Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Befugnis des Finanzamts zur Vornahme einer Wertfortschreibung entfällt, wenn es grundlos lange Zeit mit der Vornahme der Wertfortschreibung gewartet hat.

 

Normenkette

AO § 225a; BewG § 22

 

Tatbestand

Der Bf. ist Eigentümer eines Einfamilienhauses. Bei der Hauptfeststellung 1935 sind die Einfamilienhäuser im früheren Gebiet von Württemberg, in dem sich das Einfamilienhaus des Bf. befindet, auf der Grundlage der Landessteuerwerte bzw. der Brandversicherungswerte bewertet worden. Es wurden bestimmte Hundertsätze der angeführten Werte im Angleich an tatsächliche Kaufpreise als Einheitswerte angesetzt. Der Einheitswert des Einfamilienhauses des Bf. ist entsprechend dieser Regelung zum 1. Januar 1935 mit 75 v. H. des Steueranschlages festgestellt worden.

Im Jahre 1938 wurde an dem Gebäude ein Terrassenanbau errichtet und auf der Autohalle ein Stockwerk aufgebaut. Hierdurch erhöhte sich der Steueranschlag. Am 19. Dezember 1953 übersandte das Finanzamt dem Bf. zum Zwecke einer Wertfortschreibung des Einheitswerts auf den 21. Juni 1948 einen Mietnachweisvordruck zur Ausfüllung. Der Bf. gab ihn jedoch unausgefüllt zurück. Er erklärte hierbei, die Ausfüllung des Fragebogens dürfe sich erübrigen, weil eine Wertfortschreibung nicht in Frage komme. Infolge der Wohnraumbewirtschaftung sei er genötigt gewesen, zwei Zimmer seines Hauses zu vermieten, die durch den Einbau einer Notküche zu einer Wohnung vervollständigt worden seien. Die betreffenden Räume würden voraussichtlich in Kürze wieder frei und dann von ihm selbst bewohnt werden. Der Bf. bat, von einer Artfortschreibung abzusehen, weil die Eigenschaft des Einfamilienhauses durch die Abtrennung einer Notwohnung, mit deren dauerndem Bestand nicht gerechnet werden könne, nicht beeinträchtigt werde.

Durch Bescheid vom 3. März 1958 schrieb das Finanzamt den Einheitswert zum 21. Juni 1948 fort. Als Grund für die Wertfortschreibung gab das Finanzamt im Bescheide an, im Jahre 1938 seien ein Wohnungsanbau und ein Terrassenanbau erstellt worden; ferner sei das Grundstück bei der Hauptfeststellung 1935 anstatt mit 80 v. H. des Steueranschlages nur mit 75 v. H. des Steueranschlages bewertet worden.

Einspruch und Berufung blieben erfolglos. Mit der Rb. beantragt der Bf., die Wertfortschreibung des Einheitswertes auf den 21. Juni 1948 als unzulässig aufzuheben. Streitig sei allein, ob die vom Reichsfinanzhof zur Frage der Zulässigkeit von Wertfortschreibungen entwickelte Rechtsprechung (insbesondere das Urteil III A 230/35 vom 16. Januar 1936, RStBl 1936 S. 115) ohne weiteres auch auf die Abgaben nach dem LAG übertragen werden könne. Die auf dem Einheitswert zum 21. Juni 1948 beruhende Grundsteuer und Vermögensteuer seien verjährt. Die Auffassung, wegen des LAG sei eine Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 bis zur Verjährung der letzten Rate der Vermögensabgabe zulässig, verletze das Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen. Die Verjährungsvorschriften in § 203 Abs. 3 LAG könnten für die Frage der Zulässigkeit einer Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 nicht herangezogen werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs vom 16. Januar 1936 (a. a. O.) unterliegt die Einheitsbewertung keiner selbständigen Verjährung. Sie ist jedoch nach dieser Entscheidung unzulässig, wenn sämtliche auf ihr beruhenden Steuern verjährt sind und deshalb der Einheitswert keine steuerliche Bedeutung hat. Auch der Bundesfinanzhof hat den zuletzt angeführten Grundsatz im Urteil III 68/52 U vom 16. Mai 1952 (BStBl 1952 III S. 189, Slg. Bd. 56 S. 490) ausgesprochen. Der Reichsfinanzhof hat weiter in dem angeführten Urteil vom 16. Januar 1936 (a. a. O.) die Auffassung vertreten, eine überschreitung des billigen Ermessens könne darin nicht erblickt werden, daß das Finanzamt die Vornahme einer Einheitsbewertung unnötig lange hinausschiebe; dadurch gebe das Finanzamt noch keineswegs zu erkennen, daß es von der Einheitswertfortschreibung überhaupt absehen wolle. In dem vom Reichsfinanzhof entschiedenen Falle war die Vermögensteuer noch nicht verjährt. Die Ausführungen des Reichsfinanzhofs über das lange Hinausschieben einer Wertfortschreibung können sich somit auch nur auf die Grenzen innerhalb der Verjährungsfristen der vom Einheitswert abhängigen Steuern bezogen haben; sie sind deshalb auf den vorliegenden Streitfall nicht ohne weiteres übertragbar.

Im Streitfalle sind nach den unbestrittenen Ausführungen des Bf. die auf dem Einheitswert zum 21. Juni 1948 beruhende Vermögensteuer und Grundsteuer verjährt. Eine Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 würde aber noch Bedeutung für die Vermögensabgabe haben. Der Senat vermag jedoch der Vorinstanz darin nicht zu folgen, daß für die Zulässigkeit einer Wertfortschreibung die Auswirkungen auf den Lastenausgleich, die so lange bestehen, als noch nicht alle Raten verjährt sind, uneingeschränkt zu berücksichtigen sind. Bei der langen Laufzeit der Vermögensabgabe würde dies dazu führen, daß viele Jahre nach dem Stichtag vom 21. Juni 1948 Wertfortschreibungen von Amts wegen vorgenommen werden könnten. Der Senat hat mehrfach dazu Stellung genommen, wann "erforderlichenfalls" (vgl. § 225 a Abs. 2 Satz 1 AO) eine Fortschreibung von Amts wegen durchzuführen ist. Der Begriff "erforderlichenfalls" bedeutet, daß die steuerliche Gerechtigkeit die Fortschreibung verlangt. Dieser Fall ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige einen ausreichenden Grund für eine Fortschreibung geltend machen kann, es sich auch nicht um eine ganz geringfügige Abweichung handelt, und der Steuerpflichtige schließlich nicht jahrelang grundlos mit seiner Antragstellung gewartet hat (Urteile des Bundesfinanzhofs III 266/51 S vom 31. Oktober 1952, BStBl 1952 III S. 313, Slg. Bd. 56 S. 816; III 3/52 U vom 6. Februar 1953, BStBl 1953 III S. 65, Slg. Bd. 57 S. 164, und III 10/54 S vom 18. Juni 1954, BStBl 1954 III S. 233, Slg. Bd. 59 S. 62).

Für die Fortschreibung auf den 21. Juni 1948 ist das "Gesetz betreffend Wertfortschreibungen und Nachfeststellungen von Einheitswerten des Grundbesitzes auf den 21. Juni 1948" vom 10. März 1949 (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1949 S. 25) erlassen worden. Dieses Gesetz, das zur Durchführung des Lastenausgleiches beschlossen worden ist, bezweckte in erster Linie, die Rechtsgrundlagen für die Wertfortschreibungen der Einheitswerte des kriegszerstörten und kriegsbeschädigten Grundbesitzes zu schaffen (Abschn. I des Gesetzes). Das Gesetz läßt im Abschn. II - §§ 4 bis 6 - auch Fortschreibungen auf den 21. Juni 1948 aus "anderen Gründen" zu. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, möglichst zeitnahe und zutreffende Einheitswerte für den Lastenausgleich zu erhalten. In § 4 Abs. 1 weist das Gesetz ausdrücklich auf § 225 a AO hin. Damit gelten für die Fortschreibung auf den 21. Juni 1948 aus "anderen Gründen" auch § 225 a Abs. 2 Satz 1 AO über die Fortschreibungen von Amts wegen und die hierzu ergangene Rechtsprechung. Das bedeutet, daß zeitlich nicht unbegrenzt Wertfortschreibungen auf den 21. Juni 1948 zum Zwecke des Lastenausgleichs vorgenommen werden können. Vielmehr sind die von der Rechtsprechung entwickelten und oben wiedergegebenen Grundsätze hinsichtlich der Anregung des Steuerpflichtigen auf Fortschreibung von Amts wegen grundsätzlich auch vom Finanzamt bei der Wahl des Fortschreibungszeitpunktes zu beachten. Der erkennende Senat hat bereits im Urteil III 360/57 U vom 29. Januar 1959 (BStBl 1959 III S. 110, Slg. Bd. 68 S. 279) entschieden, daß die Befugnis des Finanzamts zur Vornahme einer Wertfortschreibung zwecks Fehlerberichtigung entfällt, wenn es grundlos lange Zeit mit der Wertfortschreibung gewartet hat. Dies muß, wenn mit Ausnahme der einzelnen Teilzahlungen zur Vermögensabgabe alle anderen auf dem Einheitswert beruhenden Steuern verjährt sind, für Wertfortschreibungen allgemein gelten.

Dem Finanzamt wurde, wie sich aus den Akten ergibt, im Jahre 1939 bekannt, daß der Bf. an seinem Gebäude einen Terrassenanbau erstellt, auf der Autohalle ein Stockwerk aufgebaut und der Steueranschlag sich dadurch um mehrere tausend RM erhöht hat. Es hat auch in demselben Jahre geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung gegeben sind, und festgestellt, daß dies nicht der Fall sei. Es ging hierbei allerdings nicht von dem Steueranschlag wie bei der Wertfortschreibung im Jahre 1958 aus und legte auch nicht den Hundertsatz von 75 wie bei der Hauptfeststellung 1935 oder 80 wie bei der Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 im Jahre 1958, sondern nur den Hundertsatz von 70 zugrunde. So kam es nur zu einem Wertunterschied, der die damals maßgebende Wertgrenze von einem Zwanzigstel nicht überschritten hat. Die Wertgrenze ist erst vom Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1944 an erhöht worden (Verordnung zur Einheitsbewertung, zur Vermögensbesteuerung, zur Erbschaftsteuer und zur Grunderwerbsteuer vom 4. April 1943, RGBl 1943 I S. 177). Ende 1953, also 14 Jahre nach der Prüfung einer Wertfortschreibung in dem Jahre 1939, hat das Finanzamt die Sache erst wieder aufgegriffen und dem Steuerpflichtigen einen Mietnachweisvordruck zur Ausfüllung zugesandt. Es hat dann wiederum 4 Jahre verstreichen lassen, bis es die Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 durchgeführt hat. Daß der Bf. durch das Nichtausfüllen des Mietnachweises und sein Schreiben unberechtigterweise zur nicht rechtzeitigen Wertfortschreibung beigetragen hat, kann nicht anerkannt werden. Das Finanzamt hätte die Wertfortschreibung zum 21. Juni 1948, die es im Jahre 1958 auf der Grundlage des Steueranschlages vornahm, bei genauer Ermittlung des Steueranschlages und des in Betracht kommenden Hundertsatzes schon im Jahre 1939 durchführen können. Zumindest hätte es die Wertfortschreibung aber nach Rückgabe des unausgefüllten Mietnachweisvordruckes und nach Erhalt des dieser Nachweisung beigefügten Schreibens des Steuerpflichtigen im Jahre 1954 vornehmen können, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem noch allgemein Wertfortschreibung nach dem Gesetz betreffend Fortschreibungen und Nachfeststellungen von Einheitswerten des Grundbesitzes auf den 21. Juni 1948 vom 10. März 1949 vorgenommen worden sind. Es liegen keine Tatsachen vor, die das sehr lange Zuwarten bis zur Vornahme der Wertfortschreibung rechtfertigen. Bei Würdigung der gesamten Sachlage ist das unbegründete und ungewöhnlich lange Zuwarten des Finanzamts bis zur Durchführung der Wertfortschreibung nicht vertretbar gewesen. Unberührt von der Entscheidung bleibt die Frage, ob der Einheitswert nicht auf einen zeitnahen Stichtag fortzuschreiben ist.

 

Fundstellen

BStBl III 1961, 430

BFHE 1962, 445

BFHE 73, 445

StRK, BewG:22 R 26

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