Leitsatz (amtlich)

1. § 12 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes setzt nicht voraus, daß ein Siedlungsverfahren im Sinne des Reichssiedlungsgesetzes vorliegt.

2. Eine nach § 12 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes in Verbindung mit § 29 Absatz 2 RSiedlG abgegebene Versicherung bindet die Finanzbehörden nur in tatsächlicher, nicht auch in rechtlicher Hinsicht.

 

Normenkette

Flüchtlingssiedlungsgesetz § 12

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (Bg.), ein Flüchtlingslandwirt, heiratete im Jahre 1947 eine Landwirtstochter. Durch Übernahmevertrag vom 29. Juni 1950 erwarb er zusammen mit seiner Frau je zur Hälfte den ihnen bereits am 1. Oktober 1949 übergebenen Grundbesitz seines Schwiegervaters. Das Finanzamt zog ihn zur Grunderwerbsteuer aus der Hälfte der vereinbarten Gegenleistungen heran, indem es die Steuerfreiheit aus § 12 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes vom 10. August 1949 (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes -- WiGBl. -- S. 231) versagte. Das zuständige Kulturaml hatte am 20. Dezember 1950 "gemäß § 29 des Reichssiedlungsgesetzes (RSiedlG) vom 11. August 1919 (Reichsgesetzblatt S. 1429) in Verbindung mit § 12 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes versichert, daß ein Siedlungsverfahren im Sinne dieser Gesetze vorliege und daß der Übergabevertrag zur Durchführung eines solchen Verfahrens diene und die Verfahrensgrundlage bilde".

Das Finanzgericht stellte den Bg. von der Steuer frei. Es lehnte die Auffassung des Finanzamts ab, § 12 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes sei nur auf Siedlungsverfahren im Sinne des Reichssiedlungsgesetzes anwendbar. Die Bescheinigung des Kulturamts halte hinsichtlich des Siedlungsverfahrens nach dem Flüchtlingssiedlungsgesetz der zulässigen rechtlichen Nachprüfung stand, da sie der vom Finanzgericht vertretenen Rechtsauffassung, § 12 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes setze nur ein Verfahren nach dem Flüchtlingssiedlungsgesetz voraus, entspreche; die Nachprüfung in tatsächlicher Hinsicht aber sei dem Finanzamt entzogen; deshalb seien die Bedenken des Finanzamts, das Kulturamt könne möglicherweise bei der Durchführung des Siedlungsverfahrens gar nicht mitgewirkt haben, weil die Bescheinigung 15 Monate nach der Übergabe des Grundstücks ausgestellt sei, unerheblich.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts hat keinen Erfolg, weil der Vorentscheidung im Ergebnis beizutreten ist.

§ 12 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes lautet: Auf Geschäfte, die der Durchführung dieses Gesetzes dienen, finden die Vorschriften des § 29 RSiedlG entsprechende Anwendung.

Hieraus ergibt sich unbedenklich, daß ein Siedlungsverfahren im Sinnedes Reichssiedlungsgesetzes nicht vorzuliegen braucht, daß vielmehr die Steuerbefreiunng aus § 29 RSiedlG auch auf die Verfahren zur Eingliederung von Heimatvertriebenen in die Landwirtschaft nach dem Flüchtlingssiedlungsgesetz Anwendung findet.

Hinsichtlich der Bescheinigung des Kulturamts hat das Finanzgericht mit Recht angenommen, daß sie die Steuerbehörden nur in tatsächlicher, nicht auch in rechtlicher Hinsicht bindet. Es kann ihm aber nicht beigetreten werden, wenn es meint, eine Bescheinigung, die in rechtlich einwandfreier Auslegung des § 12 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes als eine Bescheinigung über ein Verfahren nach diesem Gesetz ausgestellt sei, könne nicht mehr Gegenstand einer rechtlichen Beanstandung sein. So beruht z. B. die Beanstandung, daß ein Geschäft nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar zur Durchführung des fraglichen Verfahrens diene (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs II 201/51 vom 2. November 1951, Bundessteuerblatt III S. 234, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen -- Bay.FMBl. -- 1952 S. 72) auf rechtlicher Grundlage. Es handelt sich dabei nicht mehr um die zutreffende oder unzutreffende Auslegung des § 12 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes, sondern um die Frage der rechtlichen Beurteilung der auf Grund dieser Vorschrift ausgestellten Bescheinigung. Da das Finanzgericht dies verkannt hat, liegt ein Grund zur Aufhebung seines Urteils vor. Die danach zulässige Berücksichtigung des tatsächlichen Vorbringens in der Rechtsbeschwerdeinstanz führt gleichwohl zur Bestätigung der Vorentscheidung.

Der Bg. hat nämlich Erklärungen des Kulturamts vorgelegt, in denen dieses die Bescheinigung dahin erläutert hat: Der Antrag auf Mitwirkung der Siedlungsbehörde sei am 10. August 1949 vom Kreisbauernverband beim Kulturamt gestellt worden, woraufhin der Übergabevertrag vom 29. Juni 1950 unter Mitwirkung des Kulturamts zustande gekommen sei. In einem Ortstermin sei unter Beteiligung des Landwirtschaftsamts, des Bauernverbandes, des Landrats -- Flüchtlingsdienst -- und des Kreisverbandes der Heimatvertriebenen gemäß § 13 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes ein Antrag des Bg. auf Kredithilfe eingehend geprüft worden. Auf Antrag des Kulturamts habe sodann der Minister für Arbeit, Landwirtschaft und Wirtschaft zur Eingliederung und Seßhaftmachung des heimatvertriebenen Bg. eine Finanzierungshilfe von 3800 DM bewilligt. Hiernach kann ein Zweifel daran, daß ein Verfahren nach dem Flüchtlingssiedlungsgesetz gegeben ist und daß der Übergabevertrag der Durchführung dieses Gesetzes gedient hat, nicht obwalten.

Der Vorsteher des Finanzamts meint, dies deshalb nicht anerkennen zu können, weil bei einer Einheirat ein Siedlungsverfahren als ausgeschlossen erachtet werden müsse. Es kann dahingestellt bleiben, wie es mit der Steuerbefreiung bei Einheiraten zu halten ist; denn der Bg. hat nicht in einen landwirtschaftlichen Betrieb eingeheiratet, sondern Grundbesitz übertragen erhalten, nachdem er zwei Jahre vorher eine Landwirtstochter geheiratet hatte. Es mag sein, daß nach der Eheschließung die Übergabe des Hofs an den Bg. zu erwarten war, weil der Vater der Frau männliche Abkömmlinge nicht hatte; als feststehend kann dies aber nicht bezeichnet werden. Die Eheschließung des Bg. hatte seine Eingliederung in die Landwirtschaft noch nicht zur Folge. Es wurde vielmehr auf Grund der Prüfung der Verhältnisse eine Finanzierungsbeihilfe zur Seßhaftmachung des Bg. gewährt, nachdem dieser, wie das Kulturamt angeführt hat, den landwirtschaftlichen Dienststellen durch seine Leistung und seine Kenntnisse nachgewiesen hatte, daß er fähig und in der Lage ist, den Betrieb zu führen.

Hiernach war die Grunderwerbsteuerfreiheit zu gewähren. Es ist deshalb nicht weiter zu erörtern, ob die Annahme eines Siedlungsverfahrens im Sinne des Reichssiedlungsgesetzes auf Grund der Vorschriften über die Soforthilfeabgabe (§ 28 Ziffer 3 des Soforthilfegesetzes vom 8. August 1949, WiGBl. S. 205; § 6 der Zweiten Durchführungsverordnung zum Ersten Teil des Soforthilfegesetzes vom 29. Dezember 1950, Bundesgesetzblatt 1951 I S. 51) auch die unmittelbare Anwendung des § 29 RSiedlG auf den Grunderwerbsteuerstreitfall zur Folge hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407400

BStBl III 1952, 134

BFHE 1953, 344

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