Leitsatz (amtlich)

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, daß ein Steurpflichtiger den Flüchtlingsfreibetrag nach § 52 Abs. 14 EStG 1967 in Verbindung mit § 33a Abs. 1 und § 41 Abs. 1 Nr. 5 EStG 1953 nicht erhalten kann, wenn er die Beantragung des Flüchtlingsausweises jahrelang verzögert hat.

 

Normenkette

EStG 1967 § 52 Abs. 14; EStG 1953 § 33a Abs. 1, § 41 Abs. 1 Nr. 5; BVFG § 15; LStR 1965 Abschn. 39d Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Vertriebene. Der Ehemann ist seit 1949 und die Ehefrau seit 1956 in der Bundesrepublik Deutschland. Ihnen wurde im Jahr 1965 auf Grund eines kurz zuvor gestellten Antrages der Flüchtlingsausweis A ausgestellt.

Die Kläger waren im Streitjahr 1967 als Arbeitnehmer tätig. Ihr im Rahmen des gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1967 u. a. gestellter Antrag auf Gewährung des Vertriebenenfreibetrages nach § 52 Abs. 14 EStG 1967 (§ 25b LStDV 1965) in Verbindung mit §§ 33a Abs. 1 und 41 Abs. 1 Nr. 5 EStG 1953 von 840 DM wurde vom Beklagten und Revisionskläger (FA) abgelehnt. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG gab der Klage insoweit statt. Es führte in dem in EFG 1971, 286 veröffentlichten Urteil aus, den Klägern stehe der Freibetrag in dem Jahr zu, in dem bei ihnen die Voraussetzungen hierfür eingetreten seien, und außerdem für die folgenden beiden Kalenderjahre. Die Voraussetzungen hätten bei den Klägern erstmals im Jahre 1965 vorgelegen, da sie erst in diesem Jahr den Flüchtlingsausweis A bekommen hätten. Gemäß der Bindungswirkung des Flüchtlingsausweises A auf Grund des § 15 Abs. 5 Satz 1 BVFG vom 23. Oktober 1961 (BGBl I 1961, 1883) könnten die Behörden der Finanzverwaltung den Freibetrag nicht gewähren, wenn der Ausweis nicht vorliege. Nach dem Urteil des BVerwG vom 25. März 1965 VIII C 395.63 (BVerwGE 21, 33) habe die Erteilung des Ausweises rechtsgestaltende Wirkung. Es komme nicht darauf an, daß der klagende Ehemann schon seit 1949 und die klagende Ehefrau schon seit 1956 in der BRD ansässig seien. Nach § 25b Abs. 3 Satz 2 LStDV 1965 seien die Voraussetzungen für die Gewährung des Freibetrages in dem Kalenderjahr eingetreten, in dem der Vertriebene als unbeschränkt Steuerpflichtiger erstmals zu den begünstigten Personengruppen gehört habe. Diese Vorschrift sei jedenfalls nach Einführung der Bindungswirkung des Flüchtlingsausweises in § 15 Abs. 5 Satz 1 BVFG durch Art. I Nr. 9 Buchst. c des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesvertriebenengesetzes vom 27. Juli 1957 (BStBl I 1957, 423) unwirksam geworden. Denn § 25b Abs. 3 Satz 2 LStDV 1965 lasse entgegen dem Gesetz den Dreijahreszeitraum für die Inanspruchnahme des Freibetrages schon beginnen, wenn möglicherweise eine der Voraussetzungen für die Gewährung des Freibetrages noch nicht vorliege, weil der Flüchtlingsausweis noch nicht erteilt sei. Das FG teile daher nicht den Standpunkt des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 13. April 1962 VI 213/60 U (BFHE 74, 695, BStBl III 1962, 257), der in § 25b Abs. 3 Satz 2 LStDV "eine sinnvolle und zutreffende Auslegung des Gesetzes" erblickt habe. § 25b Abs. 3 Satz 2 LStDV wäre auch dann unwirksam, wenn man die den § 33a EStG 1953 modifizierende Vorschrift der späteren Einkommensteuergesetze als ergänzungsbedürftig halten würde. Denn es fehle an einer entsprechenden, den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügenden speziellen Ermächtigung in § 51 Abs. 1 EStG.

Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 25b Abs. 3 LStDV. Es beantragt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

Nach § 33a Abs. 1 EStG 1953 stand einem Steuerpflichtigen mit einer Kinderermäßigung für ein Kind bei der Einkommensteuerveranlagung ein vom Einkommen abzuziehender Freibetrag von 840 DM zu, wenn er Heimatvertriebener im Sinne des § 2 BVFG vom 19. Mai 1953 (BGBl I 1953, 201) war. Nach § 41 Abs. 1 Nr. 5 EStG war auf Antrag des Arbeitnehmers dieser Freibetrag auch bei der Berechnung der Lohnsteuer abzuziehen.

Nach dem für das Streitjahr 1967 maßgebenden § 52 Abs. 14 EStG 1967 gelten § 33a Abs. 1 und § 41 Abs. 1 EStG 1953 weiter mit der Maßgabe, daß sie bei einem Steuerpflichtigen jeweils für das Kalenderjahr, in dem bei ihm die Voraussetzungen für die Gewährung eines Freibetrages nach diesen Vorschriften eingetreten sind, und für die beiden folgenden Kalenderjahre anzuwenden sind. § 25b Abs. 1 LStDV 1965 bestimmt hierzu, daß Heimatvertriebene im Sinne der §§ 1 und 2 BVFG in der Fassung vom 23. Oktober 1961 (BGBl I 1961, 1882) auf Antrag einen jährlichen Freibetrag von 840 DM bei der Berechnung der Lohnsteuer erhalten, wenn sie - wie der Kläger - Arbeitnehmer der Steuerklasse III, 1 sind. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Freibetrages sind gemäß § 25b Abs. 3 Satz 2 LStDV 1965 bei einem Steuerpflichtigen in dem Kalenderjahr eingetreten, in dem er als unbeschränkt Steuerpflichtiger erstmals zu den in Abs. 1 bezeichneten Personengruppen gehört hat.

§ 25b Abs. 4 Satz 2 LStDV 1959, der wörtlich mit § 25b Abs. 3 Satz 2 LStDV 1965 übereinstimmt, hat der Senat in dem vom FG zitierten Urteil VI 213/60 U als eine sinnvolle und zutreffende Auslegung des Gesetzes angesehen. Wie der Senat damals ausführte, liegt es nahe, den Beginn des Dreijahreszeitraums an den Eintritt der unbeschränkten Steuerpflicht zu knüpfen, weil das eine objektive und im Bereich der steuerlichen Betrachtung gelegene Feststellung ist. Der Senat beachtete damals zugleich, daß ein Steuerpflichtiger keinen Antrag auf Gewährung des Freibetrages stellen kann, bevor er nicht als Flüchtling anerkannt ist. Im Hinblick auf den Zweck des § 52 EStG, den Vertriebenen und Flüchtlingen den Freibetrag für drei Jahre zu gewähren, hat der Senat bei einer um 1 1/4 Jahr von der Behörde verzögerten Ausstellung des Flüchtlingsausweises als Erstjahr für die steuerliche Vergünstigung das Jahr der endgültigen Anerkennung und Ausstellung des Flüchtlingsausweises angesehen. Der Senat hat damals unter Bezugnahme auf diese Entscheidung im Urteil vom 6. Mai 1969 VIR 110/68 (BFHE 96, 269, BStBl II 1969, 621) hervorgehoben, daß der Freibetrag bei einer jahrelang hinausgeschobenen Beantragung des Flüchtlingsausweises abzulehnen sei. Nur dann, wenn aus Gründen, die nicht in der Person des Vertriebenen liegen, die Ausstellung des Ausweises längere Zeit in Anspruch nimmt, sei eine begrenzte Verzögerung des Beginns des Erstjahres als unschädlich zu erachten. Die Vorentscheidung veranlaßt den Senat nicht zur Änderung dieser Rechtsprechung.

Der Flüchtlingsausweis ist keine gesetzliche "Voraussetzung für die Gewährung eines Freibetrages" nach § 52 Abs. 14 EStG 1967 in Verbindung mit § 33a Abs. 1 und § 41 Abs. 1 Nr. 5 EStG 1953. Er erleichtert nur den Nachweis für das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, nämlich der Vertriebenen- oder Flüchtlingseigenschaft nach §§ 1 bis 4 BVFG. § 15 Abs. 1 BVFG beschreibt die Bedeutung des Flüchtlingsausweises eindeutig mit den Worten, Vertriebene und Flüchtlinge erhalten "zum Nachweis" ihrer Vertriebenen- und Flüchtlingseigenschaft (§§ 1 bis 4 BVFG) den Flüchtlingsausweis. Ebenso wie der Senat im Urteil VI 213/60 U hat auch das Bayerische Oberste Landesgericht im Beschluß vom 25. Juni 1957 (NJW 1957, 1364) darauf hingewiesen, daß die Erteilung des Flüchtlingsausweises nicht die Flüchtlingseigenschaft begründet. Sie enthebt den Betroffenen nur der Notwendigkeit, diese Eigenschaft von Fall zu Fall nachzuweisen und sie entbindet andere Behörden der Pflicht, die gesetzlichen Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft ihrerseits nachzuprüfen. Von dieser Möglichkeit hat die Finanzverwaltung in Abschn. 39d Abs. 1 Nr. 1 LStR 1965 Gebrauch gemacht, indem sie anordnete, daß im Lohnsteuerverfahren - und damit auch im Lohnsteuer-Jahresausgleich - die Zugehörigkeit von einer der in § 33a Abs. 1 EStG 1953 bezeichneten Personengruppen durch Vorlage eines Ausweises im Sinne des § 15 BVFG zu erbringen ist. Diese Regelung ist sinnvoll und zweckmäßig, weil die FÄ bei der von ihnen zu bewältigenden Massenarbeit überfordert wären, selbst die Vertriebeneneigenschaft der Steuerpflichtigen jeweils selbständig zu prüfen.

An dieser Sach- und Rechtslage hat sich nichts dadurch geändert, daß durch den im Jahr 1957 in das Bundesvertriebenengesetz eingefügten § 15 Abs. 5 der Flüchtlingsausweis für verbindlich erklärt wurde, indem der Gesetzgeber anordnete, daß "die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises ... für alle Behörden und Stellen verbindlich (ist), die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling nach diesem oder einem anderen Gesetz zuständig sind". Abs. 5 dieser Vorschrift hat gemäß der vom FG zitierten Entscheidung des BVerwG VIII C 395.63 nur insoweit rechtsgestaltende Wirkung, als diese Vorschrift nunmehr alle Behörden an die Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises bindet. Denn ohne diese gesetzliche Regelung konnten die Behörden ihren Entscheidungen eine solche Wirkung nicht verleihen. § 15 Abs. 5 BVFG besagt im übrigen nicht, daß die in den §§ 15 und 16 BVFG angesprochene Flüchtlingsbehörde allein für die Entscheidung über die Vertriebeneneigenschaft zuständig geworden ist. Soweit nicht Gesetze, Verordnungen oder Verwaltungsanweisungen etwas anderes vorschreiben, müssen die Behörden weiterhin selbständig die Vertriebeneneigenschaft prüfen, solange keine Entscheidung der Flüchtlingsbehörde nach §§ 15 und 16 BVFG ergangen ist oder noch nicht bestandskräftig sein sollte (vgl. BVerwG-Urteil vom 28. November 1957 III C 150.57, NJW 1958, 804).

Der Senat kann es im Streitfall dahingestellt sein lassen, aus welchen Gründen sich die Beantragung des Flüchtlingsausweises bei den Klägern verzögerte. Der Dreijahreszeitraum für die Inanspruchnahme des Freibetrages nach § 52 Abs. 14 EStG 1967 in Verbindung mit § 33a Abs. 1 und § 41 Abs. 1 Nr. 5 EStG 1953 war jedenfalls im Jahr 1965 abgelaufen, als den Klägern der Flüchtlingsausweis A auf Grund eines von ihnen erst kurz zuvor gestellten Antrages ausgestellt wurde. Seit dem Aufenthalt des klagenden Ehemannes in der BRD ab 1949 und dem der Ehefrau seit ihrer Übersiedlung aus Schlesien im Jahr 1956 lag keine lediglich begrenzte Verzögerung des Beginns des Erstjahres der steuerlichen Vergünstigung im Sinne des obigen BFH-Urteils VI R 110/68 vor.

Die Vorentscheidung, der eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, da das FA die Gewährung des Flüchtlingsfreibetrages zu Recht abgelehnt hat, war die Klage als unbegründet abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70948

BStBl II 1974, 543

BFHE 1974, 362

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