Entscheidungsstichwort (Thema)

Verpflichtung zur Nacherhebung

 

Leitsatz (NV)

Verpflichtung zur Verbrauchsteuer-Nacherhebung nach § 223 AO, soweit Treu und Glauben nicht entgegenstehen (Bestätigung der Rechtsprechung).

 

Normenkette

AO §§ 223, 94 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Der Kläger kaufte im Juli 1972 in den Niederlanden eine Motoryacht. Im gleichen Monat führte er das Schiff - befreit von der niederländischen Mehrwertsteuer - unter zollamtlicher Überwachung von dort aus. Der Kläger unternahm sodann mit der Yacht eine Reise, fuhr dann in die Niederlande zurück und ließ dort Instandsetzungsarbeiten durchführen, die etwa einen Monat dauerten. Am 29. Oktober 1972 führte der Kläger die Yacht über das Zollamt (ZA) ein. Das ZA fertigte die Yacht formlos zur vorübergehenden Zollgutverwendung ab. Im November 1972 wurde die Yacht auf Antrag des Klägers in das beim Amtsgericht K geführte Schiffsregister mit Heimathafen K eingetragen. In der Folgezeit nutzte der Kläger die Yacht zu privaten Fahrten auf Rhein und Mosel. Ende November 1972 machte er das Schiff in K zur Überwinterung fest. Im Februar 1973 führte der Kläger es wieder aus.

Mit Schreiben vom 27. März 1973 teilte das Hauptzollamt (HZA) dem Kläger zum Abschluß eines gegen diesen eingeleiteten Steuerstrafverfahrens mit, von der Durchführung eines Besteuerungsverfahrens werde mangels Bestehens eines Abgabenanspruchs abgesehen; bei der Yacht handele es sich um ein einfuhrumsatzsteuerfreies Seeschiff. Später, am 12. Juli 1973, erklärte das HZA, es nehme seine ,,Verfügung vom 27. März 1973 hinsichtlich des steuerrechtlichen Teils gemäß § 94 AO zurück". Mit Steuerbescheid vom 5. September 1973 forderte das HZA, dem das ZA gemäß § 78 der Reichsabgabenordnung (AO) die Zuständigkeit für die Besteuerung übertragen hatte, vom Kläger Eingangsabgaben (Einfuhrumsatzsteuer und Leuchtmittelsteuer), weil durch die Abfertigung der Yacht zu einer nichtbewilligten vorübergehenden Zollgutverwendung gemäß § 58 Abs. 1 Satz 2 des Zollgesetzes (ZG) eine Eingangsabgabenschuld entstanden sei. Die Verwendung falle nicht unter die allgemeine Bewilligung, da für die Yacht im maßgebenden Zeitpunkt kein Heimathafen oder Hauptliegeplatz außerhalb des Zollgebietes begründet gewesen sei.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hielt das Finanzgericht (FG) für begründet. Sowohl die Verfügung vom 12. Juli 1973, mit welcher der den Kläger von der Besteuerung des Schiffes freistellende Bescheid vom 27. März 1973 zurückgenommen worden sei, als auch der Steuerbescheid vom 5. September 1973 seien Ermessensentscheidungen. Die Verfügungen ließen keine Ermessenserwägungen des HZA erkennen. Es liege kein Regelfall der Nachforderung bei Berichtigung von Steuerbescheiden gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO vor, da keine schnelle Zollabfertigung an der Grenze durchgeführt, sondern ein ,,Bußgeld- und ein steuerliches Ermittlungsverfahren" gegen den Kläger eingeleitet und die Rechtslage ausgiebig erörtert worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision (des HZA) ist begründet.

Das FG hat - von seinem Standpunkt aus mit Recht - ungeprüft gelassen, ob die Yacht des Klägers Eingangsabgaben unterlag oder ob sie als zum Erwerb durch die Seeschiffahrt zu dienen bestimmtes Wasserfahrzeug für die Seeschiffahrt (§ 5, § 4 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) - UStG 1967 -) einfuhrumsatzsteuerfrei war, und seine Entscheidung darauf gestützt, der angefochtene Steuerbescheid sei wegen fehlerhafter Ermessensausübung bei der Abgabennachforderung aufzuheben. Mit dieser Begründung kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

Die vom FG getroffenen Feststellungen rechtfertigen es, die Eingangsabgaben als mit der Überlassung der Yacht nach - formloser - Abfertigung zu einer mangels eines ausländischen Heimathafens des Schiffes nicht bewilligten vorübergehenden Zollgutverwendung entstanden anzusehen (§ 21 Abs. 2 UStG 1967, § 7 Abs. 1 des Leuchtmittelsteuergesetzes in Verbindung mit § 58 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZG in der vor dem 1. Oktober 1980 geltenden Fassung, § 117 Abs. 1, § 134 Nr. 2 der Allgemeinen Zollordnung, Anhang 24 A I Nr. 4 der Dienstanweisung zum ZG und zur AZO; vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 24. Juni 1969 VII R 38/66, BFHE 96, 243, 245 f., und vom 10. Oktober 1972 VII R 21/70, BFHE 107, 174, 176 f.), falls das Schiff nicht eingangsabgabenfrei war. Derart entstandene Abgaben mußte das HZA nach dem im Streitfall anwendbaren § 223 AO erheben, ohne daß ihm ein von ihm auszuübendes und ggf. zu begründendes Ermessen zustand, und zwar unabhängig davon, ob es zuvor einen Freistellungsbescheid (vgl. § 210 Abs. 3 AO) erlassen hatte oder nicht.

Nach § 223 AO waren Nachforderungen bestimmter Steuern, darunter Verbrauchsteuern, um die es hier geht, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig. Der Bundesfinanzhof (BFH), auch der erkennende Senat, hat in gefestigter Rechtsprechung ausgesprochen, daß die Nachforderung nicht in das Ermessen des HZA gestellt, dieses vielmehr zur Nachforderung grundsätzlich verpflichtet ist und hiervon nicht etwa aus Billigkeits- oder Zweckmäßigkeitsgründen absehen darf (Urteile vom 6. März 1957 II 12/57 U, BFHE 64, 464, 465, BStBl III 1957, 173, 174; vom 28. Oktober 1958 VII 185/57 U, BFHE 68, 27, 34, BStBl III 1959, 11, 13; vom 17. Dezember 1958 VII 207/57 U, BFHE 68, 378, 384, BStBl III 1959, 146, 148; vom 19. Januar 1966 VII 153/61, BFHE 85, 370, 377, BStBl III 1966, 341, 344, und vom 30. März 1971 VII R 38/68, BFHE 102, 27, 28, BStBl II 1971, 450); dies gilt, vorbehaltlich der durch den Grundsatz von Treu und Glauben gezogenen Grenzen, selbst dann, wenn zunächst ein - sachlich unrichtiger - Freistellungsbescheid erlassen worden ist (vgl. die Urteile des erkennenden Senats in BFHE 68, 27, 36, BStBl III 1959, 11, und BFHE 102, 27, 28, BStBl II 1971, 450). An dieser Rechtsprechung, die davon ausgeht, daß das Berichtigungsermessen nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO durch den dem § 223 AO zu entnehmenden Gesetzesbefehl zur Nacherhebung unerhoben gebliebener Eingangsabgaben eingeschränkt wird, hält der Senat für die nach dem Recht der AO zu entscheidenden Fälle fest. Auf die Rechtslage nach der Abgabenordnung (AO 1977), die keine dem § 223 AO entsprechende Vorschrift enthält, braucht hier nicht eingegangen zu werden, damit auch nicht auf das zu § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ergangene Urteil des Senats vom 31. März 1981 VII R 1/79 (BFHE 133, 13, BStBl II 1981, 507), aus dem das FG zu Unrecht herzuleiten scheint, der Senat habe § 223 AO als Ermessensvorschrift verstanden. Ebenfalls bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob das Schreiben des HZA vom 27. März 1973 als Freistellungsbescheid zu werten sei oder ob es nicht vielmehr nach dem vom FG festgestellten Zusammenhang nur die Einstellung des Steuerstrafverfahrens begründen sollte. Denn selbst wenn es sich um einen Freistellungsbescheid gehandelt hätte, wäre das HZA nicht nur nicht gehindert, sondern sogar verpflichtet gewesen, zu Unrecht nicht erhobene Abgaben nachträglich geltend zu machen, ohne daß ihm ein Ermessen zugestanden hätte, dessen Ausübung hätte deutlich gemacht werden müssen.

Allerdings darf die Nachforderung, wie sich schon aus der angeführten Rechtsprechung ergibt, nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. Ein Vertrauensschutz ist insbesondere dann geboten, wenn die Geltendmachung des gesetzlichen Abgabenanspruchs mit dem allgemeinen Rechtsempfinden nicht vereinbar ist, weil sie zu einem vorangegangenen nachhaltigen Verhalten oder einer ausdrücklichen Willensäußerung der Verwaltung in Widerspruch steht und der Steuerpflichtige deswegen auf ein entsprechendes künftiges Verhalten der Verwaltung vertraut hat oder vertrauen durfte (vgl. Urteil in BFHE 102, 27, 28, BStBl II 1971, 450, sowie Urteile vom 19. Dezember 1973 II R 180/72, BFHE 111, 188, 190, BStBl II 1974, 182, und vom 9. März 1982 VII R 16/80, BFHE 135, 561). Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben kommt nur in Frage, wenn es sich um einen besonders gelagerten Fall handelt, in dem das Vertrauen eines Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maße schutzwürdig ist, daß demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen zurücktreten müssen. Selbst bei einem bereits erlassenen Steuerbescheid muß der Steuerpflichtige mit Änderungen rechnen. Er kann nicht verlangen, daß die Finanzverwaltung von der im Gesetz vorgesehenen Änderungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht und an einer als unrichtig erkannten Rechtsauffassung festhält (BFH-Urteil vom 25. Januar 1968 V 25/65, BFHE 92, 46, 48, BStBl II 1968, 421). Dagegen kann es Treu und Glauben widersprechen, wenn nach Verstreichenlassen einer längeren Frist bei unverändertem Sachverhalt lediglich aufgrund einer erneut geänderten Rechtsauffassung Nachforderungen erhoben werden (vgl. Urteil in BFHE 102, 27, 29, BStBl II 1971, 450).

Im Streitfall lassen die Feststellungen des FG keine Umstände erkennen, die unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben der Nachforderung entgegenstehen könnten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413854

BFH/NV 1986, 1

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