Leitsatz (amtlich)

Hat das FA grob pflichtwidrig nicht in angemessener Zeit über den Steuerbefreiungsantrag des Grundstückserwerbers gemäß Art. 1 Nr. 1 des Bayerischen GrESWG entschieden, so kann es von dem Grundstücksveräußerer nicht mehr gemäß § 15 Nr. 1 Satz 1 GrEStG Bayern die Zahlung der Steuer verlangen.

 

Normenkette

GrESWG Bayern Art. 1 Nr. 1; GrEStG Bayern i.d.F. vom 16. Juli 1969 § 15 Nr. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte mit notariell beurkundetem Vertrag vom 8. Juni 1971 ein Grundstück an den Bauunternehmer G verkauft. Der Erwerber (G) hatte sich unter Buchst. A Ziff. Vl des Vertrages verpflichtet, die Grunderwerbsteuer samt Zuschlag zu tragen. Darüber hinaus hatte er versichert, auf dem Grundstück innerhalb der nächsten fünf Jahre im Rahmen des steuerbegünstigten Wohnungsbaues Gebäude zu errichten, und hatte Befreiung von der Grunderwerbsteuer samt Zuschlägen beantragt.

Auf diesen Steuerbefreiungsantrag reagierte das beklagte Finanzamt (FA) nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) wie folgt: Es (das FA) "übersandte (nach seinen Angaben in der Einspruchsentscheidung -- EE -- vom 8. Januar 1976, Seite 2) am 8. Juli 1971 dem G das Formblatt der Verpflichtungserklärung gemäß Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG). Im Schreiben des FA vom 26. November 1975 an die OFD ist ausgeführt, daß das FA ferner G an die Abgabe der Verpflichtungserklärung am 9. Mai 1972 erinnerte und daß Angestellte des G am 31. August 1972 bzw. am 6. November 1972 fernmündlich die Abgabe der Verpflichtungserklärung jeweils in den nächsten Tagen angekündigt hätten; auf ein Schreiben des G vom 31. Dezember 1972, daß er zunächst eine Verpflichtungserklärung nicht abgeben könne, sei mit Schreiben vom 2. Januar 1973 angefragt worden, ob der Antrag auf Steuerbefreiung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues gegenstandslos geworden sei; daraufhin habe am 10. Januar 1973 ein Herr Dr. X die baldige Abgabe der Erklärung in Aussicht gestellt, ebenso sei am 27. August 1973 die Abgabe der Verpflichtungserklärung in Kürze in Aussicht gestellt worden (Vorsprache Y)."

Im Juni 1974 erfuhr das FA von der Zwangsversteigerung des Grundstücks. Es veranlagte daraufhin mit zwei Bescheiden vom 5. August 1974 den Erwerber und den Kläger als Veräußerer zur Grunderwerbsteuer. Bis dahin hatte das FA die Steuer deshalb nicht festgesetzt, weil nach den Feststellungen des FG "der Erwerb aufgrund des damals sehr bekannten Namens der Firma G ... auf jeden Fall für steuerfrei wegen sozialen Wohnungsbaues gehalten" worden sei.

Der Einspruch des Klägers gegen den Steuerbescheid blieb erfolglos.

Auf die Klage hob das FG den Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. Das FA habe den Kläger nach Treu und Glauben nicht mehr in Anspruch nehmen dürfen.

Mit seiner Revision begehrt das FA die Aufhebung des FG-Urteils und die Abweisung der Klage.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FA kann nach Treu und Glauben von dem Kläger nicht mehr die Zahlung der Steuer verlangen.

Der Kläger ist neben dem Grundstückserwerber Schuldner der Grunderwerbsteuer (§ 15 Nr. 1 Satz 1 des Bayerischen Grunderwerbsteuergesetzes i. d. F. vom 16. Juli 1969 -- GrEStG --). Nach Satz 2 dieses § 15 Nr. 1 kann der Veräußerer eines Grundstücks nicht mehr für die Steuer in Anspruch genommen werden, wenn "infolge Nichterfüllung einer an eine Steuerbefreiung geknüpften Auflage eine Nacherhebung ein"(-tritt).

Dieser vorstehend genannte gesetzlich geregelte Fall liegt hier nicht vor. Das FA hatte nicht -- beispielsweise gemäß Art. 1 Nr. 1 des GrESWG Bayern -- eine (materiell) vorläufige Freistellung des Erwerbsvorganges von der Grunderwerbsteuer verfügt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die genannte Vorschrift auf den hier zu entscheidenden Fall ohne jede Auswirkung ist. Denn erkennbar geht sie davon aus, daß das FA seiner Pflicht zur Bearbeitung eines Antrages auf (materiell) vorläufige Steuerbefreiung nachkommt und in angemessener Zeit über den Steuerbefreiungsantrag entscheidet. Unterläßt das FA grob pflichtwidrig die Entscheidung über den Antrag, so kann es sich dem Veräußerer gegenüber nach Treu und Glauben nicht darauf berufen, daß der Tatbestand des § 15 Nr. 1 Satz 2 GrEStG nicht gegeben sei. Anderenfalls könnte ein FA durch bloße Untätigkeit den § 15 Nr. 1 Satz 2 GrEStG ins Leere laufen lassen, was offensichtlich nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift entspricht. Der Senat hat es daher bereits in seinem Beschluß vom 22. Oktober 1971 II B 25/71 (BFHE 103, 243, BStBl II 1972, 37) für ernstlich zweifelhaft i. S. des § 69 Abs. 3 FGO angesehen, ob ein FA die Grunderwerbsteuer vom Veräußerer noch fordern darf, wenn es nicht in angemessener Zeit über den Steuerbefreiungsantrag des Erwerbers entschieden und dadurch den Veräußerer um die Rechtswohltat des § 15 Nr. 1 Satz 2 GrEStG gebracht hat. Der Senat hält an diesem Gedanken fest, der damals im Rahmen des Verfahrens nach § 69 Abs. 3 FGO nur den Charakter einer vorläufigen Entscheidung hatte. Er vertritt auch für den vorliegenden Urteilsfall die Ansicht, daß ein FA im Geltungsbereich des § 15 Nr. 1 Satz 2 GrEStG Bayern in angemessener Zeit über den Steuerbefreiungsantrag des Grundstückserwerbers entscheiden mußte und anderenfalls sich nicht darauf berufen durfte, daß der Veräußerer nicht den Schutz der genannten Vorschrift genieße.

Im vorliegenden Fall hatte der Grundstückserwerber den Antrag auf Steuerbefreiung in dem Kaufvertrag vom 8. Juni 1971 gestellt. Nach den eigenen Angaben des FA, wie sie in dem FG-Urteil wiedergegeben sind, sandte es (das FA) dem Erwerber am 8. Juli 1971 das Formblatt der Verpflichtungserklärung gemäß Art. 3 Abs. 2 GrESWG zu und erinnerte am 9. Mai 1972 an die Abgabe dieser Erklärung. Diese Mahnung blieb ohne Erfolg, obwohl Angestellte des Erwerbers am 31. August und 6. November 1972 die Abgabe der Verpflichtungserklärung fernmündlich jeweils "in den nächsten Tagen" angekündigt hatten. Schon dieses Verhalten des Erwerbers gibt Anlaß zu der Frage, ob das FA jetzt noch länger mit der Festsetzung der Steuer warten durfte. Jedenfalls aber mußte es handeln, nachdem der Erwerber am 31. Dezember 1972 mitgeteilt hatte, er könne zunächst eine Verpflichtungserklärung nicht abgeben. Von da an gab es keine Rechtfertigung mehr für das FA, noch länger zu warten. Es hätte die Steuer gegen den Erwerber festsetzen und den Kläger über die Sachlage unterrichten müssen. Da es dies nicht getan, sondern weiter bis zum 5. August 1974 gewartet hat, kann es nach Treu und Glauben die Steuer von dem Kläger nicht mehr fordern.

Unter diesen Umständen ist nicht ausschlaggebend, daß der Kläger bei rechtzeitigem Handeln des FA auch insofern günstiger gestanden hätte, als am 31. Dezember 1972 die Frist des § 17 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG noch nicht abgelaufen war.

Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht von seinem Urteil vom 12. Mai 1976 II R 187/72 (BFHE 119, 188, BStBl II 1976, 579) ab. Die für den damaligen Fall maßgebenden Grunderwerbsteuergesetze des Landes Rheinland-Pfalz enthielten keine den § 15 Nr. 1 Satz 2 GrEStG Bayern entsprechende Regelung. Auf diese unbefriedigende Gesetzeslage hat der Senat damals in seinen Urteilsgründen hingewiesen, sich aber nicht für befugt gehalten, "diesen Wertungskonflikt durch Gesetzesauslegung zu beheben" (BFHE 119, 189, BStBl II 1976, 579).

 

Fundstellen

Haufe-Index 74680

BStBl II 1983, 580

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge