Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzlicher Richter bei der Entscheidung über die Ablehnung eines Einzelrichters

 

Leitsatz (NV)

1. Wird der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen und dieser als befangen abgelehnt, entscheidet über das Ablehnungsgesuch der Senat, dem der abgelehnte Einzelrichter angehört.

2. Ein Senatsmitglied, das im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat, ist nicht gemäß § 51 Abs. 2 FGO von der Mitwirkung ausgeschlossen, denn die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch und die über die Hauptsache betrifft nicht die "nämliche Sache".

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1-2; ZPO § 45

 

Tatbestand

Der vom zuständigen Senat des Finanzgerichts (FG) zum Einzelrichter bestimmte Richter am FG A hat die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) nach mündlicher Verhandlung vom 26. Juli 1995 abgewiesen. Das Urteil wurde der Klägerin zusammen mit dem Beschluß vom gleichen Tage, wonach die "Zurückübertragung des Rechtsstreits an den Senat" abgelehnt wurde, zugestellt. Mit Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 21. August 1995 wurde Richter am FG A wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da er grobe Verfahrensfehler begangen, Willenserklärungen verfälscht, Urteile zum Nachteil der Klägerin unterdrückt und das rechtliche Gehör absichtlich verletzt habe. Richter am FG A hat in seiner, der Klägerin bekanntgegebenen dienstlichen Äußerung erklärt, er halte sich nicht für befangen; die von der Klägerin erhobenen Vorwürfe seien nicht gerechtfertigt.

Durch Beschluß vom 4. Oktober 1995 wurde das Ablehnungsgesuch durch die Richter am FG B und C (Richter des zuständigen Senats des FG) und durch den Richter am FG D (Richter eines anderen Senats des FG) zurückgewiesen. Zu der Mitwirkung des Richters am FG D kam es, weil der Vorsitzende des zuständigen Senats, Vorsitzender Richter am FG E, vom 27. September bis 6. Oktober 1995 Urlaub hatte und anschließend bis zum 13. Oktober 1995 krankgeschrieben war. Zur Begründung führten die entscheidenden Richter aus: Ob aus dem Vortrag der Klägerin, der abgelehnte Richter habe im Urteil die Anträge unvollständig wiedergegeben sowie zahlreiche unrichtige oder unvollständige Tat bestandsaussagen gemacht, ein Ablehnungsgrund abzuleiten sei, könne dahingestellt bleiben, da die Klägerin dies in der mündlichen Verhandlung hätte vorbringen können. Denn der Richter habe nicht nur den Sachverhalt wörtlich so verlesen, wie er im Urteil niedergelegt worden sei, sondern er habe auch die im Termin gestellten Sachanträge in das Terminprotokoll und in das Urteil übernommen. Wenn der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung keine Einwendungen erhoben habe, so sei die Ausschlußwirkung des § 43 der Zivilprozeßordnung (ZPO) eingetreten. Im übrigen begründeten grobe Verfahrensfehler und sonstige Rechtsverstöße grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund; hiergegen könnten sich Beteiligte im Wege der dafür vorgesehenen Rechtsbehelfe zur Wehr setzen. Daß etwaige Rechtsverstöße des abgelehnten Richters auf Willkür oder auf einer unsachlichen Einstellung gegenüber der Klägerin oder deren Bevollmächtigten beruhten, sei nicht erkennbar.

Mit der Beschwerde begehrt die Klägerin sinngemäß die Aufhebung des Beschlusses, da dieser an groben Verfahrensfehlern leide. Das FG habe über das Ablehnungsgesuch in falscher Besetzung entschieden. Da die Sache auf den Einzelrichter übertragen und nicht rückübertragen worden sei, sei durch das Ablehnungsgesuch das Gericht in der Person des Einzelrichters beschlußunfähig geworden; es hätte daher die nächsthöhere Instanz entscheiden müssen (§ 51 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 45 Abs. 1 ZPO). Schließlich hätte keinesfalls Richter am FG D an dem Beschluß mitwirken dürfen. Zum einen enthalte der Geschäftsverteilungsplan des FG keine Regelungen darüber, welcher Richter über ein Ablehnungsgesuch im Falle der Rückübertragung des Rechtsstreits auf den Senat und bei Verhinderung von dem zuständigen Senat angehörenden Richtern zu entscheiden habe. Damit stehe fest, daß D schon aus diesem Grunde als Richter des ... Senats nicht habe mitwirken dürfen. Im übrigen sei Richter am FG D von der Mitwirkung ausgeschlossen gewesen, weil er im voran gegangenen Verwaltungsverfahren als Sachgebietsleiter innerhalb desjenigen Verfahrens tätig gewesen sei, welches zum vor liegenden Klageverfahren geführt habe. Im übrigen habe der abgelehnte Richter am FG A willkürlich und absichtlich Verfahrensfehler begangen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hält die Beschwerde für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

An dem angefochtenen Beschluß haben die zuständigen Richter mitgewirkt. Für die Ablehnung von Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 49 ZPO sinngemäß (§ 51 FGO). Gemäß § 45 ZPO entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört. Über ein Ablehnungsgesuch entscheidet nach ständiger Rechtsprechung bei Kollegialgerichten derjenige Senat, dem der abgelehnte Richter angehört. Der abgelehnte Richter am FG A war Mitglied des zuständigen Senats des FG, so daß über das Ablehnungsgesuch die übrigen Richter dieses Senats zu entscheiden hatten. Daran ändert nichts der Umstand, daß der Rechtsstreit dem abgelehnten Richter A als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden war; denn diese Übertragung hat nichts an der Mitgliedschaft des Richters im zuständigen Senat des FG geändert (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 54. Aufl., 1996, § 45 Rz. 1, m. w. N.).

Da der Vorsitzende des zuständigen Senats z. Zt. der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch abwesend war, war nach dem eindeutigen Geschäftsverteilungsplan des FG für das Jahr 1995 der im Zeitpunkt der Entscheidung auf Lebenszeit ernannte Richter am FG D zur Mitwirkung bestimmt. Daß die entscheidenden Richter über den Ablehnungsantrag beschlossen haben, um die Abwesenheit des Senatsvorsitzenden auszunutzen, ist eine durch nichts belegte Behauptung der Klägerin.

Richter am FG D war an der Mitwirkung auch nicht durch § 51 Abs. 2 FGO gehindert. Nach dieser Vorschrift ist ein Richter von der Ausübung des Amtes ausgeschlossen, wenn er bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. Diese Vorschrift bezweckt in Ergänzung zu § 41 Nr. 6 ZPO, daß auch derjenige als Richter von der Entscheidung ausgeschlossen ist, dessen Mitwirkung an der im Verwaltungsverfahren getroffenen Entscheidung zu der Befürchtung Anlaß bietet, er habe sich in der Sache festgelegt und könne seine richterliche Entscheidung nicht mehr mit der gebotenen Objektivität treffen (z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH vom 14. Juli 1988 IV R 74/87, BFH/NV 1989, 441, m. w. N.). Bei der Entscheidung über den Befangenheitsantrag war lediglich die Frage einer möglichen Befangenheit des Richters am FG A zu beantworten. Diese Frage hatte keinerlei Berührungspunkte mit den rechtlichen Fragen, die in der Hauptsache und im Vorverfahren zu beantworten waren. Bei dem Vorverfahren und dem Ablehnungsverfahren gegen den Einzelrichter handelt es sich somit nicht um die "nämliche Sache" (s. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 51 FGO Rz. 5).

Weitere Ablehnungsgründe gegen den Richter am FG D sind ebensowenig erkennbar, wie der Vortrag der Klägerin keine begründeten Anhaltspunkte für eine mögliche Befangenheit des Richters am FG A enthält. Im übrigen schließt sich der Senat den überzeugenden Gründen des Beschlusses des FG an (vgl. § 113 Abs. 2 Satz 3 FGO).

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 130

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge