Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlender Verzicht auf mündliche Verhandlung bei Verfahren mit Streitwert bis 500 DM

 

Leitsatz (NV)

Erklärt der Kläger, nicht auf mündliche Verhandlung verzichten zu wollen, liegt darin ein Antrag i.S.d. Art. 3 § 5 Satz 2 VGFGEnltG. Entscheidet das FG gleichwohl ohne mündliche Verhandlung, ist der Kläger nicht vertreten i.S.d. § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO.

 

Normenkette

FGO §§ 90, 116 Abs. 1 Nr. 3; VGFGEntlG Art. 3 § 5 S. 2

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr begehrte der Kläger erfolglos die Berücksichtigung des Aufwandes für eine Bandsäge in Höhe von 1757 DM bei den Herstellungskosten gemäß § 10e des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger weiterhin die Berücksichtigung eines zusätzlichen Betrages von 102 DM gemäß § 10e EStG. Auf einen Hinweis des Berichterstatters vom 2. November 1992, eine mündliche Verhandlung sei gemäß Art. 3 § 5 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) nicht erforderlich, erklärten die Kläger mit Schreiben vom 3. Dezember 1992, sie verzichteten nicht auf mündliche Verhandlung.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Dabei entschied es unter Berufung auf Art. 3 § 5 VGFGEntlG und § 105 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung durch abgekürztes Urteil. Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie tragen u.a. vor, sie seien nicht ordnungsgemäß vertreten (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO) gewesen. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils habe das FG zwar festgestellt, die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet, sie hätten in ihrem Schreiben vom 3. Dezember 1992 jedoch ausdrücklich auf einer mündlichen Verhandlung bestanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die Revision ist statthaft. Die Kläger haben schlüssig Tatsachen bezeichnet, aus denen sich das Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO ergibt.

Nach dieser Vorschrift ist eine zulassungsfreie Revision gegeben, wenn gerügt wird, daß ein Beteiligter im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten war. Ein Beteiligter ist i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO u.a. nicht vertreten, wenn das FG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, obwohl ein Beteiligter eine solche nach Art. 3 § 5 Satz 2 VGFGEntlG beantragt hatte (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Juli 1990 I R 12/90, BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986, und vom 26. Juli 1991 VI R 100/90, BFH/NV 1992, 53 m.w.N.).

Das Vorliegen dieser Voraussetzung haben die Kläger schlüssig dargelegt mit dem Vortrag, das FG habe ohne mündliche Verhandlung entschieden, obwohl sie ausdrücklich mit Schriftsatz vom 3. Dezember 1992 auf einer mündlichen Verhandlung bestanden hätten.

2. Die Revision ist begründet.

Das FG kann sein Verfahren nach billigem Ermessen bestimmen, wenn der Streitwert 500 DM nicht übersteigt. Auf Antrag eines Beteiligten muß mündlich verhandelt werden (Art. 3 § 5 Satz 1 VGFGEntlG, jetzt § 94a Satz 2 FGO). Das FG hat, weil der Streitwert 500 DM nicht übersteigt, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Hierzu war es nicht befugt. Das FG hat zwar im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt, die Beteiligten hätten übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet. An diese Feststellung ist das Revisionsgericht jedoch nicht gebunden, denn soweit die Entscheidung über eine Verfahrensrüge davon abhängt, kann es eigene Feststellungen zum Ablauf des vorinstanzlichen Verfahrens treffen (BFH-Urteil vom 16. März 1983 IV R 147/80, BFHE 138, 143, BStBl II 1983, 476). Ausweislich der FG-Akten haben die Kläger nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet, vielmehr auf den Hinweis des Berichterstatters des FG, eine mündliche Verhandlung sei gemäß Art. 3 § 5 VGFGEntlG nicht erforderlich, ausdrücklich erklärt, sie verzichteten nicht auf mündliche Verhandlung (Schriftsatz vom 3. Dezember 1992, FG-Akte Bl. 12). Das ohne mündliche Verhandlung am 15. Dezember 1992 erlassene Urteil beruht danach auf einem Verfahrensfehler i.S. der §§ 116 Abs. 1 Nr. 3 und 119 Nr. 4 FGO.

3. Nach ständiger Rechtsprechung ist der BFH als Revisionsgericht in den Fällen der zulassungsfreien Verfahrensrevision auf die Prüfung der Verfahrensfehler i.S. des § 116 Abs. 1 FGO beschränkt (BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986; vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 116 Rdnr. 4 m.w.N.). Ist deshalb die auf § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO gestützte Revision begründet, so ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, ohne daß dem BFH eine Entscheidung in der materiellen Streitfrage gestattet wäre.

§ 126 Abs. 4 FGO findet in einem solchen Fall keine Anwendung (BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986; Gräber/Ruban, a.a.O., § 126 Rdnr. 7 m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419387

BFH/NV 1994, 394

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