Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Verhältnis Lohnsteuer-Jahresausgleich - Einkommensteuerbescheid

 

Leitsatz (NV)

Erläßt das FA einen Einkommensteuerbescheid, um steuerfreie Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit beim Europäischen Patentamt im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu erfassen, so steht dem verfahrensrechtlich nicht entgegen, daß bei einem bestandskräftig durchgeführten Lohnsteuer-Jahresausgleich solche Einnahmen bekannt waren und nicht berücksichtigt worden sind.

 

Normenkette

EStG 1979 §§ 42, 46 Abs. 2 Nr. 1; AO 1977 § 155 Abs. 1, § 173 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob gegen die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zum Streitjahr 1979 nach Bestandskraft eines gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheides ein Einkommensteuerbescheid ergehen durfte.

Der Kläger war als Beamter beim Europäischen Patentamt tätig. Die Klägerin bezog als . . . Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im gemeinsamen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich wiesen die Kläger auf eine steuerfreie Tätigkeit des Ehemanns beim Europäischen Patentamt hin, ohne Angaben zur Höhe der Bezüge zu machen. Auch die beigefügte Lohnsteuerkarte 1979 des Klägers enthielt keine diesbezüglichen Eintragungen. Der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich vom 6. August 1980 führte zur Erstattung der für die Klägerin einbehaltenen Lohnsteuer.

Am 10. Juli 1981 erhielt der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) Kenntnis von dem Inhalt eines Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 4. Mai 1981. In diesem Schreiben wird darauf hingewiesen, daß die Gehälter und Bezüge der Bediensteten des Europäischen Patentamts zwar von der deutschen Einkommensteuer befreit seien, daß sie aber dem sog. Progressionsvorbehalt unterlägen. Dem Schreiben war die den Kläger betreffende Besoldungsaufstellung 1979 beigefügt.

Daraufhin führte das FA mit Bescheid vom 22. September 1981 gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Kläger eine Zusammenveranlagung durch und bezog die Einkünfte des Klägers zur Ermittlung des Steuersatzes mit ein. Mit dem Einspruch hiergegen trugen die Kläger vor, es habe ein Berichtigungsbescheid nicht ergehen dürfen und für die Anwendung eines höheren Steuersatzes fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Der Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA die für die Anwendung des Progressionsvorbehalts maßgeblichen Bezüge des Klägers um Aufwendungen für die Zukunftssicherung kürzte.

Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) den angefochtenen Einkommensteuerbescheid auf. Es war der Auffassung, da Berichtigungsvoraussetzungen - insbesondere das nachträgliche Bekanntwerden neuer Tatsachen und Beweismittel (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) - nicht vorgelegen hätten, habe eine Änderung des bestandskräftigen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheides durch den Einkommensteuerbescheid nicht erfolgen, dieser also nicht ergehen dürfen. Daher könne unerörtert bleiben, ob die von den Klägern gegen die Anwendung des Progressionsvorbehalts vorgebrachten Einwendungen zuträfen.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 42 Abs. 5 EStG i.V.m. § 155 Abs. 1 AO 1977 und macht geltend, die angefochtene Entscheidung weiche von den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. Dezember 1983 VIII R 196/82 (BFHE 140, 433, BStBl II 1984, 416) und vom 23. Oktober 1981 VI R 24/79 (BFHE 134, 418, BStBl II 1982, 215) ab. Das Lohnsteuer-Jahresausgleichs- und das Einkommensteuerveranlagungsverfahren seien jeweils selbständige Verfahren mit unterschiedlicher Zielsetzung. Bei dem Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich handle es sich auch nicht partiell um einen Einkommensteuerbescheid. Selbst wenn der Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich eine volle oder teilweise Freistellung von der Steuer beinhalten sollte (§ 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977), so läge in dieser Steuerfestsetzung keine Entscheidung über den Steueranspruch, die in ihrer Wirkung über die Festsetzung eines Erstattungsbetrages hinausgehe. Denn auch für die Steuerfreistellung stelle die zunächst zu ermittelnde Jahreslohnsteuer (§ 42 Abs. 4 Satz 4 EStG) nur einen rechnerischen Zwischenwert dar. Da im Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich keine Steuern festgesetzt würden, könne nur der Erstattungsbetrag und nicht eine bestimmte Einkommensteuerschuld in Bestandskraft erwachsen. Daraus folge, daß ein unzulässigerweise durchgeführter Lohnsteuer-Jahresausgleich einer nachfolgenden Einkommensteuerveranlagung nicht entgegenstehe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Große Senat des BFH hat durch Beschluß vom 21. Oktober 1985 GrS 3/84 (BFHE 145, 160, BStBl II 1986, 213) entschieden, daß die Bestandskraft eines nach § 42 EStG ergangenen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheids einer Einkommensteuerveranlagung desselben Steuerpflichtigen für dasselbe Kalenderjahr nicht entgegensteht, falls das FA nach Eintritt der Bestandskraft erkennt, daß es aufgrund des ihm von vornherein bekannten Sachverhalts gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Veranlagung hätte durchführen müssen. Wegen der näheren Begründung wird auf die Ausführungen des Großen Senats vollinhaltlich Bezug genommen. Danach konnte das FG den angefochtenen Einkommensteuerbescheid nicht mit der Begründung aufheben, die Bestandskraft des vorausgegangenen Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheids habe dem Erlaß des erstgenannten Bescheides entgegengestanden.

Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG wird nunmehr Feststellungen zu treffen haben, die eine Entscheidung darüber ermöglichen, ob der Kläger ausländische Einkünfte bezogen hat, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Einkommensteuer freigestellt sind, insgesamt mehr als 800 DM betragen (§ 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG) und dem Progressionsvorbehalt unterliegen (§ 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415510

BFH/NV 1988, 234

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