Leitsatz (amtlich)

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das Finanzamt die Grunderwerbsteuer vom Veräußerer eines Grundstücks fordern darf, wenn es infolge Rechtsirrtums nicht in angemessener Zeit über den Freistellungsantrag des Erwerbers entscheidet und dadurch den Veräußerer um die Rechtswohltat des § 15 Nr. 1 Satz 2 GrEStG bringt.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3, 2 S. 2; Bayer. GrESWG 1969 Art. 1 Nr. 1 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1 S. 2; Bayerisches GrEStG 1969 § 15 Nr. 1 S. 2, § 1 Abs. 1 Nr. 1; StAnpG §§ 2, 7 Abs. 1, 3 Sätze 1-3; GrdstVG § 6 Abs. 1-2; BGB §§ 186-193; AO § 204 Abs. 1; II. GrESWDB § 10 S. 1

 

Tatbestand

Der Antragsteller und seine Ehefrau hatten durch notariell beurkundeten Vertrag vom 20. Oktober 1969 ein in Bayern gelegenes Grundstück (Ackerland) verkauft. Der Notar hatte die Vertragschließenden belehrt, daß der Vertrag der Genehmigung nach dem Grundstückverkehrsgesetz (GrdstVG) vom 28. Juli 1961 (BGBl I, 1091) bedürfe. Die Vertragschließenden hatten ihn ermächtigt, die Genehmigung für sie einzuholen. Die Erwerberin hatte sich im Innenverhältnis verpflichtet, eine etwa anfallende Grunderwerbsteuer samt Zuschlägen zu übernehmen.

Die Erwerberin hatte versichert, daß sie auf dem Grundstück binnen fünf Jahren grundsteuerbegünstigte Kaufeigenheime errichten werde, und beantragt, aus diesem Grunde den Erwerbsvorgang gemäß Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a des Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau - GrESWG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Juli 1969 (GVBl S. 176) steuerfrei zu lassen. Über diesen Freistellungsantrag entschied das FA zunächst nicht, weil es erst die Genehmigung des Kaufvertrags nach dem GrdstVG abwarten wollte. Es fragte am 10. Dezember 1969 mit dem für diese Zwecke üblichen Vordruck St 186b ("Anfrage wegen Genehmigung") beim Notar an, ob der Vertrag genehmigt worden sei, erhielt aber keine Antwort. Am 8. April 1970 ging die Verpflichtungserklärung der Erwerberin ein.

Im Dezember 1970 entnahm das FA einem Steuerfahndungsbericht, daß die Erwerberin das Grundstück nicht mehr bebauen, sondern weiterveräußern wolle. Es teilte daraufhin der Erwerberin und dem Veräußerer mit, daß der Erwerbsvorgang nicht steuerfrei, sondern steuerpflichtig sei und daß es beabsichtige, sie beide als Gesamtschuldner in Anspruch zu nehmen. Es forderte die Grunderwerbsteuer von der Erwerberin ganz, vom Veräußerer durch Bescheid vom 12. März 1971 zur Hälfte. Am 15. April 1971 wurde über das Vermögen der Erwerberin das Anschlußkonkursverfahren eröffnet. Durch Bescheid vom 25. Juni 1971 bestätigte das Landratsamt, daß die Genehmigung des Kaufvertrags nach dem GrdstVG durch Fristablauf als erteilt gelte.

Der Veräußerer erhob Einspruch und beantragte beim FG, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids auszusetzen. An dessen Rechtmäßigkeit bestünden aus folgenden Gründen ernstliche Zweifel:

1. Seine (des Veräußerers) Inanspruchnahme verstoße gegen Treu und Glauben. Denn als Veräußerer habe er nicht mehr damit gerechnet und auch nicht mehr damit zu rechnen brauchen, zur Grunderwerbsteuer herangezogen zu werden, nachdem das FA seit Oktober 1969 "überhaupt nichts unternommen", insbesondere nicht über den Freistellungsantrag der Erwerberin entschieden habe.

2. Seine Inanspruchnahme sei ermessensfehlerhaft. Bei der Ermessensausübung sei unberücksichtigt geblieben, daß das FA "durch sein nicht zu verantwortendes Zögern bei der Entscheidung" über den Freistellungsantrag der Erwerberin es "allein verschuldet" habe, daß die Grunderwerbsteuer von der Erwerberin nicht habe beigetrieben werden können.

a) Hätte das FA den Freistellungsantrag rechtzeitig abgelehnt und sofort die Grunderwerbsteuer von der Erwerberin gefordert, dann hätte die Grunderwerbsteuer "Ende 69 und noch bis Herbst 70 leicht sichergestellt werden können". Auch er, der Veräußerer, hätte "damals leicht eine Zahlung oder Sicherstellung der Steuer" durch die Erwerberin erreichen können, falls das FA ihn als Gesamtschuldner in Anspruch genommen hätte.

b) Hätte das FA die Erwerberin antragsgemäß von der Grunderwerbsteuer vorläufig freigestellt, dann wäre - falls man annimmt, daß die Bauabsicht der Erwerberin auch durch deren Konkursverwalter hätte verwirklicht werden können - eine Grunderwerbsteuerschuld nicht entstanden oder - falls man annimmt, die Erwerberin habe ihre Bauabsicht aufgegeben - eine Grunderwerbsteuerschuld zwar entstanden, aber er als Veräußerer hätte ihretwegen nicht in Anspruch genommen werden dürfen (§ 15 Nr. 1 Satz 2 des Bayerischen Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Juli 1969, GVBl S. 170).

Das FG setzte die Vollziehung des angefochtenen Bescheids für die Dauer des Einspruchsverfahrens aus. Es erscheine ernstlich zweifelhaft, ob das FA bei der Inanspruchnahme des Veräußerers sein Ermessen sachgerecht ausgeübt habe. Es sei zu fordern, daß das FA "sich innerhalb vernünftiger Zeit über die Freistellung, die der Erwerber begehrt, schlüssig" werde und diese ausspreche, "weil sonst das Verbot der Inanspruchnahme des Veräußerers umgangen" werde. Aus den Akten sei nicht ersichtlich, weswegen das FA nach Eingang der Verpflichtungserklärung im April 1970 über den Freistellungsantrag nicht entschieden habe. Möglicherweise habe das FA nicht gewußt, daß - wie eine fernmündliche Rückfrage des FG beim Landratsamt ergeben habe - die Genehmigung des Vertrags nach dem GrdstVG schon am 2. Januar 1970 als erteilt gegolten habe. Es habe aber zu den Ermittlungspflichten des FA gehört, sich durch Rückfrage beim Notar hierüber zu vergewissern.

Mit der Beschwerde rügt das FA zunächst, daß das FG eine Auskunft des Landratsamts eingeholt und verwertet habe, ohne sie vorher den Beteiligten bekanntzugeben. Ferner macht es geltend: Das FA habe seine Ermittlungspflicht nicht verletzt. Insbesondere habe es darauf vertrauen dürfen, daß der Notar die an ihn gerichtete "Anfrage wegen Genehmigung" vom 10. Dezember 1969 wie üblich unverzüglich beantworten werde. Zudem sei es allein Sache der Vertragschließenden, die Genehmigung des Vertrags herbeizuführen. Das FA sei auch nicht verpflichtet gewesen nachzuforschen, ob die Genehmigung bereits durch Fristablauf als erteilt gegolten habe; denn es würde ihm ohnehin verwehrt gewesen sein, ein derartiges Nachforschungsergebnis zu verwerten. Allein das Landratsamt habe festzustellen gehabt, ob die Genehmigung durch Fristablauf eingetreten sei. Da vom Landratsamt diese Feststellung erst am 25. Juni 1971 getroffen worden sei, habe das FA nicht schon im Jahre 1970 davon ausgehen können, daß der Kaufvertrag rechtswirksam sei. Infolgedessen habe es im Jahre 1970 auch noch nicht über den Freistellungsantrag entscheiden können, zumal diese Entscheidung einen rechtswirksamen Erwerbsvorgang voraussetze.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist unbegründet.

Soweit das FG das Recht des FA auf Gehör (Artikel 103 Abs. 1 GG) dadurch verletzt hat, daß es bei seiner Entscheidung die Auskunft des Landratsamts verwertet hat, ohne sie vorher dem FA mitzuteilen und ihm Gelegenheit zur Äußerung zu geben, ist dieser Mangel geheilt, weil das FA im Beschwerdeverfahren Gelegenheit hatte, zu dieser Auskunft Stellung zu nehmen.

Das FG durfte die Vollziehung des angefochtenen Bescheids aussetzen, weil an dessen Rechtmäßigkeit ernstliche Zweifel bestehen (§ 69 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 FGO). Bei der Prüfung des angefochtenen Bescheids treten neben für dessen Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage, die gegen seine Rechtmäßigkeit sprechen. Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids spricht, daß mit Aufgabe des steuerbegünstigten Zwecks durch die Erwerberin der Kaufvertrag der Steuer unterlag (Artikel 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und das FA - da die Voraussetzungen des § 15 Nr. 1 Satz 2 GrEStG nicht gegeben waren - nach seinem Ermessen die geschuldete Grunderwerbsteuer von der Erwerberin und dem Veräußerer als Gesamtschuldner fordern durfte (§ 15 Nr. 1 Satz 1 GrEStG, § 7 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1-3, § 2 StAnpG).

Gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids spricht, daß nach dem bisher festgestellten Sachverhalt die Ermessensausübung des FA fehlerhaft gewesen sein kann. Es kann unbillig gewesen sein, die Steuer vom Veräußerer zu fordern, weil infolge des auf einem Rechtsirrtum beruhenden Verhaltens des FA die an sich gebotene vorläufige Freistellung der Erwerberin von der Grunderwerbsteuer (§ 10 Satz 1 der II. Durchführungsbestimmungen zum Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau - II. GrESWDB -) unterblieben war, so daß die später infolge Aufgabe des begünstigten Zwecks vorzunehmende Steuerfestsetzung (Artikel 4 Abs. 1 Satz 2 GrESWG) nicht als "Nachversteuerung" (d. h. eine der Freistellung nachfolgende Versteuerung) beurteilt werden und deshalb das gesetzliche Verbot, den Veräußerer für die Steuer in Anspruch zu nehmen (§ 15 Nr. 1 Satz 2 GrEStG), seine Wirkung nicht entfalten konnte.

Der Rechtsirrtum des FA, der den Geschehensablauf wesentlich beeinflußte, bestand in der Ansicht, allein das Landratsamt habe darüber zu entscheiden, ob die Genehmigung des Kaufvertrags nach dem GrdstVG zu erteilen sei oder als erteilt gelte; das FA dürfe dessen Entscheidung nicht vorgreifen. Indes ist der Eintritt der Genehmigungsfiktion nicht von einer Entscheidung des Landratsamts abhängig, sondern folgt - wenn die in § 6 Abs. 1 GrdstVG bezeichneten Fristen abgelaufen sind - unmittelbar aus dem Gesetz (§ 6 Abs. 2 GrdstVG). Infolgedessen hätte sich das FA nicht darauf beschränken dürfen, den Notar zu fragen, wann die Genehmigung nach dem GrdstVG erteilt worden ist, sondern hätte ihn auch - wie die Ermittlungspflicht es gebot (§ 204 Abs. 1 AO) - fragen müssen, an welchem Tage der Genehmigungsantrag und die Vertragsurkunde beim Landratsamt eingegangen waren und ob das Landratsamt einen Zwischenbescheid erteilt hatte. Aus der Antwort des Notars in Verbindung mit § 6 Abs. 1 und 2 GrdstVG, §§ 186, 187-193 BGB hätte es dann selbst feststellen können, ob und wann die Genehmigung als erteilt galt. Es wäre dann vermutlich zu dem gleichen Ergebnis gekommen wie das Landratsamt, das dem FG auf dessen Anfrage mitgeteilt hatte, die Genehmigung gelte mit Ablauf des 2. Januar 1970 als erteilt. Bei weiterem normalen Geschehensablauf hätte dann das FA die Erwerberin - nachdem diese ihre Verpflichtungserklärung (§ 9 Abs. 2 II. GrESWDB) am 8. April 1970 abgegeben hatte - im April oder Mai 1970 von der Steuer vorläufig freigestellt. Bei der infolge Aufgabe des begünstigten Zwecks eintretenden Nachversteuerung hätte der Veräußerer für die Steuer nicht in Anspruch genommen werden dürfen (§ 15 Nr. 1 Satz 2 GrEStG).

Dieser Gesichtspunkt bewirkt Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage, ob das FA den Veräußerer für die Steuer in Anspruch nehmen durfte.

 

Fundstellen

BStBl II 1972, 37

BFHE 1972, 243

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