Leitsatz (amtlich)

1. Will in einer Rechtsfrage ein Senat des BFH von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so ist der Beschluß über die Anrufung des Großen Senats auch dann in der Besetzung von fünf Richtern zu treffen, wenn die Rechtsfrage im Rahmen einer Beschwerde an den BFH streitig ist.

2. Die OFD ist nach dem Inkrafttreten der FGO nicht befugt, ohne Prozeßvollmacht Rechtsmittel im Namen eines ihr unterstellten FA beim BFH einzulegen.

2. Das FA kann die ihm übergeordnete OFD für das Rechtsmittelverfahren vor dem BFH bevollmächtigen.

 

Normenkette

FGO §§ 10-11, 62

 

Tatbestand

Mit dem Beschluß III B 39/67 vom 25. Oktober 1968 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 94 S. 110 - BFH 94, 110 -, BStBl II 1969, 94) hat der III. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) den Großen Senat nach § 11 Abs. 3 FGO zur Entscheidung über folgende Fragen angerufen:

1. Ist die Oberfinanzdirektion (OFD) Berlin nach Inkrafttreten der FGO befugt, ohne Prozeßvollmacht Rechtsmittel im Namen des ihr unterstellten Finanzamts (FA) beim BFH einzulegen?

2. Kann das FA gegebenenfalls die ihm übergeordnete OFD Berlin für das Rechtsmittelverfahren vor dem BFH bevollmächtigen?

3. Kann der BFH gegebenenfalls eine der OFD Berlin erteilte Vollmacht als eine Vollmacht zugunsten der für die OFD handelnden Beamten ansehen und ein von der OFD Berlin im Namen des FA eingelegtes Rechtsmittel entsprechend umdeuten?

Dieser Anrufung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Beim III. Senat war eine Rechtsbeschwerde anhängig gewesen, bei der es um die Richtigkeit eines Hypothekengewinnabgabe-Bescheides ging. Auf die Rechtsbeschwerde war die Sache unter Aufhebung des Urteils des Finanzgerichts (FG) und der Einspruchsentscheidung des FA an dieses zurückverwiesen worden.

Das FA erließ daraufhin unter dem 30. September 1966 eine neue Einspruchsentscheidung, mit der es dem Begehren der Abgabeschuldnerin zum Teil stattgab. Die Kosten des gesamten Verfahrens wurden je zur Hälfte dem Land Berlin und der Abgabeschuldnerin auferlegt.

Auf den Antrag der Abgabeschuldnerin, die Zuziehung ihres Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären, erließ das FG den Beschluß vom 17. Februar 1967, mit dem es dem Antrag stattgab. Der Beschluß richtete sich - ebenso wie schon die Entscheidungen des FG und des BFH im Hauptverfahren - gegen das FA, vertreten durch die OFD; er wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin und der OFD zugestellt. Gegen den Beschluß legte die OFD fristgerecht die Beschwerde vom 7. März 1967 ein.

Der III. Senat hält die Beschwerde für zulässig. Er sieht darin, daß die OFD die Beschwerde eingelegt hat, keine Bedenken. Er meint aber, daß dieser seiner Auffassung der Beschluß des II. Senats II R 31/67 vom 14. Mai 1968 (BFH 92, 426, BStBl II 1968, 586) entgegenstehe, wonach ein Urteil, das in einem das FA betreffenden Klageverfahren ergangen sei, nicht von der OFD angegriffen werden könne, die von dieser eingelegte Revision also unzulässig sei. Der II. Senat - vom III. Senat angeschrieben - ist bei seiner Ansicht verblieben.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

II.

Die Anrufung des Großen Senats durch den III. Senat ist zulässig (§ 11 Abs. 3 FGO).

1. Der Beschluß des II. Senats II R 31/67 betrifft zwar eine von der OFD eingelegte Revision, während es im vorliegenden Fall um eine von der OFD eingelegte Beschwerde geht. Hier wie dort ist aber das FA der richtige Beteiligte und stellt sich die Frage, ob ein von der OFD für das FA eingelegtes Rechtsmittel zulässig ist. Mit dem III. Senat ist daher festzustellen, daß er, falls er die Beschwerde für zulässig erklärte, von der Entscheidung des II. Senats abweichen würde.

2. Die Fragen zu 1. und 2. sind auch entscheidungserheblich. Allerdings ist die Beschwerde vom 7. März 1967 von der OFD nicht ausdrücklich im Namen des FA eingelegt worden. Daß aber die OFD den gegenüber dem FA - "vertreten durch die OFD" - ergangenen Beschluß des FG nicht im eigenen Namen angreifen will, kann nach dem Inhalt des Beschwerdeschreibens nicht zweifelhaft sein, das sich übrigens für die Hauptsache ausdrücklich auf den "Rechtsstreit des FA ... gegen Frau ..." bezieht. In dem angefochtenen Beschluß wird das FA als Beklagter in bezug auf die Hauptsache bezeichnet. Das entspricht der Regelung des § 63 Abs. 1 Satz 2 FGO, wonach die Klage gegen die Behörde zu richten ist, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat. Die OFD ist nicht etwa allein oder ebenfalls als Beklagte, sondern lediglich als Vertreterin des FA angeführt und als solche offenbar aufgetreten. Es kommt also für die Entscheidung des anrufenden Senats darauf an, ob die OFD als Vertreterin Rechtsmittel im Namen des FA einlegen konnte.

Wird die Frage zu 1. bejaht, so erübrigt sich zwar die Frage zu 2. Diese hängt aber mit jener eng zusammen und wird, wenn jene verneint wird, insofern von Bedeutung, als sich im Falle ihrer Bejahung die - vom Senat bereits ausgesprochene - Anforderung einer Prozeßvollmacht rechtfertigt. Ob die Frage zu 3. zulässig ist, erscheint allerdings zweifelhaft; doch kann das dahingestellt bleiben, weil sich die Beantwortung, wie noch darzulegen sein wird, ohnehin erübrigt.

3. Daß die Anrufung "nur" in einer Beschlußsache erfolgt ist und auch nur den Beschluß eines anderen Senats betrifft, begegnet keinen Bedenken. Wie der Wortlaut des § 11 Abs. 3 FGO eindeutig ergibt, hängt die Zulässigkeit einer Anrufung allein davon ab, daß in einer "Rechtsfrage" von der "Entscheidung" eines Senats abgewichen werden soll. Diese Voraussetzungen aber sind im vorliegenden Fall gegeben. Insbesondere ist auch der Beschluß eines Senats eine Entscheidung in jenem Sinne.

Der Anrufungsbeschluß ist allerdings von fünf, nicht nur von drei Richtern des III. Senats unterschrieben. Diesem Vorgehen scheint die Regelung des § 10 Abs. 3 FGO zu widersprechen, nach der die Senate des BFH zwar grundsätzlich in der Besetzung von fünf Richtern, aber "bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung in der Besetzung von drei Richtern" entscheiden. Der Große Senat ist jedoch mit dem III. Senat der Auffassung, daß ein Anrufungsbeschluß immer in der vollen Besetzung zu fassen ist, und zwar aus folgenden Gründen:

Wenn § 10 Abs. 3 FGO für Beschlußsachen die Besetzung mit nur drei Richtern vorsieht, so dient das der Vereinfachung. Diese Regelung rechtfertigt sich aus der Erwägung, daß es sich bei Beschlußsachen zumeist um Fälle von geringerer Bedeutung handelt. Aber auch dort, wo ein normalerweise durch Beschluß zu beendendes Verfahren gegeben ist, besagt die Regelung des § 10 Abs. 3 FGO nicht, daß ein solcher Beschluß immer nur in der Besetzung mit drei Richtern gefaßt werden könne. Stellt sich z. B. während der in der vollen Besetzung durchgeführten Beratung einer Revisionssache die Unzulässigkeit der Revision heraus, so wäre diese zwar nach § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen; es würde aber zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten und deshalb unzutreffenden Ergebnis führen, wollte man auch für diesen Fall aus § 10 Abs. 3 FGO folgern, daß ein solcher Beschluß nur von drei Richtern gefaßt werden dürfe - von den unlösbaren Schwierigkeiten abgesehen, die sich ergäben, wenn der Senat in der Besetzung mit drei Richtern die Unzulässigkeit verneinte, während er sie in der Besetzung mit fünf Richtern bejahte. Daß auch § 10 Abs. 3 FGO die Besetzung mit drei Richtern nicht schlechthin bei allen Beschlußsachen vorsieht, ergibt sich auch aus der Einschränkung, daß es sich um Beschlüsse "außerhalb der mündlichen Verhandlung" handeln muß. Wird, was auch in Beschlußsachen möglich ist, eine mündliche Verhandlung angeordnet, so muß also in der Besetzung mit fünf Richtern entschieden werden (vgl. Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Aufl., Randnr. 5 zu § 4). Wie demnach § 10 Abs. 3 FGO mit dieser Einschränkung selbst zu erkennen gibt, muß der Vereinfachungsgedanke unter bestimmten Voraussetzungen zurücktreten, so daß wieder die Normalregelung (Besetzung mit fünf Richtern) zum Zuge kommt.

Bei der Bedeutung, die der Anrufung des Großen Senats beizumessen ist, muß gerade die Anrufung, in welchem Verfahren auch immer sie sich als erforderlich herausstellen sollte, als ein Fall angesehen werden, bei welchem der Vereinfachungsgedanke zurücktritt und der Beschluß in der Besetzung mit fünf Richtern zu fassen ist. Hierfür spricht auch die Erwägung, daß einmal nur auf diese Weise die Einheitlichkeit innerhalb des Senats gewährleistet ist und daß zum anderen, soll von der Entscheidung eines anderen Senats abgewichen werden, dieser über die Anfrage, ob er bei seiner Entscheidung bleibe, nicht nur in der Besetzung mit drei Richtern entscheiden darf.

Außerdem ist zu bedenken, daß die Anrufung des Großen Senats immer dazu führt, daß mündlich verhandelt wird (vgl. § 11 Abs. 5 FGO). Wenn auch nur über die dem Großen Senat vorgelegte Rechtsfrage verhandelt wird, so findet die Verhandlung doch letztlich auf Grund der Anrufung und in eben der Sache statt, über die der anrufende Senat zu entscheiden hat. Dann aber erscheint es wegen der Bedeutung und der Gestaltung des Anrufungsverfahrens angemessen und folgerichtig, daß der anrufende Senat, mag es sich auch um eine Beschlußsache handeln, seinen Anrufungsbeschluß, wie wenn er selbst mündliche Verhandlung angeordnet hätte, in der Besetzung mit fünf Richtern faßt.

III.

Obgleich die Hauptsache noch vor dem Inkrafttreten der FGO anhängig geworden und auch noch vor diesem Zeitpunkt durch den BFH entschieden worden ist, ist doch für das vorliegende Verfahren - der Frage zu 1. entsprechend - allein auf das Recht der FGO abzustellen. Sowohl der Antrag der Abgabeschuldnerin, die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären, wie auch der dem Antrag stattgebende Beschluß des FG fallen in die Zeit nach dem Inkrafttreten der FGO.

Wie bereits der II. Senat im Beschluß II R 31/67 dargelegt hat, ist es eine Besonderheit des finanzgerichtlichen Verfahrens, daß grundsätzlich nicht der Steuergläubiger (der Bund oder das Land), sondern die je in Betracht kommende Behörde als solche zu verklagen und diese also selbst als "parteifähig" anzusehen ist. Ebenso ist dem II. Senat darin beizustimmen, daß einerseits das FA als beklagte Behörde doch nicht auch selbst prozeßfähig ist und daher im finanzgerichtlichen Verfahren durch den Vorsteher als dem gesetzlichen Vertreter des FA vertreten wird und daß andererseits die OFD zwar eine dem FA vorgesetzte Behörde, aber gleichwohl nicht gesetzliche Vertreterin des FA ist.

Die OFD ist, wie der II. Senat ebenfalls mit Recht ausgeführt hat, auch nicht etwa kraft ihrer Vorgesetztenstellung befugt, die gesetzliche Vertretung des FA oder gar funktionelle Zuständigkeiten an sich zu ziehen.

Zur Frage, ob die OFD in einem dem FA gegenüber anhängig gewordenen gerichtlichen Verfahren als sein Prozeßbevollmächtigter auftreten kann, nimmt der Große Senat wie folgt Stellung:

1. Nach § 62 Abs. 1 FGO können sich die Beteiligten "durch Bevollmächtigte vertreten lassen". Wie bereits dargelegt, ist das FA im vorliegenden Verfahren Beteiligter. Als Beteiligter kann es sich daher auch vertreten lassen.

Daß das FA in dem Recht, sich durch Bevollmächtigte vertreten zu lassen, beschränkt wäre, ist weder dem Wortlaut noch dem Sinn des § 62 Abs. 1 FGO zu entnehmen. Dieser Auffassung steht nicht entgegen, daß sich ein FA nicht bei dem Erlaß eines Steuerbescheides oder der Erfüllung jeder ihm sonst gesetzlich übertragenen Aufgabe vertreten lassen darf. Eine Vertretung dieser Art liegt auf einer anderen Ebene als die Vertretung im finanzgerichtlichen Verfahren, bei dem es um die Wahrnehmung der dem FA aus seiner prozessualen Stellung erwachsenen Rechte und Pflichten geht.

2. Hat danach das FA als Beteiligter im finanzgerichtlichen Verfahren das Recht, sich durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen, so ist allerdings dem II. Senat zuzugeben, daß die OFD als Bevollmächtigte ausscheiden würde, wenn die Grundsätze des Zivilprozeßrechts anzuwenden wären und demgemäß als Bevollmächtigte in diesem Sinne nur natürliche - nämlich prozeßfähige - Personen in Betracht kämen (vgl. § 79 ZPO). Es fragt sich jedoch, ob nicht die Regelung des finanzgerichtlichen Verfahrens von der des § 79 ZPO abweicht und den Kreis der als Bevollmächtigte in Betracht kommenden Personen weiter zieht, als es diese Vorschrift tut.

Hält man § 79 ZPO und § 62 Abs. 1 FGO nebeneinander, so fällt auf, daß in den beiden Vorschriften die gleiche Frage, nämlich die der Vertretung im Prozeß, geregelt wird, wenn auch § 79 ZPO davon spricht, daß die Parteien den Rechtsstreit "durch jede prozeßfähige Person als Bevollmächtigten führen" können, während § 62 Abs. 1 FGO sagt, daß die Beteiligten "sich durch Bevollmächtigte vertreten lassen" können. Wird aber die gleiche Frage geregelt, so erscheint es bedenklich, die Regelung des § 62 Abs. 1 FGO, nur weil sie nicht den gleichen Wortlaut wie § 79 ZPO hat, als durch diesen ergänzungsbedürftig anzusehen (§ 155 FGO) und auch hier nur eine "prozeßfähige Person" als Bevollmächtigten zuzulassen. Es ließe sich, eben weil die gleiche Frage hier wie dort geregelt wird, auch oder sogar eher die Ansicht vertreten, daß der abweichende Wortlaut nicht ohne Grund gewählt ist und also eine bewußte Eigenregelung darstellt (so für § 67 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - Noack in Deutsches Verwaltungsblatt 1962 S. 850). Dies ist auch die Auffassung des Großen Senats.

Es ist zwar zuzugeben, daß nach § 62 Abs. 2 FGO "Bevollmächtigte oder Beistände, denen die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlt", zurückgewiesen werden können. Daraus ergibt sich aber nicht der Schluß, daß in § 62 Abs. 1 FGO nur solche Bevollmächtigte gemeint seien, die selbst einen "Vortrag" halten können - also natürliche Personen.

Wie der II. Senat zutreffend ausführt, halten es allerdings die Kommentare zur VwGO übereinstimmend für erforderlich, daß der Bevollmächtigte eine natürliche Person ist. Diese Auslegung ist aber, wenngleich die FGO der VwGO nachgebildet ist, für die Auslegung der FGO nicht zwingend, zumal die FGO gerade in der Behandlung von Behörden gewisse Besonderheiten zeigt, die nicht unbeachtet bleiben können. Wie bereits erwähnt, ist nach der FGO an dem finanzgerichtlichen Verfahren nicht der Steuergläubiger, sondern die Behörde beteiligt. Die FGO hat damit ganz allgemein eine einfache Regelung getroffen, die in der VwGO (vgl. § 61 Nr. 3 und § 78 Abs. 1 Nr. 2) zwar als Möglichkeit vorgesehen, aber doch nicht grundsätzlich angeordnet ist. Die Regelung der FGO trägt den Bedürfnissen des Steuerrechtsstreits in einer durchaus zweckmäßigen Weise Rechnung, indem sie diejenigen auch weiterhin beteiligt sein läßt, die bereits im Besteuerungsverfahren einander gegenübergestanden haben. Nun hat zwar die Beteiligtenstellung der Behörde nicht zur Folge, daß diese auch als solche prozeßfähig ist. Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen (vgl. § 58 FGO) ist auch sie nur durch die zu ihrer Vertretung berufenen Personen. Es ist aber nicht einzusehen, warum Behörden, wenn sie schon als solche am finanzgerichtlichen Verfahren beteiligt sein können, nicht auch in diesem Verfahren in dem gleichen Umfange als Bevollmächtigte aufzutreten in der Lage sein sollten, mögen sie auch insoweit wiederum nur über die zu ihrer Vertretung berufenen Personen Verfahrenshandlungen vornehmen können.

Der Wortlaut des § 62 Abs. 1 FGO steht einer derartigen Auslegung, die wie gesagt dem Sinn der Regelung des finanzgerichtlichen Verfahrens mit seiner Einbeziehung der Behörde selbst am besten gerecht wird, nicht nur nicht entgegen, sondern spricht gerade um deswillen für sie, weil er die Prozeßfähigkeit des Bevollmächtigten nicht ausdrücklich erfordert. Das Verfahrensrecht ist nicht Selbstzweck; bei einer Auslegung seiner Vorschriften ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die den Bedürfnissen der Beteiligten am einfachsten und zweckmäßigsten Rechnung trägt. Daß eine zusammenfassende Bearbeitung der Rechtsbehelfssachen durch die OFD nicht nur für die Verwaltung, sondern auch für die Steuerpflichtigen Vorteile bietet, bedarf keiner Erörterung. Jedenfalls aber werden dem Kläger (Steuerpflichtiger) dadurch, daß das FA durch die OFD vertreten ist, weder Rechte genommen noch irgendwelche Schwierigkeiten gemacht. Beteiligter ist nach wie vor das FA. Ob die Schriftsätze, die auch nach Ansicht des II. Senats immer von der OFD angefertigt werden können, unmittelbar vom FA oder für dieses von der OFD eingereicht werden, kann dem Steuerpflichtigen gleichgültig sein, und zwar um so mehr, als ja eine Vertretung des FA grundsätzlich zulässig ist.

Aus § 61 FGO kann gegen diese Auslegung des § 62 Abs. 1 FGO, d. h. gegen die grundsätzliche Zulässigkeit der Vertretung eines FA durch eine andere Finanzverwaltungsbehörde, die nicht die vorgesetzte OFD zu sein braucht, nichts hergeleitet werden. Der § 61 FGO gibt der vorgesetzten OFD ein Beitrittsrecht, dessen Ausübung die OFD zur Beteiligten macht und ihr also eine andere Stellung einräumt, als sie ihr als Bevollmächtigte zusteht.

Der Große Senat neigt im übrigen zu der Auffassung, daß die Auslegung des § 62 Abs. 1 FGO, wonach im Steuerprozeß nicht nur natürliche Personen als Bevollmächtigte in Betracht kommen, nicht nur für die OFD oder die Finanzministerien - die ihrerseits Beteiligte im Steuerprozeß sein können - Bedeutung hat, sondern auch für andere Fälle, z. B. für die Steuerberatungsgesellschaften, die nach § 107a Abs. 1 AO hinsichtlich der Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen neben die Steuerberater und Steuerbevollmächtigten gestellt werden. Einer abschließenden Behandlung dieses Problems bedarf es aber im vorliegenden Verfahren nicht, da nur nach der Stellung der OFD gefragt worden ist.

IV.

Ist demnach davon auszugehen, daß § 62 Abs. 1 FGO als Bevollmächtigte nicht nur "prozeßfähige Personen" zuläßt, so bestehen jedenfalls gegen die Bevollmächtigung der OFD keine Bedenken. Die Frage zu 2. ist also zu bejahen.

Daß die OFD als Bevollmächtigte im Sinne des § 62 Abs. 1 FGO auftreten kann, besagt jedoch nicht, daß sie von sich aus als Bevollmächtigte aufzutreten berechtigt sei. Die Berechtigung zum Auftreten als Bevollmächtigter setzt eine entsprechende Vollmacht voraus (vgl. § 62 Abs. 3 FGO). Diese zu erteilen ist Sache des beteiligten FA, an dessen Stelle zu handeln die OFD, wie bereits dargelegt, auch kraft ihrer Stellung als übergeordnete Behörde nicht befugt ist. Die Frage zu 1. ist also zu verneinen.

Auf die Frage zu 3. einzugehen, erübrigt sich wegen der Bejahung der Frage zu 2.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412935

BStBl II 1969, 435

BFHE 95, 366

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