Leitsatz (amtlich)

Mit einer fristsetzenden Aufforderung nach Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 1 VGFG-EntlG kann den Beteiligten nur aufgegeben werden, die nach ihrer Auffassung bei der Entscheidung zu berücksichtigenden Tatsachen anzugeben. Eine Aufforderung, die Klage zu begründen und einen bestimmten Antrag zu stellen, geht darüber hinaus und setzt die Frist nicht in Lauf (Anschluß an BFH-Urteil vom 28. April 1982 I R 35/79, BFHE 136, 515, BStBl II 1983, 42).

 

Normenkette

VGFG-EntlG Art. 3 § 3

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren 1972 und 1973 einen Groß- und Einzelhandel mit Gartengeräten. Da er keine Steuererklärungen abgab, erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) für diese Jahre auf Schätzung beruhende gesonderte Gewinnfeststellungs- und Umsatzsteuerbescheide. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger hiergegen im Juni 1978 Klage.

Mit Verfügung vom 18. Juli 1979 forderte der Berichterstatter des mit der Streitsache beim Finanzgericht (FG) befaßten Senats den Kläger auf, "bis zum 15. August 1979 die Klage zu begründen, insbesondere die zur Begründung dienenden Steuererklärungen vorzulegen, und einen bestimmten Antrag zu stellen". Die Verfügung, die lediglich mit einer Paraphe unterzeichnet ist, enthielt die in Art. 3 § 3 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungsund Finanzgerichtsbarkeit (VGFG-EntlG) vom 31. März 1978 (BGBl I, 446, BStBl I, 174) vorgesehene Belehrung über die Folgen der Fristversäumung. Auf Antrag wurde die Frist "zur Begründung der Klage und Stellung eines bestimmten Antrags" mit nicht förmlich zugestelltem Schreiben vom 24. Juli 1979, dessen bei den Akten befindliche Urschrift ebenfalls nur eine Paraphe des Berichterstatters trägt, bis zum 15. September 1979 verlängert. Auf Art. 3 § 3 VGFG-EntlG wurde nochmals hingewiesen. Wegen der Belehrung wurde auf die Verfügung vom 18. Juli 1979 Bezug genommen. Innerhalb der gesetzten Frist ging keine Klagebegründung bei Gericht ein.

In der ersten mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 1980 -- eine weitere fand am 23. April 1980 statt -- trug der Bevollmächtigte des Klägers vor, er habe die Jahresabschlüsse und die Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärungen für die Streitjahre dem Gericht mit einem Schriftsatz vom 25. August 1979 übersandt. Des weiteren legte er Fotokopien dieser Unterlagen vor.

Der Kläger beantragte, die angefochtenen Steuerbescheide entsprechend den abgegebenen Steuererklärungen abzuändern. Dem trat das FA entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Das FG wies die zur Klagebegründung vorgebrachten Tatsachen als verspätet zurück. Es war der Ansicht, der Inhalt der Steuererklärungen habe unberücksichtigt bleiben dürfen, weil der Kläger diese Erklärungen erst nach Ablauf der nach Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 3 VGFG-EntlG gesetzten Ausschlußfrist eingereicht habe. Es handele sich um Urkunden im Sinne dieser Vorschrift, zu deren Vorlage der Kläger nach § 59 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) bzw. § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) verpflichtet gewesen sei.

Der Kläger habe auch die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Dem Gericht erschien nicht glaubhaft, daß der Kläger die Unterlagen rechtzeitig abgesandt habe.

Die Zurückweisung sei angemessen, weil der fachkundig beratene Kläger trotz wiederholter Erinnerungen im behördlichen Vorverfahren und im Klageverfahren ohne hinreichende Gründe untätig geblieben sei. Eine Zulassung des Nachgereichten würde zu einer Verzögerung des Rechtsstreits geführt haben, da die Steuererklärungen hätten überprüft werden müssen.

Die angegriffenen Bescheide seien nicht zu beanstanden, denn die anhand der Voranmeldungen geschätzten Umsätze, Vorsteuern und Gewinne entsprächen, wenn man das verspätet Vorgebrachte außer acht lasse, mit größter Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Gegebenheiten.

Mit der gegen das Urteil eingelegten Revision trägt der Kläger vor, die vom FG gesetzte Ausschlußfrist habe nicht den Anforderungen des Art. 3 § 3 VGFG-EntlG entsprochen. Die maßgebliche zweite Verfügung vom 24. Juli 1979 habe keine Belehrung über die ausschließende Wirkung enthalten. Die Bezugnahme auf die erste Verfügung vom 18. Juli 1979 habe hierzu nicht ausgereicht.

Eine etwaige Verspätung sei genügend entschuldigt. Die Unterlagen seien rechtzeitig abgesandt worden; das FG hätte das Beweisangebot, den Bevollmächtigten und seine Ehefrau zu hören, nicht übergehen dürfen. Insofern werde die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt.

Die Verwertung der streitigen Tatsachen hätte das Verfahren auch nicht verzögert, da die fotokopierten Unterlagen so rechtzeitig vorgelegt worden seien, daß sie bei der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung hätten berücksichtigt werden können (Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 13. Februar 1980 VIII ZR 61/79, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1980, 1102 zu § 296 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Hierzu habe zwischen der ersten mündlichen Verhandlung vom 30. Januar 1980, in der die Steuererklärungen übergeben wurden, und dem Verhandlungstermin vom 23. April 1980 hinreichend Zeit bestanden.

Da das FG ohne den Sachvortrag des Klägers, der sich aus den Steuererklärungen und Jahresabschlüssen 1972 und 1973 ergibt, entschieden habe, könne das Urteil keinen Bestand haben.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das FG habe die nachgereichten Erklärungen zu Recht ausgeschlossen. Insbesondere hätte die Verwertung dieser Unterlagen die Erledigung des Rechtsstreits verzögert. Das FG habe in eine sachliche Prüfung der Unterlagen nicht bereits nach dem ersten, sondern erst nach dem zweiten Verhandlungstermin eintreten dürfen, sofern in diesem Termin hinreichende Entschuldigungsgründe festgestellt worden wären.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Mit dem Vorbringen, das FG hätte die zurückgewiesenen Tatsachen berücksichtigen müssen, rügt der Kläger die Verletzung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --). Das rechtliche Gehör wird nicht nur verletzt, wenn einem Beteiligten keine Gelegenheit gegeben wird, sich zu äußern, sondern auch dadurch, daß das Gericht seine Ausführungen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung zieht, sofern das Vorbringen nicht nach den Prozeßvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muß oder kann (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 27. Februar 1980 1 BvR 277/78, BVerfGE 53, 219, 222 mit weiteren Nachweisen). Art. 103 Abs. 1 GG, der im finanzgerichtlichen Verfahren unmittelbar anwendbar ist (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 9. März 1976 VII B 90/75, BFHE 118, 291, BStBl II 1976, 437), kann insbesondere dadurch verletzt sein, daß das rechtliche Gehör in einer durch eine Präklusionsvorschrift nicht mehr gedeckten Weise eingeschränkt wird (BVerfG-Beschluß vom 9. Februar 1982 1 BvR 1379/80, NJW 1982, 1453).

Die Rüge dieses Verfahrensmangels entspricht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 FGO. Danach müssen, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnet werden, die den Mangel ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355). Dem ist der Kläger mit der Darlegung nachgekommen, das FG habe den seinen Steuererklärungen zu entnehmenden Sachvortrag nicht nach Art. 3 § 3 VGFG-EntlG zurückweisen dürfen, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorgelegen hätten. Da der Kläger die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, bedarf es keiner Ausführungen darüber, daß das angefochtene Urteil auf dem gerügten Mangel beruht oder beruhen kann (§ 119 Nr. 3 FGO).

2. Die Rüge ist auch begründet. Soweit die Entscheidung über eine Verfahrensrüge davon abhängt, hat das Revisionsgericht eigene Feststellungen zum Ablauf des vorinstanzlichen Verfahrens zu treffen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 31. August 1964 VIII C 350/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1966, 102). Diese ergeben, daß das FG eine wirksame Frist mit Ausschlußmöglichkeit nicht gesetzt hat.

Das Gericht ging offensichtlich davon aus, daß die Fristsetzungen vom 18. und vom 24. Juli 1979 eine Einheit bildeten. Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen, da keine der beiden Verfügungen den Anforderungen des Art. 3 § 3 VGFG-EntlG entspricht. Daher kann auch offenbleiben, ob, wie der Kläger meint, in die Verfügung vom 24. Juli 1979 eine erneute Belehrung über die Folgen einer Fristversäumnis aufgenommen werden mußte.

a) Art. 3 § 3 VGFG-EntlG erfordert in formeller Hinsicht, daß die eine Frist anordnende Verfügung des Vorsitzenden oder des durch ihn bestimmten Berichterstatters (§ 79 FGO) unterzeichnet und daß eine beglaubigte Abschrift der fristsetzenden Verfügung förmlich (§ 53 Abs. 1 FGO) zugestellt worden ist (BFH-Urteil vom 26. August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23; BGH-Urteil vom 21. September 1982 VI ZR 272/80, Versicherungsrecht -- VersR -- 1983, 33 mit weiteren Nachweisen).

Danach litten beide Fristsetzungen an dem Mangel, daß sie keine (ausgeschriebene) Unterschrift, sondern lediglich ein Namenszeichen trugen. Für den Fall, daß der Verfügung vom 24. Juli 1979 eine von der ersten Fristsetzung losgelöste eigenständige Bedeutung zukommen sollte, wurde mit ihr auch deswegen keine Ausschlußfrist in Gang gesetzt, weil sie nicht förmlich zugestellt worden ist.

b) Des weiteren war die Aufforderung zur Klagebegründung und zur Stellung eines bestimmten Antrags sachlich nicht durch Art. 3 § 3 VGFG-EntlG gedeckt.

Nach Art. 3 § 3 VGFG-EntlG kann einem Beteiligten eine Frist gesetzt werden zum allgemeinen Tatsachenvortrag (Abs. 1 Nr. 1), zu ergänzenden Angaben über bestimmte klärungsbedürftige Punkte (Abs. 1 Nr. 2) oder zur Bezeichnung und -- bei Urkunden und bestimmten Augenscheinsobjekten -- zur Vorlage von Beweismitteln (Abs. 1 Nr. 3). Die möglichen Gegenstände einer Fristsetzung stehen insofern in einem Rangverhältnis, als einerseits die Aufforderung zur Bezeichnung bzw. Vorlage von Beweismitteln einen bestimmten Sachvortrag, der nachzuweisen ist, voraussetzt (BFH-Urteil vom 14. Januar 1981 I R 133/79, BFHE 132, 508, BStBl II 1981, 443), andererseits die Ergänzung von Angaben erst möglich ist, wenn das Klagebegehren durch allgemeinen Tatsachenvortrag erkennbar geworden ist. Daraus folgt, daß, solange überhaupt noch keine die Klage begründenden Tatsachen vorgetragen worden sind, eine Fristsetzung nur nach Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 1 VGFG-EntlG in Betracht kommt.

Danach kann die Angabe von Tatsachen, die nach Auffassung eines Beteiligten bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssen, verlangt werden. Die Aufforderung, die Klage zu begründen, geht darüber hinaus, da sie auch die Angabe von Beweismitteln einschließt und als Aufforderung zu Rechtsausführungen verstanden werden kann. Eine Fristsetzung zur Klagebegründung schlechthin ist demnach durch den Wortlaut des Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 1 VGFG-EntlG nicht gedeckt. Durch Präklusionsvorschriften wird das Recht auf Gehör inhaltlich begrenzt. Daher ist es aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, diese Bestimmungen eng auszulegen. Eine am Beschleunigungszweck orientierte Interpretation, die über den Wortlaut hinausgeht, ist demgegenüber nicht zulässig (BFH-Urteil vom 28. April 1982 I R 35/79, BFHE 136, 515, BStBl II 1983, 42).

Das FG konnte schließlich keine Ausschlußfrist setzen, binnen der ein bestimmter Klageantrag zu stellen sei.

Wird, wie im Streitfall, eine Anfechtungsklage erhoben, gehört zu ihren Mußerfordernissen die Bezeichnung des Klägers, des Beklagten, des Anfechtungsgegenstandes und des Streitgegenstandes (§ 65 Abs. 1 FGO). Bei der Bezeichnung des Streitgegenstandes muß das Ziel der Klage hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Dies kann entweder durch einen bestimmten Antrag erfolgen oder durch einen substantiierten Tatsachenvortrag, durch den der konkrete Sachverhalt unterbreitet wird, in dessen steuerrechtlicher Würdigung durch den Beklagten der Kläger eine Rechtsverletzung erblickt. Hat der Kläger sein Begehren durch ausreichende tatsächliche Darlegungen erkennbar gemacht, so muß das FG eine Sachentscheidung auch dann treffen, wenn der Kläger keinen bestimmten Antrag gestellt hat (BFH-Beschluß vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99). Der bestimmte Antrag als Sollerfordernis einer Klage (§ 65 Abs. 1 Satz 1 a. E. FGO) kann also vom Kläger nicht in dem Sinne verlangt werden, daß bei seinem Ausbleiben von einer Sachentscheidung abgesehen werden könnte. Der Kläger ist lediglich gehalten, Tatsachen so substantiiert darzulegen, daß ihnen sein Klagebegehren entnommen werden kann. Dementsprechend bewehrt Art. 3 § 3 Abs. 1 VGFG-EntlG schon nach seinem Wortlaut nur die Fristsetzung zum Tatsachenvortrag mit der Möglichkeit der Zurückweisung, nicht dagegen eine solche zur Stellung eines bestimmten Antrags (Ziemer/Haarmann/ Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen Art. 3 § 3 VGFG-EntlG Rz. 12311, 12315). Wie dargelegt, ist bei Präklusionsvorschriften eine Ausdehnende Auslegung über den durch den Sinn des Wortlauts begrenzten Willen des Gesetzgebers nicht möglich.

Ob die unwirksame Setzung der Ausschlußfrist immerhin eine Fristsetzung nach § 65 Abs. 2 FGO beinhaltet, kann offenbleiben; diese hätte jedenfalls keine ausschließende Wirkung (BFH-Urteil vom 10. Juni 1980 VIII R 128/77, BFHE 131, 178, BStBl II 1980, 696).

 

Fundstellen

Haufe-Index 74644

BStBl II 1983, 476

BFHE 1983, 143

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