Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Beamten des Steuerfahndungsdienstes üben die ihnen nach § 22 Satz 2 FVG zustehenden Ermittlungsbefugnisse kraft gesetzlichen Auftrages als Funktion des im Sinne des § 147 Abs. 1 AO zuständigen Finanzamts aus. Sie bedürfen zur Ausübung dieser Befugnisse keines Auftrages dieses Finanzamts.

Sie sind befugt, Betriebsprüfungen durchzuführen. Ihre Ermittlungshandlungen, die sie im Zuge einer Betriebsprüfung vornehmen, sind verjährungsunterbrechende Handlungen im Sinne des § 147 AO.

 

Normenkette

AO § 147 Abs. 1, § 146a Abs. 3; FVG § 22 S. 2; AO § 439

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 15.05.1963; Aktenzeichen 2 BvR 106/63)

 

Tatbestand

Die Bfin. und ihr am 10. Januar 1951 verstorbener Ehemann wurden im Jahre 1950 durch Zusendung eines Erklärungsvordrucks zur Abgabe der Einkommensteuererklärung für II/1948 und 1949 aufgefordert. Nachdem antragsgemäß die Erklärungsfrist durch Verfügung vom 31. Januar 1951 letztmalig bis zum 28. Februar 1951 verlängert worden war, ging die Erklärung am 2. März 1951 bei dem Finanzamt ein. Die Bfin. erklärte darin für II/1948 einen Verlust von 12.094 DM und für 1949 einen Verlust von 24.188 DM. Das Finanzamt sah mit Rücksicht hierauf von einer Veranlagung für die genannten Veranlagungszeiträume ab. Ein Freistellungsbescheid erging nicht. Die entsprechende Verfügung des Finanzamts vom 17. März 1951 enthält den Vermerk: "II/1948 - 1949 Keine Veranlagung" und den weiteren Vermerk: "BP. beantragen". Am 24. April 1957 - also etwa sechs Jahre später - erging nachträglich ein Bescheid, durch den für II/1948 auf der Grundlage eines gewerblichen Gewinns von 50.000 DM eine Einkommensteuer von 36.755 DM und für 1949 auf der Grundlage eines gewerblichen Gewinns von 20.000 DM eine Einkommensteuer von 4.068 DM festgesetzt wurde. Dies beruht auf den Feststellungen, die die Steuerfahndungsaußenstelle A der Oberfinanzdirektion A im Zuge einer im Januar 1955 begonnenen Prüfung getroffen hat und die in einem dem Bescheid beigefügten Bericht vom 14. Juli 1956 niedergelegt sind.

Im Rechtsmittelverfahren werden sachliche Einwendungen gegen diese Steuerfestsetzung erhoben. Zunächst aber wird geltend gemacht, die Einkommensteueransprüche II/1948 und 1949 seien bereits mit Ablauf des Jahres 1956 verjährt, so daß für eine nachträgliche Heranziehung zur Einkommensteuer im Jahre 1957 keine Rechtsgrundlage mehr vorhanden gewesen sei.

Das nach erfolglosem Einspruch angerufene Finanzgericht, auf dessen Entscheidung Bezug genommen wird, hat mit Zustimmung der Bfin. über die Frage der Verjährung gemäß § 284 Abs. 2 AO vorab entschieden und in übereinstimmung mit dem Finanzamt dahin erkannt, daß die Steueransprüche im Jahre 1957 noch nicht verjährt waren.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat tritt der Vorentscheidung im Ergebnis bei.

Da andere Unterbrechungshandlungen im Sinne des § 147 AO, die die Verjährung nach § 147 Abs. 3 AO über den 31. Dezember 1956 hinaus unterbrochen haben könnten, nicht ersichtlich sind, kommt es entscheidend darauf an, ob die von der Steuerfahndungsstelle in den Jahren 1955/56 durchgeführte Prüfung die Verjährung der Steueransprüche unterbrochen hat.

Andere Unterbrechungshandlungen scheiden aus folgenden Gründen aus: Selbst wenn - was mindestens zweifelhaft sein kann - in der Verlängerungsverfügung vom 31. Januar 1951 mit der Entscheidung des V. Senats des Bundesfinanzhofs V 109/58 vom 11. Februar 1960 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 147 Rechtsspruch 17) eine erneute Aufforderung zur Erklärungsabgabe zu sehen ist, hätte die so bewirkte Verjährungsunterbrechung bereits mit Ablauf des Jahres 1956 ihr Ende erreicht. Ein Steuerbescheid, der nach der Entscheidung des erkennenden Senats IV 184/60 S vom 4. August 1960 (BStBl 1960 III S. 430, Slg. Bd. 71 S. 485) die Verjährung in vollem Umfang unterbrochen haben könnte, ist bis zum 31. Dezember 1956 nicht ergangen. Dem Prüfungsauftrag der Oberfinanzdirektion A vom 15. April 1955 an die Steuerfahndungsstelle - Außenstelle A - kann schon mangels inhaltlicher Bestimmtheit keine Unterbrechungswirkung zuerkannt werden. Der Inhalt des Prüfungsauftrages ist für die sachliche und zeitliche Unterbrechung der Verjährung von Bedeutung (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 156/57 U vom 3. Juli 1958, BStBl 1958 III S. 472 ff., Slg. Bd. 67 S. 519). Der Prüfungsauftrag vom 15. April 1955 enthält jedoch weder einen Hinweis auf die in die Prüfung einzubeziehenden Veranlagungszeiträume noch einen Hinweis auf die zu prüfenden Steuerarten. Dasselbe muß schon aus den gleichen Gründen auch für die im Oktober 1954 erfolgte Aktenübersendung des Finanzamts an die Steuerfahndungsaußenstelle gelten, da auch insoweit keinerlei Beziehung zu einer bestimmten Steuerart oder zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum erkennbar ist. Schließlich muß auch die Berichtszusendung außer Betracht bleiben, da sie nach der unbestrittenen Feststellung der Vorinstanz erst im Jahre 1957 anläßlich der Bekanntgabe der Bescheide erfolgt ist.

Mithin hängt - wie dargelegt - die Entscheidung davon ab, ob und inwieweit den von der Steuerfahndungsstelle im Jahre 1955 bzw. 1956 durchgeführten Ermittlungen bzw. den von ihr getroffenen Feststellungen unterbrechende Wirkung im Sinne des § 147 AO zukommt.

Die Bfin. bestreitet die örtliche und die sachliche Zuständigkeit der Steuerfahndungsstelle mit einer Begründung, die hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit im Ergebnis darauf hinausläuft, daß diese Stelle nur so viel an sachlicher Zuständigkeit für sich in Anspruch nehmen könne, als sie von dem im Einzelfalle zuständigen Finanzamt im Sinne des § 147 Abs. 1 AO ableiten könne. Dazu sei erforderlich, daß sie kraft eines von diesem Finanzamt erteilten Auftrages oder mindestens mit dessen Einverständnis tätig werde. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Jedenfalls sei für die Bfin. nach dieser Richtung nichts erkennbar geworden.

Mit diesen Ausführungen verkennt die Bfin. die Rechtslage. Es kommt auf all dies nicht an.

Der Gesetzgeber hat im Jahre 1950 - dem Zuge der Entwicklung folgend und sie bestätigend - die Herauslösung des Steuerfahndungdienstes aus dem sachlichen Aufgabenbereich der Finanzämter und seine - im Interesse einer wirksameren und örtlich ungebundeneren Tätigkeit - erfolgte organisatorische Umgestaltung bzw. Zusammenfassung außerhalb der Finanzämter im Gesetz über die Finanzverwaltung (FVG) anerkannt. Dies erschließt sich als Erwägung des Gesetzgebers bei unbefangener Auslegung eindeutig aus dem Wortlaut des § 22 Satz 2 FVG, der bestimmt, daß die "den Beamten der Finanzämter" zustehenden Ermittlungsbefugnisse auch den Beamten des Steuerfahndungsdienstes zustehen. Damit sind die Steuerfahndungsstellen zwar nicht - wie nach § 1 Abs. 1 Ziff. 2 Satz 2 FVG die Zollfahndungsstellen - den Finanzämtern gleichgestellt. Aber es kann nicht zweifelhaft sein, daß der Gesetzgeber mit der genannten Bestimmung klarstellen wollte und aus Gründen ihres wirksamen Einsatzes auch klarstellen mußte, daß die Steuerfahndungsstellen im Ermittlungsbereich selbständig eine in jeder Hinsicht wirksame Funktion der Finanzämter ausüben, obwohl sie nicht Finanzämter sind und obwohl demgemäß auch ihre Beamten nicht Beamte der Finanzämter sind. Man kann demgemäß zwar sagen, daß sie "für die Finanzämter" ermitteln, bei denen auch nach wie vor im übrigen die letzte Entscheidung verbleibt. Man kann aber nicht sagen, daß sie nur kraft Auftrages der Finanzämter oder jedenfalls nur im Einvernehmen mit ihnen tätig werden können. Die Steuerfahndung wird vielmehr kraft ihres gesetzlichen Auftrages aus eigener Willensentschließung "als Funktion des Finanzamts tätig" (so auch: Delhey, Die Organisation des steuerlichen Prüfungsdienstes im Blickpunkt der Rechtsstaatlichkeit, in "Die steuerliche Betriebsprüfung" 1962 S. 71, 101; Tipke-Kruse, AO-Kommentar, S. 414). Die von der Steuerfahndungsstelle zur Feststellung der Einkommensteueransprüche II/1948 und 1949 vorgenommenen Handlungen sind daher entgegen den Argumenten der Rb. als Handlungen im Sinne des § 147 AO anzusehen. Abgesehen davon hat die Vorinstanz auch eingehend und überzeugend dargelegt, daß die im Betrieb der Bfin. durchgeführte Prüfung durchaus im Einvernehmen und mit dem Willen des Finanzamts erfolgte und daß sich ferner die Bfin. über Wesen und Bedeutung dieser Prüfung auch nicht im unklaren gewesen sein kann.

Wenn im übrigen die Beamten des Steuerfahndungsdienstes über Befugnisse verfügen, die über die zur Durchführung einer "normalen" Betriebsprüfung erforderlichen Befugnisse hinausgehen (Beschlagnahme, Durchsuchung), so ist - entgegen der von der Bfin. vertretenen Auffassung - nicht einzusehen, weshalb sie nicht die sachliche Zuständigkeit haben sollen, wie im vorliegenden Falle ohne "besonderen Anlaß" eine Betriebsprüfung vorzunehmen, zu deren Durchführung diese weitergehenden Befugnisse nicht erforderlich sind. Der sachliche Aufgabenbereich des Steuerfahndungsdienstes ist jedenfalls in dieser Hinsicht vom Gesetzgeber nicht begrenzt bzw. eingeschränkt. Das Mehr schließt auch hier das Weniger ein, zumal die Beamten des Steuerfahndungsdienstes nach dem Gesetz (ß 22 FVG) schlechthin die Ermittlungsbefugnisse haben, die allgemein den Beamten der Finanzämter zustehen. Ungeachtet dieser Rechtslage hält der Senat jedoch den Hinweis für angezeigt, daß es im wohlverstandenen Interesse der Verwaltung liegt, wenn sie durch entsprechende organisatorische Maßnahmen sicherstellt, daß mit Fahndungsbefugnissen ausgestattete Beamte zu Betriebsprüfungen nur mit gebotener Vorsicht, insbesondere nicht allgemein und unterschiedslos herangezogen werden.

Da ferner der von der Oberfinanzdirektion erteilte Auftrag hinsichtlich der zu prüfenden Steuerarten und Veranlagungszeiträume keine Weisungen enthielt, war der Prüfer insoweit zur Entscheidung nach seinem eigenen pflichtgemäßen Ermessen berechtigt. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß er hierbei die Grenzen seines Ermessens verletzt hat.

Was schließlich die von der Bfin. gegen die örtliche Zuständigkeit geltend gemachten Bedenken betrifft, so kann die Rb. auch insoweit keinen Erfolg haben. Das Finanzamt weist zutreffend darauf hin, daß der Aufgabenbereich des Steuerfahndungsdienstes - anders als bei den Finanzämtern nach den §§ 71 ff. AO - jedenfalls innerhalb des in Betracht kommenden Landes vom Gesetz her nicht auf einen bestimmten örtlichen Bezirk begrenzt wird. Die Frage, wo ein Prüfer eingesetzt wird, ist eine von der Verwaltung nach ihrem Ermessen zu entscheidende organisatorische Frage.

Der Senat hat über die Streitfrage nicht, wie von der Bfin. beantragt, durch Zwischenurteil, sondern durch Endurteil zu entscheiden (ß 298 Abs. 1 AO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 410542

BStBl III 1963, 49

BFHE 1963, 137

BFHE 76, 137

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