Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine einheimische Ehefrau, die zusammen mit ihrem heimatvertriebenen Ehemann einen landwirtschaftlichen Betrieb in Miteigentum zu je 1/2 erwirbt, die Grunderwerbsteuerbefreiung gemäß § 31 Abs. 4 LEGzBVFG beanspruchen kann.

Schleswig-holsteinisches Gesetz zur Ergänzung bundesrechtlicher Bestimmungen über die Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten vom 28. April 1954 -

 

Normenkette

BVFG §§ 42, 44 Abs. 1 Nr. 2, § 47/2/1

 

Tatbestand

I. -

Die Bfin. ist Einheimische, ihr Ehemann Heimatvertriebener mit Ausweis A. Die Eheleute erwarben durch notariell beurkundeten Vertrag (mit Nachträgen) im Jahre 1958 einen rund 9 ha großen landwirtschaftlichen Betrieb in Miteigentum zu je 1/2. Nachdem der Ehemann eine sich nur auf ihn beziehende Bescheinigung des Kulturamtes vom 14. Juli 1959 gemäß § 37 Abs. 4 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge in der Fassung vom 14. August 1957 - BVFG - (GBl 1957 I S. 1215, BStBl 1957 I S. 432) vorgelegt hatte, stellte das Finanzamt den Ehemann von der bereits gegen beide Ehegatten festgesetzten Grunderwerbsteuer in Höhe von insgesamt 3795,05 DM (einschließlich Zuschlag) frei, forderte aber von der Ehefrau eine Grunderwerbsteuer von 1.897,50 DM an. Die Steuer wurde entrichtet. Dem Antrag auf Erstattung, weil der ganze Erwerb nach den Vorschriften des BVFG begünstigt sei, entsprach das Finanzamt nicht, verwarf den Einspruch vielmehr als unzulässig, weil die Rechtsmittelfrist versäumt sei.

Mit der Berufung legte die Bfin. (vertreten durch ihren Ehemann) eine neue Bescheinigung des Kulturamtes gemäß § 37 BVFG vom 11. Mai 1960 des Inhalts vor, daß der Ehemann Heimatvertriebener sei und daß die Grundstücksveräußerung nach § 42 BVFG die Voraussetzungen der §§ 35 bis 37 erfülle; die frühere Bescheinigung vom 14. Juli 1959 werde aufgehoben.

Das Finanzgericht hielt zutreffend die Einspruchsfrist für gewahrt, in der Sache die Berufung aber für unbegründet. Nach § 31 Abs. 4 des schleswig-holsteinischen Gesetzes zur Ergänzung bundesrechtlicher Bestimmungen über die Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten vom 28. April 1954 - LEGzBVFG - (GVBl 1954 S. 77 ff.) in Verbindung mit § 35 BVFG, § 29 des Reichssiedlungsgesetzes (RSiedlG) seien nur solche Geschäfte begünstigt, die unmittelbar der Eingliederung eines Vertriebenen in die Landwirtschaft dienten, also nur Geschäfte, durch die der Vertriebene selbst ein landwirtschaftliches Gut erwerbe. Das Kulturamt habe nur nach § 37 Abs. 4 BVFG bescheinigt, daß die Voraussetzungen für die Steuervergünstigungen nach §§ 47 bis 56 (richtig: §§ 35 bis 37) BVFG erfüllt seien, während nach § 31 Abs. 4 LEGzBVFG zu bescheinigen gewesen wäre, daß der Erwerbsvorgang der Eingliederung eines Vertriebenen in die Landwirtschaft unter Mitwirkung der Siedlungsbehörde gedient habe. Im übrigen halte die Bescheinigung der zulässigen Nachprüfung in steuerrechtlicher Hinsicht nicht stand, da die Bfin. als Einheimische die Grunderwerbsteuerbefreiung nicht beanspruchen könne.

Mit der Rb. macht die Bfin. im wesentlichen geltend, die Eingliederung des Ehemannes sei nicht schon durch den Erwerb des halben, sondern nur durch den Erwerb des ganzen (lebensfähigen) Betriebs möglich gewesen. Das Finanzgericht habe unzutreffend § 47 Abs. I Ziff. II BVFG (gemeint ist offensichtlich § 47 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVFG) nicht zumindest analog angewendet. Schließlich rechtfertige sich die Grunderwerbsteuerbefreiung auch nach § 31 Abs. 3 LEGzBVFG.

 

Entscheidungsgründe

II. -

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 31 Abs. 4 LEGzBVFG sind, wie aus der Bezugnahme auf § 29 RSiedlG folgt, alle Geschäfte und Verhandlungen zur Eingliederung von Vertriebenen in die Landwirtschaft gemäß §§ 35 bis 68 BVFG von der Grunderwerbsteuer des Landes Schleswig-Holstein befreit, wenn eine dem § 29 Abs. 2 RSiedlG entsprechende Bescheinigung der Siedlungsbehörde vorliegt.

Aus dieser umfassenden Verweisung auf die Vorschriften des Zweiten Titels des Dritten Abschnitts des BVFG ergibt sich, daß die Befreiungsvorschrift sich nach §§ 42, 44 Abs. 1 Nr. 2 BVFG auch auf die übertragung des Miteigentums an einem landwirtschaftlichen Betrieb an einen Vertriebenen erstreckt. Die letztere Bestimmung gilt nicht nur für die übertragung von Miteigentum zwischen Ehegatten im Zusammenhang mit der Einheirat. Die (ohnehin unzutreffende und nur historisch zu erklärende: vgl. insoweit Ostendorf, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe C 1960 Lieferung Nr. 169 vom 12. Januar 1960 zu § 44 BVFG Anm. 1) überschrift des § 44 BVFG "Einheirat ..." zwingt - entgegen der Auffassung des Finanzamts - nicht zu diesem Schluß, da diese überschrift sich zwar zunächst auf die Fälle des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BVFG bezieht, aber auch solche des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BVFG umfassen kann. Der für die Auslegung letztlich entscheidende Wortlaut der Nr. 2 a. a. O. selbst enthält diese Einschränkung (auf übertragung von Miteigentum nur zwischen Ehegatten) im Gegensatz zu Nr. 1 a. a. O. gerade nicht. Demgemäß kommt § 44 Abs. 1 Nr. 2 BVFG auch für andere als eherechtliche Verträge, also auch für die übertragung des Miteigentums an Vertriebene in Betracht, die nicht mit dem übertragenden verheiratet sind (so auch Ehrenforth, Kommentar zum Bundesvertriebenengesetz, § 44 Tz. 1 b zu gg und c zu bb, S. 215; Kühne-Wolff, Die Gesetzgebung über den Lastenausgleich, Anhang I zum Lastenausgleichsgesetz § 202, BVFG § 44 Anm. 3 und § 47 Anm. 5; Leitreiter, Kommentar zum Bundesvertriebenengesetz, § 44 Anm. 2 zu Abs. 1; Ostendorf, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe C 1960 Lieferung Nr. 169 vom 12. Januar 1950 zu § 44 BVFG Anm. 1 zu II, S. 55). Nach § 47 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVFG sind beim Erwerb des Miteigentums nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BVFG die Steuer- und Abgabenvergünstigungen für den ganzen Betrieb zu gewähren, wenn das Miteigentum an diesem Betrieb dem Vertriebenen mindestens zur Hälfte übertragen wird. Zwar bezieht sich die Vorschrift des § 47 BVFG zunächst unmittelbar auf die Steuer- und Abgabenvergünstigungen nach §§ 48 bis 56 BVFG für den "Landabgeber" (überschrift zu § 47 BVFG), der diese Vergünstigungen also auch dann nicht verlieren soll, wenn er nicht seinen ganzen Betrieb, sondern nur Miteigentum daran an einen Vertriebenen überträgt. Da aber auch § 47 BVFG in seinem ganzen Umfang in der Verweisungsvorschrift des § 31 Abs. 4 LEGzBVFG enthalten ist, kann deren Anwendung jedenfalls auf dem Gebiet des Landesgrunderwerbsteuerrechts nicht nur etwa auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Eigentümer selbst einem Vertriebenen seinen ganzen Betrieb überträgt oder ihm Miteigentum daran mindestens zur Hälfte einräumt; sie muß vielmehr - wie im Streitfall - auch dann anwendbar sein, wenn der Veräußernde seinen Betrieb (jeder der veräußernden Ehegatten sein Miteigentum) in Miteigentum mindestens zur Hälfte an einen Vertriebenen und im übrigen an den (nicht vertriebenen) Ehegatten dieses Vertriebenen überträgt. Obwohl auch in den (Haupt-)Fällen, in denen ein Ehegatte Gesamthandeigentum oder Miteigentum im Sinne des § 44 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BVFG von dem anderen Ehegatten erwirbt, jener erstere Ehegatte an sich ebenfalls im Regelfall bereits durch die Heirat selbst eingegliedert ist, wird die Steuervergünstigung trotzdem gewährt. Der Grundgedanke gerade dieser Vorschriften, Ehegatten auch wirtschaftlich verstärkt zu begünstigen, rechtfertigt nach Auffassung des Senats bei der ohnehin gebotenen Großzügigkeit in der Anwendung der steuerrechtlichen Vergünstigungsvorschriften zugunsten Vertriebener die vorstehende Auslegung: In allen Fällen der genannten Art wird im Ergebnis ein vertriebener Ehegatte durch den Erwerb eines landwirtschaftlichen Betriebs in Miteigentum zu mindestens der Hälfte im Sinne des BVFG eingegliedert.

Außerdem kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß bei der Grunderwerbsteuer gemäß § 15 Ziff. 1 GrEStG Steuerschuldner nicht nur der Erwerber, sondern auch der Landabgeber ist, für letzteren also die auch ihm (wenn auch praktisch wegen regelmäßiger Inanspruchnahme zunächst des Erwerbers erst in zweiter Linie) zugute kommende Grunderwerbsteuervergünstigung eingeschränkt würde, wenn diese in Fällen der vorliegenden Art für den Erwerb des Miteigentums durch den einheimischen Ehegatten versagt würde. Dies stünde nach Auffassung des Senats mit dem gerade für die Fälle der § 44 Abs. 1 Nr. 2, 47 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 in Verbindung mit §§ 48 bis 56 BVFG zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzes nicht in Einklang, Vertriebene und Landabgeber steuerrechtlich durch Gewährung der Vergünstigungen für den ganzen Betrieb im Interesse der Eingliederung des Vertriebenen zu entlasten, wenn dem Vertriebenen wenigstens Miteigentum zu mindestens der Hälfte übertragen wird. Diese Grundregelung des BVFG ist durch die Bezugnahme in § 31 Abs. 4 LEGzBVFG auch zur landesrechtlichen Regelung geworden.

Die Vorentscheidung, die von anderen rechtlichen Erwägungen ausgeht, war aufzuheben.

Die Gewährung der Steuervergünstigung hinsichtlich des durch die Bfin. erworbenen Miteigentums setzt voraus, daß auch durch ihren Miterwerb in Verbindung mit dem Erwerb des Miteigentums mindestens zur Hälfte durch den vertriebenen Ehemann für letzteren eine neue gesicherte Lebensgrundlage, d. h. eine selbständige Existenz in der Landwirtschaft geschaffen wird (§§ 36 Nr. 2, 44 Abs. 1 BVFG; Ehrenforth, a. a. O., § 44 Tz. 1 zu d, S. 219, Tz. 2 S. 220). Die Siedlungsbehörde muß entsprechend versichern, daß der gesamte Erwerb der Eingliederung des Ehemannes dient. Insoweit handelt es sich kraft ausdrücklicher landesgesetzlicher Regelung um eine Bescheinigung im Sinne des § 31 Abs. 4 LEGzBVFG in Verbindung mit § 29 RSiedlG und nicht um eine solche nach der bundesrechtlichen Vorschrift des § 37 Abs. 4 BVFG. Deshalb bindet eine nach § 31 Abs. 4 LEGzBVFG abgegebene Versicherung in entsprechender Anwendung der ständigen Rechtsprechung der obersten Steuergerichte zu § 29 Abs. 2 RSiedlG (vgl. zuletzt Urteil des Senats II 125/61 U vom 24. Juni 1964, BStBl 1964 III S. 446, 447 linke Spalte oben; zu § 37 Abs. 4 BVFG Urteil des Bundesfinanzhofs III 64/60 vom 16. November 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963 Nr. 341 S. 357) die Finanzbehörden nur in tatsächlicher, nicht auch in rechtlicher Hinsicht. Möglicherweise hätte der Senat das Bedenken, die Bescheinigung des Kulturamts vom 11. Mai 1960 trotz ihrer Bezugnahme auf § 37 BVFG als eine Bescheinigung gemäß § 31 Abs. 4 LEGzBVFG gelten zu lassen, zurückgestellt, wenn diese Bescheinigung wenigstens nach ihrem Inhalt eindeutig klar wäre. Nicht zu Unrecht weist bereits das Finanzgericht darauf hin, daß die Bescheinigung ausdrücklich nur den Ehemann als Vertriebenen aufführt. Entscheidend ist aber, daß das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 35 bis 37 BVFG nur für eine Grundstücksveräußerung nach § 42 BVFG bestätigt wird. Dieser Hinweis kann sich demgemäß nur auf den Grundstückserwerb durch den Ehemann selbst beziehen.

Bei dieser Sach- und Rechtslage muß der Senat die nicht spruchreife Sache an das Finanzamt zurückverweisen. Dieses wird veranlassen müssen, daß das Kulturamt prüft und gegebenenfalls unter Bezugnahme auf § 31 Abs. 4 LEGzBVFG in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Nr. 2, § 47 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVFG versichert, daß (erst) die gesamte Grundstücksveräußerung an den Ehemann und an die Ehefrau der Eingliederung des Ehemannes im Sinne der Schaffung einer selbständigen Existenz für den Vertriebenen dient (wofür die Umstände sprechen, insbesondere auch die Tatsache, daß erst der ganze Betrieb rund 9 ha Land umfaßt).

Nur zur Klarstellung sei bemerkt, daß die Bfin. sich auf die Billigkeitsvorschrift des § 31 Abs. 3 LEGzBVFG in diesem Rechtsmittelverfahren nicht berufen könnte. Abgesehen davon, ob im Streitfall eine BGB-Gesellschaft zwischen den Ehegatten vorliegt, wie die Bfin. erstmals in dieser Instanz vortragen läßt, gilt § 31 Abs. 3 LEGzBVFG nach seinem Wortlaut nur beim Grundstückserwerb durch die Personengesellschaft selbst, also im Falle einer BGB-Gesellschaft beim Erwerb von Gesamthandeigentum durch die Gesellschafter (ß 718 BGB). Außerdem könnten nach dem Urteil des Senats II 229/58 U vom 12. August 1959, BStBl 1959 III S. 431, Slg. Bd. 69 S. 457, die Steuergerichte erst angerufen werden, wenn die nach § 237 der Reichsabgabenordnung (AO) zulässigen Rechtsbehelfe ausgeschöpft worden sind. Ebenso könnte in diesem Verfahren nicht geprüft werden, ob - falls die Bfin. von der angeforderten Grunderwerbsteuer nicht schon auf Grund einer entsprechenden Versicherung des Kulturamts aus Rechtsgründen freizustellen ist - gegebenenfalls eine Billigkeitsmaßnahme nach § 131 AO zu erwägen wäre.

 

Fundstellen

BStBl III 1965, 117

BFHE 1965, 325

BFHE 81, 325

StRK, GrEStG:1 R 139

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