Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe schriftlicher Verwaltungsakte

 

Leitsatz (NV)

  1. Ist der Zeitpunkt des Zugangs eines Verwaltungsakts streitig, so ist die Behörde insoweit nur bei begründeten Zweifeln an dem gesetzlich vermuteten Zugangszeitpunkt nachweispflichtig. Derartige Zweifel liegen vor, wenn der Adressat Tatsachen vorträgt, welche die Behauptung eines verspäteten Zugangs als schlüssig erscheinen lassen.
  2. Zur Zulässigkeit einer sog. außerordentlichen Beschwerde.
 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 2; FGO § 128 Abs. 3

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) erhob beim Finanzgericht (FG) Klage wegen Kindergeld und beantragte zugleich, die Vollziehung des angefochtenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Arbeitsamt -Familienkasse-) auszusetzen. Das FG lehnte den Aussetzungsantrag ab, weil der von der Antragstellerin eingelegte Einspruch verspätet und der angefochtene Bescheid deshalb bereits bestandskräftig sei. Nach der beigefügten Rechtsmittelbelehrung ist dieser Beschluss unanfechtbar.

Die Antragstellerin hat gleichwohl Beschwerde eingelegt und ausdrücklich beantragt, die Beschwerde zuzulassen. Der Beschluss des FG sei nicht haltbar, weil er die Vorschrift des § 122 der Abgabenordnung (AO 1977) uminterpretiere. Die Zugangsfiktion gelte nur für den Fall, dass der Verwaltungsakt nicht zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Der Zugang des angefochtenen Bescheids werde nicht bestritten, sondern lediglich der unterstellte Zeitpunkt, wofür gewichtige Gründe vorgetragen worden seien.

Die Antragstellerin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Aussetzung der Vollziehung des Rückforderungsbescheids jedenfalls nicht wegen angeblicher Bestandskraft des Bescheids abzulehnen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

1. Nach § 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) steht den Beteiligten gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Das FG hat gegen seinen Beschluss die Beschwerde nicht zugelassen. Die Beschwerde ist deshalb nicht statthaft.

2. Das Rechtsmittel ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. außerordentlichen Beschwerde zulässig.

Obwohl in der FGO eine solche Beschwerde nicht vorgesehen ist, wird in Fällen, in denen eine Entscheidung kraft Gesetzes unanfechtbar wird, ausnahmsweise die Beschwerde für zulässig erachtet, wenn der Beschluss unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist oder auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und zu einem Ergebnis führt, das durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte (vgl. zuletzt Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. November 1999 XI B 32/99, BFH/NV 2000, 593, m.w.N.). Es kann dahingestellt bleiben ob eine außerordentliche Beschwerde auch für die Fälle in Betracht kommt, in denen die Beschwerde nach § 128 Abs. 3 FGO nicht statthaft ist. Die Voraussetzungen, unter denen eine solche Beschwerde ausnahmsweise zulässig sein könnte, sind jedenfalls im Streitfall nicht schlüssig vorgetragen.

a) Eine schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften ist nicht ersichtlich. Das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung ist ein summarisches Verfahren, in welchem der Prozessstoff auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen und präsenten Beweismittel beschränkt ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 593). Das FG konnte deshalb, nachdem es auf Bedenken hinsichtlich der Rechtzeitigkeit des Einspruchs hingewiesen hatte, seiner Entscheidung die Stellungnahme der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 13. Dezember 1999 zugrunde legen, ohne den Sachverhalt weiter aufzuklären.

b) Die Antragstellerin hat auch keinen greifbaren Gesetzesverstoß hinsichtlich des Inhalts der angefochtenen Entscheidung dargelegt. Steht der Zugang eines Verwaltungsakts fest und ist lediglich der Zeitpunkt des Zugangs streitig, beschränkt § 122 Abs. 2 AO 1977 die Nachweispflicht der Behörde auf die Fälle, in denen Zweifel an dem vom Gesetz unterstellten Zugang begründet sind. Zur Begründung eines solchen Zweifels genügt es, wenn der Adressat den Zugang "substantiiert bestreitet", d.h. Tatsachen vorträgt, welche die Behauptung eines gegenüber dem gesetzlich vermuteten Zeitpunktes verspäteten Zugangs als schlüssig erscheinen lassen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 7. November 1985 V R 3/83, BFH/NV 1987, 274).

Im Streitfall ist es nicht zu bestanden, dass das FG die Ausführungen im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 13. Dezember 1999 als nicht ausreichend angesehen hat, um die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 zu entkräften. Zu einem substantiierten Vortrag über die näheren Umstände des Zugangs des angefochtenen Bescheids bestand insbesondere deshalb Veranlassung, weil der Bescheid vom 23. Juni 1999 an die bisherige Anschrift der Antragstellerin (in X, Y-Straße) gerichtet war, die Antragstellerin nach ihrem Vortrag aber im Zeitpunkt ihrer Eheschließung am 18. Juni 1999 bereits bei ihrem Ehemann in A (B-Straße) wohnte und danach mit ihrem Ehemann in die C-Straße in A umzog. Unter diesen Umständen war der nicht näher erläuterte Vortrag, der Bescheid sei frühestens am 28. Juni 1999 bei der Antragstellerin eingegangen, offensichtlich unzureichend. Ein Gesetzesverstoß durch das FG ist somit nicht erkennbar.

 

Fundstellen

BFH/NV 2000, 1449

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