 Nr. 1 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Juli 1970 (GVBl 1970, 620) von der Grunderwerbsteuer freigestellt worden. Anschließend haben die Klägerin und ihr Ehemann zunächst im Dezember 1970 den Hof ... und alsdann im Juli 1971 den Hof ... jeweils zur unabgeteilten Hälfte, erworben.

Die beantragte Befreiung von der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Nr. 6 GrEStWoBauG hat das FA nur für die Erwerbe des Ehemanns gewährt. Für die Erwerbe der Klägerin hat das FA die Befreiungsvoraussetzungen nicht als erfüllt angesehen, weil diese keine Grundstükke verkauft habe, für die sie Ersatz hätte erwerben können, und auch mit dem Veräußerer nicht in gerader Linie verwandt sei.

Das FA (Beklagter) hat für den anteiligen Erwerb der Klägerin Grunderwerbsteuer festgesetzt. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG entnahm dem Zusammenhang und der Bedeutung der Worte "Ersatz" und "Austauschland" (§ 1 Nr. 6 GrEStWoBauG), daß nur derjenige als begünstigter Erwerber in Betracht komme, der selbst Grundstücke für begünstigte Zwecke abgegeben habe.

Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Auslegung des § 1 Nr. 6 GrEStWoBauG. Entsprechend dessen Tatbestand seien aus dem Erlös eines Grundstücks, das dem sozialen Wohnungsbau zugeführt worden sei, andere Grundstücke erworben worden. § 1 Nr. 6 GrEStWoBauG beschreibe nicht, wer das Ersatz- oder Austauschgrundstück erwerben müsse. Selbst wenn Ersatz- oder Austauschland nur für denjenigen vorläge, der selbst Grundstücke abgegeben habe, sei Steuerbefreiung zu gewähren. Hätte nämlich ihr Ehemann die Ersatzgrundstükke allein erworben und ihr hernach durch Schenkung Miteigentum verschafft, wäre der erste Vorgang gemäß § 1 Nr. 6 GrEStWoBauG, der zweite gemäß § 3 Nr. 2 GrEStG steuerfrei gewesen. Es sei nicht einzusehen, warum Steuerpflichtige allein aus steuerlichen Überlegungen heraus gezwungen sein sollten, mehrere Verträge abzuschließen.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen. Die Klägerin habe mit Schriftsatz vom 26. Februar 1972 an das Finanzministerium Nordrhein-Westfalen ausdrücklich auf die Revision gegen das angefochtene Urteil verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Die von der Klägerin gegenüber dem Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen abgegebene Erklärung, sie verzichte auf die Revision, ist kein wirksamer Rechtsmittelverzicht. Denn die Erklärung der Klägerin wurde weder dem Gericht noch dem Prozeßgegner gegenüber abgegeben. Daher kann dahinstehen, ob nur eine gegenüber dem FG abgegebene Verzichtserklärung den Verlust des Rechtsmittels zur Folge hat, oder ob auch ein gegenüber dem FA erklärter Rechtsmittelverzicht wirksam gewesen wäre. Das Finanzministerium jedenfalls kann nicht - als vorgesetzte Behörde des am Prozeß beteiligten (§ 57 Nr. 2 FGO) FA - prozessuale Erklärungen entgegennehmen, die dem FA als Prozeßbeteiligten gegenüber abzugeben wären; es kann die gesetzliche Vertretung des FA oder dessen funktionelle oder prozessuale Zuständigkeiten nicht an sich ziehen (vgl. Beschluß des BFH vom 10. März 1969 GrS 4/68, BFHE 95, 366, BStBl III 1969, 435).

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Der Grundstückserwerb der Klägerin fällt nicht unter die Befreiung des § 1 Nr. 6 GrEStWoBauG. Diese Vorschrift begünstigt "den Erwerb eines Grundstücks, das als Ersatz- oder Austauschland ... im Zusammenhang mit den in Nummern 1 bis 5 genannten Erwerbsvorgängen verwendet wird". Die Klägerin hat kein Grundstück hergegeben, kann also keines "als Ersatz oder Austauschland" erworben haben.

Auch unter Einbeziehung anderer Befreiungsvorschriften kann das Begehren der Klägerin keinen Erfolg haben. Zwar wäre eine Schenkung der Grundstücke von ihrem Mann an sie gemäß § 3 Nr. 2 GrEStG steuerfrei geblieben. Daraus kann aber - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats über das Ineinandergreifen von Befreiungsvorschriften (insbesondere des Urteils vom 25. Februar 1969 II 142/63, BFHE 95, 292 [298], BStBl II 1969, 400) - keine Steuerbefreiung ihres Erwerbs von einem Dritten hergeleitet werden. Denn ein fiktives Geschehen (ein gedachter anderer Geschehensablauf) kann nicht als solcher, sondern nur als Argument im Rahmen einer möglichen Gesetzesauslegung unter Hinzuziehung einer zweiten Begünstigungsnorm bedeutsam sein.

In dem Urteil II 142/63 wurde unter Einbeziehung einer personenbezogenen Befreiungsvorschrift - § 3 Nr. 6 GrEStG - in die rechtliche Beurteilung die begünstigende Norm auf einen erweiterten, abstrakt abgegrenzten Personenkreis erstreckt. Ob entsprechend den Urteilen des FG Münster vom 12. Februar 1958 IV d 16/57 (EFG 1958, 173) und des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 24. Oktober 1964 II A 662/64 (DStZ B, 1965, 87) beim Grundstückerwerb durch einen Abkömmling unter Berücksichtigung des § 3 Nr. 6 GrEStG eine Steuerbefreiung auf Grund einer "Ersatz"landqualität des erworbenen Grundstücks angenommen werden könnte, braucht hier aber nicht entschieden zu werden. Denn die Vergünstigung des § 3 Nr. 2 GrEStG ist keine personenbezogene, sondern eine sachliche. Sie soll die Erfassung eines Grundstückswechsels sowohl mit der Erbschaftsteuer als auch mit der Grunderwerbsteuer - unbeschadet des Satzes 2 dieser gesetzlichen Bestimmung - verhindern; sie greift aber nicht ein bei Erwerb eines Grundstücks mittels eines ererbten oder geschenkten Geldbetrags. Aus § 3 Nr. 2 GrEStG läßt sich daher kein Rechtsgedanke für die Auslegung des § 1 Nr. 6 GrEStWoBauG gewinnen.

§ 3 Nr. 2 GrEStG begünstigt im Gegensatz zu § 3 Nr. 6 GrEStG nicht einen bestimmten Personenkreis, sondern jede Person, die ein Grundstück von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden (im Sinne des Erbschaftsteuergesetzes) erwirbt. Träfe der Standpunkt der Klägerin zu, könnte sich auf § 1 Nr. 6 GrEStWoBauG jeder berufen, der vom Veräußerer eines unter den Voraussetzungen des § 1 Nr. 1 GrEStWoBauG abgegebenen Grundstücks einen Geldbetrag geschenkt erhielte, wenn er mit diesem ein "Ersatz"-Grundstück erwirbt. Eine solche Auslegung des § 1 Nr. 6 GrEStWoBauG widerspräche dem Sinn der Befreiung, den Erwerb von Ersatz oder Austauschland für hingegebene Grundstücke zu begünstigen. Denn das Verhältnis zwischen dem Schenker und dem Beschenkten ist kein solches, das ebenso wie die Verwandtschaft in gerader Linie (§ 3 Nr. 6 GrEStG) aus persönlichen Gründen begünstigt ist.

Für das Ergebnis ist unerheblich, daß die Klägerin im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebt. Denn die Zugewinngemeinschaft beseitigt nicht die rechtliche Selbständigkeit der Vermögensmassen beider Ehegatten (§ 1363 Abs. 2 BGB). Diese ist im Grunderwerbsteuerrecht maßgebend (vgl. Urteile des BFH vom 17. Februar 1972 II 89/65, BFHE 105, 298, BStBl II 1972, 588, und vom 31. Mai 1972 II R 92/67, BFHE 106, 374, BStBl II 1972, 836). Auch wenn die erworbenen Grundstücke Ehegattenhöfe im Sinne der Höfeordnung sein sollten, wäre mangels einer einschlägigen Befreiungsvorschrift keine andere Beurteilung möglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Der Vorbescheid ergeht gemäß §§ 121, 90 Abs. 3 FGO.

 

Fundstellen

BStBl II 1974, 171

BFHE 1974, 544

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