Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Wiedereinsetzung bei unschlüssigem Tatsachenvortrag

 

Leitsatz (NV)

Ist ein angeblich rechtzeitig abgesandter Antrag auf Fristverlängerung für die Revisionsbegründung nicht beim Gericht eingegangen, ist nicht nur darzulegen, wann und von wem der Antrag gefertigt sein soll, sondern sind auch die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich die rechtzeitige Aufgabe des fristwahrenden Schriftsatzes ergibt.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120 Abs. 1 Sätze 1-2, § 155; ZPO § 85 Abs. 2

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wandten sich mit ihrer Klage dagegen, daß der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) im Einkommensteuerbescheid für 1994 die geltend gemachten Verpflegungskosten für die Eltern sowie Wohnnebenkosten im Zusammenhang mit der Übertragung eines selbstgenutzten Zweifamilienhauses nicht als Sonderausgaben (dauernde Last) nach §10 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt hatte.

Das Finanzgericht (FG), dessen Entscheidung in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 956 abgedruckt ist, hat die Klage als unbegründet abgewiesen (Zustellung der Vorentscheidung 9. Mai 1997). Hiergegen erhoben die Kläger rechtzeitig, am 4. Juni 1997, Revision mit dem Hinweis, eine Begründung werde nachgereicht. Den Begründungsschriftsatz vom 11. Juli 1997 ließ der Prozeßbevollmächtigte der Kläger dem Bundesfinanzhof (BFH) am selben Tag durch Boten übermitteln. Vom Vorsitzenden des erkennenden Senats auf den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist am 9. Juli 1997 hingewiesen, teilte der Prozeßbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 21. Juli 1997 unter Bezugnahme auf "die beigefügte Kopie" mit, er habe mit Schreiben vom 8. Juli 1997 um eine einwöchige Fristverlängerung gebeten. Beigefügt war dem Schreiben ein -- durch einen Stempel als "Kopie" gekennzeichneter Schriftsatz -- vom 21. Juli 1997, in dem die im verwendeten Druckformat vorgesehene Stelle für den Adressaten nicht ausgefüllt war und um "Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist um eine Woche bis zum 16.7.1997" gebeten wurde. Am 25. Juli 1997 teilte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger "in Ergänzung zum Schreiben vom 21. Juli 1997 mit", die vorgelegte Abschrift des Fristverlängerungsantrages vom 8. Juli 1997 sei im Computer neu ausgedruckt worden und habe daher automatisch das Datum vom 21. Juli 1997 erhalten; richtigerweise müsse das Datum 8. Juli 1997 lauten. Die fehlende Adresse beruhe darauf, daß sie nicht automatisch übernommen werde.

Ein Originalantrag auf Fristverlängerung ist beim BFH bis heute nicht eingegangen.

In der Sache beantragen die Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1994 unter Anerkennung der Aufwendungen für Strom, Heizung und Verpflegung als dauernde Last i.S. des §10 Abs. 1 Nr. 1a EStG neu festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.

Gemäß §120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision beim FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Die Frist für die Revisionsbegründung kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden (§120 Abs. 1 Satz 2 FGO).

1. Die Revision ist erst nach Ablauf der einmonatigen Revisionsbegründungsfrist und damit verspätet begründet worden, denn diese Frist ist -- mangels rechtzeitig gestellten Antrages -- nicht verlängert worden.

2. Die Voraussetzungen für eine Heilung der Fristversäumnis nach §56 FGO sind nicht erfüllt.

Nach dieser Vorschrift ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrages sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§56 Abs. 2 FGO).

Ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten müssen sich die Kläger wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§155 FGO i.V.m. §85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung; z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §56 Rz. 6, m.w.N.).

Erforderlich ist eine vollständige Darlegung der Ereignisse, die zur Fristversäumnis geführt haben und die die unverschuldete Säumnis belegen sollen (Gräber/Koch, a.a.O., §56 Rz. 49, mit Rechtsprechungsnachweisen). Wird zur Rechtfertigung eines -- hier sinngemäß gestellten -- Wiedereinsetzungsantrags die fristgerechte Bearbeitung und ein -- unverschuldeter -- Fehler bei der Übermittlung des Fristverlängerungsantrages behauptet, müssen die Tatsachen vollständig vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die eine Grundlage dafür bieten, nicht nur die fristgerechte Bearbeitung, sondern auch die rechtzeitig Versendung als überwiegend wahrscheinlich anzusehen (BFH-Beschluß vom 12. Februar 1992 XI R 19/91, BFH/NV 1992, 534, m.w.N.). Im Streitfall fehlt es schon an der schlüssigen Darlegung eines Wiedereinsetzungsgrundes. Auf die fehlende (grundsätzlich nachholbare) Glaubhaftmachung kommt es deshalb nicht an:

a) Der Prozeßbevollmächtigte hat unter Hinweis auf "eine beigefügte Kopie" geltend gemacht, er habe am 8. Juli 1997, einen Tag vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, Fristverlängerung beantragt. Schon dieser Vortrag ist widersprüchlich, weil das "beigefügte" Schreiben offensichtlich erst am 21. Juli 1997, mithin nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, gefertigt worden ist, es sich deshalb nicht um eine bei den Handakten abgelegte Zweitschrift gehandelt hat, wie der Prozeßbevollmächtigte selbst in seinem Schreiben vom 24. Juli 1997 bestätigt. Handelt es sich tatsächlich, wie der Prozeßbevollmächtigte sinngemäß vorträgt, um den Text eines am 8. Juli 1997 gefertigten Fristverlängerungsantrages, der lediglich "neu ausgedruckt" wurde, fehlt eine schlüssige Erklärung dafür, weshalb bei einem im Computer gespeicherten Anschreiben mit konkreten, sachverhaltsbezogenen Einzelheiten nicht nur das Datum aktualisiert, sondern "automatisch" auch die Adresse gelöscht worden ist. Im übrigen fehlen auch Angaben dazu, wer den Fristverlängerungsantrag gefertigt hat.

b) Unschlüssig ist der Vortrag jedoch vor allem deshalb, weil vollständig offen ist, wann und auf welche Weise der angeblich am 8. Juli 1997 gefertigte Fristverlängerungsantrag dem BFH übermittelt worden sein soll. Hieran fehlt es, denn die Kläger haben keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich die rechtzeitige Aufgabe des fristwahrenden Schriftsatzes zur Post oder eine rechtzeitige anderweitige Übermittlung ergeben könnten. Dazu hätte nicht nur die Schilderung der Fristenkontrolle beim Prozeßbevollmächtigten gehört, sondern auch wann und wie der Schriftsatz an den BFH übermittelt worden sein soll (Gräber/Koch, a.a.O., m.w.N.). Etwaige Lücken in der Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts können nach Ablauf der Begründungsfrist des §56 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht mehr geschlossen werden (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 18. Januar 1993 X R 83/91, BFH/NV 1993, 427, m.w.N.); sie gehen zu Lasten des Betroffenen. Bleibt die Verschuldensfrage offen, kommt Wiedereinsetzung nicht in Betracht (Beschluß des Bundesgerichtshofes vom 26. September 1991 I ZB 12/91, Neue Juristische Wochenschrift 1992, 574; Senatsbeschluß in BFH/NV 1993, 427).

 

Fundstellen

Haufe-Index 302949

BFH/NV 1998, 1493

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