Entscheidungsstichwort (Thema)

Revision nach Inkrafttreten des Beschleunigungsgesetzes

 

Leitsatz (NV)

1. Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG in seiner ursprünglichen Fassung ist nur anzuwenden, wenn die Entscheidung des FG, gegen die sich das Rechtsmittel wendet, vor Inkrafttreten des Beschleunigungsgesetzes entweder verkündet oder von Amts wegen an Stelle einer Verkündung zugestellt worden ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 6. November 1985 II R 217/85, BFHE 145, 120, BStBl II 1986, 175).

2. Wird nach Erlaß eines Vorbescheids Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, ist das darauf ergehende Urteil die das Verfahren vor dem FG abschließende Entscheidung; das gilt auch dann, wenn das FG lediglich entscheidet, daß der Vorbescheid mangels wirksamen Antrags auf mündliche Verhandlung bereits als Urteil wirkt.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 3 S. 1, § 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1; BFHEntlG Art. 1 Nr. 5; Beschleunigungsgesetz vom 4. Juli 1985 Art. 1, 3

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) durch Vorbescheid vom 29. August 1984 abschlägig beschieden. Der Vorbescheid wurde den Klägern am 29. September bzw. 1. Oktober 1984 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 1984 - beim FG eingegangen am 26. Oktober 1984 - beantragte Frau A mündliche Verhandlung. Sie legte in Fotokopie eine Vollmacht des Klägers vom 14. April 1984 vor. Diese hatte den Wortlaut: ,,Hiermit beauftrage ich Frau A, mich zu vertreten." Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 1984 - beim FG eingegangen am 26. Oktober 1984 - zeigten die Rechtsanwälte X, Y und Partner an, daß sie die Kläger vertreten würden; sie beantragten ebenfalls die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung. Eine Vollmacht der Kläger lag ihrem Antrag nicht bei. Zur daraufhin vom FG anberaumten mündlichen Verhandlung ist für die Kläger niemand erschienen.

Das FG erkannte mit Urteil vom 14. August 1985, daß der Vorbescheid vom 29. August 1984 als Urteil wirkt. Der Antrag auf mündliche Verhandlung nach Ergehen eines Vorbescheids stelle eine Prozeßhandlung dar, zu deren Vornahme grundsätzlich nur die Beteiligten des Rechtsstreits befugt seien. Lasse sich ein Beteiligter bei Vornahme einer Prozeßhandlung vertreten, so sei diese nur wirksam, wenn der Vertreter seine Befugnis dazu durch eine Vollmacht nachweise. Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei die Vollmacht schriftlich zu erteilen. Das Vorliegen der Vollmacht sei eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Prozeßhandlung, wobei es nicht darauf ankomme, ob die Vollmacht vorhanden wäre, aber nicht vorgelegt würde, oder ob sie gar nicht erteilt wäre. Im Streitfall hätten die Rechtsanwälte X, Y und Partner keine Vollmacht vorgelegt, so daß bereits aus diesem Grunde ihrerseits kein wirksamer Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt worden sei. Aber auch soweit ein Antrag auf mündliche Verhandlung durch Frau A gestellt worden sei, sei die Vertretungsbefugnis nicht hinreichend nachgewiesen worden. Zur Schriftform gehöre die handschriftliche Unterzeichnung des Vollmachtgebers. Die Ablichtung der Vollmachtsurkunde genüge nicht. Das Urteil des FG ist am 14. August 1985 in öffentlicher Sitzung verkündet worden.

Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 1985 - eingegangen beim FG am 11. Oktober 1985 - haben die Kläger Revision eingelegt. Sie rügen, daß das FG ihnen das rechtliche Gehör versagt habe. Zur Begründung führen sie aus, der den Kläger in seinem Ermittlungsverfahren vertretende Rechtsanwalt X habe mit Schriftsatz vom 25. Oktober 1984 den Antrag gestellt, das Verfahren auszusetzen, weil der Kläger sich zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft befunden habe. Diese habe bis zum 29. Februar 1985 gedauert. Sämtliche steuerliche Unterlagen des Klägers seien durch gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Beschlüsse beschlagnahmt. Daraus ergebe sich zwangsläufig, daß der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, seine Belange in diesem hier anstehenden Rechtsstreit ordnungsmäßig wahrzunehmen. Auf der Ladung für die Kläger zum Termin vom 14. August 1985 habe nichts von einer Verpflichtung gestanden, eine Vollmacht auf die Rechtsanwälte X, Y und Partner einzureichen. Die Ladung zu dem Termin sei dem Kläger überdies nicht ordnungsgemäß zugegangen. Lediglich auf der Terminladung für die Anwälte habe gestanden, daß um Einreichung einer Prozeßvollmacht spätestens im Termin gebeten werde. Unter diesen Umständen sei es nicht zulässig gewesen, im Termin vom 14. August 1985 die angefochtene Entscheidung zu erlassen, die damit begründet werde, daß eine Vollmacht gefehlt habe.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, hilfsweise das Verfahren auszusetzen, bis die beschlagnahmten steuerlichen Unterlagen dem Kläger wieder ausgehändigt worden sind und er mit seiner ehemaligen Steuerberaterin Kontakt aufnehmen darf.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht statthaft und deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 124 FGO).

Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861) ist durch das Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1274) - Beschleunigungsgesetz - dahin geändert worden, daß abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur stattfindet, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Das Beschleunigungsgesetz trat gemäß Art. 5 am Tag nach der Verkündung in Kraft; es ist am 16. Juli 1985 verkündet worden.

In der Übergangsvorschrift des Art. 3 des Beschleunigungsgesetzes ist der zeitliche Anwendungsbereich von dessen Art. 1 und 2 zusammenfassend dahin geregelt, daß die ursprüngliche Fassung anzuwenden ist, ,,wenn der Verwaltungsakt vor Inkrafttreten dieses Gesetzes bekanntgegeben oder die Entscheidung vor Inkrafttreten dieses Gesetzes verkündet oder von Amts wegen an Stelle einer Verkündung zugestellt worden ist". Das bedeutet, daß die Revision gegen ein FG-Urteil, das nach dem 16. Juli 1985 verkündet oder zugestellt worden ist - unbeschadet des § 116 FGO -, nur statthaft ist, wenn das Rechtsmittel zugelassen worden ist. Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG in seiner ursprünglichen Fassung ist nur anzuwenden, wenn die Entscheidung des FG, gegen die sich das Rechtsmittel wendet, vor Inkrafttreten des Beschleunigungsgesetzes entweder verkündet oder von Amts wegen an Stelle einer Verkündung zugestellt worden ist (BFH-Urteil vom 6. November 1985 II R 217/85, BFHE 145, 120, BStBl II 1986, 175).

Im Streitfall ist Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG in seiner neuen Fassung anzuwenden, denn die angefochtene Entscheidung des FG ist nach Inkrafttreten des Beschleunigungsgesetzes verkündet worden, und zwar in der Sitzung vom 14. August 1985. Maßgebende Entscheidung für die Anwendung der Übergangsregelung ist nicht der Vorbescheid vom 29. August 1984, sondern das Urteil vom 14. August 1985. Das FG entschied darin zwar lediglich, daß der Vorbescheid vom 29. August 1984 bereits als Urteil wirkt, weil im Streitfall kein wirksamer Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt worden war. Gleichwohl ist erst das Urteil vom 14. August 1985 die das Verfahren vor dem FG abschließende Entscheidung (vgl. BFH-Urteil vom 12. August 1981 I B 72/80, BFHE 134, 216, 218, BStBl II 1982, 128).

Diese Auslegung der Übergangsregelung entspricht Sinn und Zweck des Beschleunigungsgesetzes, denn der Gesetzgeber wollte eine ,,sofort erreichbare Möglichkeit der Entlastung des Bundesfinanzhofs" schaffen (vgl. Stenographischer Bericht des Deutschen Bundestages vom 23. Mai 1985, Plenarprotokoll 10/140 S. 10404 C, 10409 A; Offerhaus, Der Betrieb 1985, 1608; Meyer-Ladewig, Neue Juristische Wochenschrift 1985, 1985, 1991).

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision sind im Streitfall damit nicht gegeben. Das Urteil des FG enthält keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision. Auch der BFH hat die Revision nicht zugelassen. Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO sind in der Revision nicht gerügt worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415474

BFH/NV 1988, 256

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