Leitsatz (amtlich)

Hatte der Revisionskläger vor dem FG mehrere Anträge gestellt und wurden diese vom FG teils als unzulässig, teils als unbegründet abgelehnt, so kann er die Forderung des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO nach einem "bestimmten" Antrag nur dadurch erfüllen, daß er deutlich erkennen läßt, in bezug auf welche Anträge er das FG-Urteil für falsch hält.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist freiberuflich tätiger Diplomvolkswirt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) verweigerte ihm die Auskunft auf eine Anfrage wegen der von ihm für eine Firma beantragten Aussetzung oder Ermäßigung der fälligen Einkommensteuervorauszahlungen. Das FA wies darauf hin, daß er kein Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter sei. Mit der Klage begehrte der Kläger,

1. das FA zu verurteilen, ihm auf Anfrage Auskunft zu erteilen über den Stand des von ihm für eine Firma eingereichten Antrags auf Ermäßigung der Einkommensteuervorauszahlungen;

2. festzustellen,

a) daß er befugt sei, für einen Steuerpflichtigen die Ermäßigung der Einkommensteuervorauszahlungen zu beantragen;

b) daß er die gleiche Tätigkeit wie die in dem § 107 a Abs. 2 Nr. 2 AO aufgeführten Patentanwälte, Prozeßagenten und Mitglieder des Bundestages auf den Gebieten Buchführung, Bilanz- und Steuerwesen ausüben dürfe, evtl. ohne Vertretung vor Gerichten;

c) daß er die Tätigkeit eines Steuerbevollmächtigten ausüben dürfe, ohne Vertretung vor den Gerichten und ohne die Bezeichnung "Steuerbevollmächtigter" zu führen;

d) daß er aufgrund seiner Befähigung zum Finanzrichteramt gemäß § 3 Abs. 3 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof (BFHG) in den Katalog des § 107 a Abs. 2 Nr. 2 AO aufgenommen werden müßte, da im Gegensatz zu ihm keine Prozeßagenten und nur ein Teil der Bundestagsabgeordneten Bundesfinanzrichter werden könnten, aber steuerberatend tätig sein dürften;

e) daß Arbeitgeber bzw. Steuerpflichtige, die Diplom-Volkswirte im Lohnsteuerverhältnis auf dem Gebiet des Steuer- und Buchführungswesens beschäftigen, einen Sachkundenachweis erbringen müßten, um ihrer Aufsichtspflicht zu genügen;

f) daß bei Zustimmung des Rates der EWG mit qualifizierter Mehrheit zu der Richtlinie über die Einzelheiten der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für einige selbständige Tätigkeiten auf dem Gebiete des Steuerwesens, diese Richtlinie ihn mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland auch hier zu steuerberatender Tätigkeit berechtige;

g) daß die unter f genannte Richtlinie, sofern sie mit qualifizierter Mehrheit vom Rat angenommen worden bzw. beschlossen ist, vorrangig vor einschlägigen abweichenden Bestimmungen des nationalen westdeutschen Gesetzgebers anwendbar sei.

Das FG wies die Klage ab. Das Auskunftsbegehren des Klägers hielt es für unzulässig, weil der Kläger die Auskunft inzwischen vom Steuerpflichtigen selbst erhalten habe. Die Feststellungsanträge Nr. 2 a, b und c sah es als unbegründet an. Es wies hierzu auf die Vorschriften über die Beschränkung der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen hin, insbesondere auf § 107 a AO a. F. und §§ 3 und 4 StBerG n. F., und bejahte ihre Vereinbarkeit mit Art. 12 GG mit der Begründung, sie dienten dem Schutz der Allgemeinheit vor sachunkundiger und nicht hinreichend zuverlässiger Betreuung in Steuersachen. Außerdem trat es der Auffassung des Klägers entgegen, er könne ein Recht auf geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) und aus dem von der Kommission der EWG erarbeiteten Vorschlag einer Richtlinie herleiten, die sich mit der selbständigen Tätigkeit im Steuerwesen befasse. Schließlich bezeichnete es den Hinweis des Klägers auf das Bundesentschädigungsgesetz als verfehlt. Den Antrag Nr. 2 d lehnte es mit der Bemerkung ab, es sei nicht ersichtlich, inwiefern der Kläger die Befähigung zum Amt eines Richters am BFH haben sollte; er übersehe, daß § 3 Abs. 3 BFHG vom 29. Juni 1950 (BGBl I 1950, 257) nur eine Übergangsregelung enthalten habe, und daß dieses Gesetz durch § 161 Abs. 1 Nr. 2 FGO aufgehoben sei. Der Antrag Nr. 2 e sei schon deshalb unzulässig, weil er nichts mit dem Kläger und seiner Tätigkeit auf steuerlichem Gebiet zu tun habe. Bei den Anträgen Nr. 2 f und g übersehe der Kläger, daß das FG nur von der bestehenden Gesetzeslage ausgehen könne.

Gegen das am 5. September 1975 zugestellte Urteil legte der Kläger am 12. September 1975 Revision ein. Diese hat er innerhalb der bis zum 15. Dezember 1975 verlängerten Frist durch Schriftsätze vom 2. November und 1. Dezember 1975 begründet. Er macht im wesentlichen geltend:

Die vom FG bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Vorschriften über die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen vertretene "Schutztheorie" sei nicht vereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sobald der Ministerrat der EWG dem bereits erwähnten Richtlinienvorschlag der Kommission zugestimmt habe, müsse die steuerberatende Tätigkeit auch den Diplomvolkswirten gestattet werden. Aus den Regelugen des Bundesentschädigungsgesetzes sei zu erkennen, daß es nicht zulässig sei, den Diplomvolkswirten die freiberufliche Hilfeleistung in Steuersachen zu verwehren. Es müsse die Frage geprüft werden, ob der Dienstherr, der sich zur Abgabe seiner Steuererklärung eines angestellten Diplomvolkswirtes bediene, nicht einen Sachkundenachweis erbringen müsse. Es sei auch wichtig, ob der Bundestag die Gesetzentwürfe vor seiner Entscheidung überprüfe. Denn es bestehe die Gefahr, daß der Einfluß von Interessengruppen, z. B. der Steuerberater und der Steuerbevollmächtigten, in den Fachausschüssen zunehme. Außerdem müßten dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 177 EWGV Fragen vorgelegt werden, die das Verhältnis dieses Vertrages zum Steuerberatungsgesetz, den Richtlinienvorschlag der Kommission und das allgemeine Programm des Rates zur Aufhebung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit beträfen.

Einen formulierten Revisionsantrag hat der Kläger nicht gestellt.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 1975 hat der Kläger beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis über den vom FA M gegen ihn wegen unbefugter Hilfeleistung in Steuersachen erlassenen Bußgeldbescheid rechtskräftig entschieden ist. Das FA hat der Aussetzung widersprochen.

 

Entscheidungsgründe

Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens kommt nach §§ 121 und 74 FGO in Betracht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Entscheidung der Revision hängt nicht davon ab, ob das FA M den Bußgeldbescheid zu Recht erlassen hat. Der erkennende Senat kann daher dem Aussetzungsantrag nicht stattgeben.

Die Revision war gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2, § 124 und § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen, weil weder die Revisionsschrift noch die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthält.

Die Vorschrift des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, daß die Revisionsbegründung oder die Revision einen "bestimmten Antrag" enthalten muß, kann zwar dahin ausgelegt werden, daß das Fehlen eines formellen Antrags nicht schadet, wenn dem Inhalt der Revisionsschrift oder der Begründungsschrift zu entnehmen ist, daß und inwieweit der Revisionskläger das Urteil anfechten und dessen Aufhebung beantragen will (vgl. BFH-Beschluß vom 20. September 1966 VI R 201/66, BFHE 86, 613, BStBl III 1967, 4; Beschluß des BVerwG vom 8. November 1954 Gr. Sen. 1.54/V C 61.54, BVerwGE 1, 222; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 120 FGO Rdnr. 18; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 120 FGO Rdnr. 7; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 120 Rdnr. 30). In diesem Sinne kann ein bestimmter Antrag in der Regel darin liegen, daß der Revisionskläger beim FG einen einzigen Antrag gestellt hatte und das FG-Urteil mit dem Ziel bekämpft, diesen Antrag weiter zu verfolgen. Hatte jedoch der Revisionskläger vor dem FG mehrere Anträge gestellt und wurden diese vom FG teils als unzulässig, teils als unbegründet abgelehnt, dann kann er die Forderung des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO nach einem "bestimmten" Antrag nur dadurch erfüllen, daß er deutlich erkennen läßt, in bezug auf welche Anträge er das FG-Urteil für falsch hält. Um einen solchen Fall handelt es sich hier.

Nachdem der Kläger vor dem FG eine Vielzahl von Anträgen gestellt und das FG diese teils als unzulässig, teils als unbegründet abgelehnt hatte, hätte der Kläger zu erkennen geben müssen, in bezug auf welche Anträge das FG-Urteil nach seiner Ansicht auf der Verletzung von Bundesrecht beruht und daher gemäß § 118 Abs. 1 FGO mit der Revision angefochten sein soll. Der Kläger hat sich zwar in der Begründung der Revision überwiegend gegen die Ausführungen gewandt, mit denen das FG die Feststellungsanträge Nr. 2 a, b und c abgelehnt hat, und dabei insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzliche Regelung der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen geltend gemacht, sich auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Kommissionsvorschlag einer die selbständige Tätigkeit auf dem Gebiete des Steuerwesens betreffenden Richtlinie berufen und das Bundesentschädigungsgesetz betreffende Argumente vorgebracht. Gleichwohl fehlt jedoch eine hinreichend deutliche Erklärung darüber, ob das FG-Urteil nur in bezug auf die Feststellungsanträge Nr. 2 a, b und c oder auch in bezug auf andere Anträge angefochten sein soll. Es fehlt somit an der durch § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO geforderten Bestimmtheit des mit der Revision verfolgten Begehrens.

Der BGH hat im Urteil vom 1. Juli 1975 VIZR 251/74 (NJW 1975, 2013) eine Berufung insoweit als zulässig angesehen, als ihrer Begründung eindeutig zu entnehmen war, daß der Berufungsführer seinen prozessualen Anspruch jedenfalls zu einem bestimmten Teil weiter verfolgen wollte. Dieses Urteil gibt keinen Anlaß, im vorliegenden Fall gemäß §§ 2 und 11 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl I 1968, 661) eine Entscheidung des Gemeinsamen Senats herbeizuführen. Denn die dem Urteil zugrunde liegende Vorschrift des § 519 Abs. 3 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung stimmt nicht mit dem hier maßgeblichen § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO überein, bei dessen Nichterfüllung die Revision gemäß § 124 und § 126 Abs. 1 FGO insgesamt als unzulässig zu verwerfen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71653

BStBl II 1976, 788

BFHE 1977, 20

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