Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an den Verböserungshinweis

 

Leitsatz (NV)

1. Ob ein Hinweis des Finanzamts auf eine Entscheidung nach Aktenlage mit den dargestellten steuererhöhenden Folgen den Anforderungen an einen Verböserungshinweis erfüllt, hängt von der Auslegung des Inhalts dieses Hinweises unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls ab.

2. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt bei einzelfallbezogenen Beurteilungen nicht in Betracht.

 

Normenkette

AO 1977 § 367 Abs. 2 S. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) hatte in den von der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) mit dem Einspruch angefochtenen Umsatzsteuer änderungsbescheiden für 1987 und 1988 versehentlich Mieteinnahmen aus der steuerpflichtigen Vermietung von Büroräumen nicht besteuert. Mit Schreiben vom 13. Oktober 1994 wies das FA die Klägerin während des Einspruchsverfahrens darauf hin, daß die entsprechenden Vermietungsumsätze der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien, woraus sich für die Streitjahre jeweils eine Umsatzsteuererhöhung von 2 388 DM ergebe. Mit Schreiben vom 29. November 1994 erinnerte das FA die Klägerin an die Erledigung des Schreibens vom "11. Oktober 1994" und führte weiter aus, daß sie bei nicht rechtzeitiger Beantwortung des Schreibens bis zum 20. Dezember 1994 mit einer Entscheidung nach Aktenlage rechnen müsse. Nachdem eine Stellungnahme der Klägerin ausgeblieben war, erhöhte das FA in der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 1995 die Umsatzsteuer für die Streitjahre 1987 und 1988 um jeweils 2 388 DM und wies die Einsprüche im übrigen als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung in dem angefochtenen Urteil antragsgemäß auf und verwies die Sache an das FA zurück, weil es die Steuer unzulässig erhöht habe. Das FG begründete, die Voraussetzungen für eine Verböserung nach § 367 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) seien nicht vorhanden, weil es das FA versäumt habe, vor der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung einen Hinweis auf eine mög liche Verböserung zu geben. Das FA habe lediglich die materiell-rechtliche Rechtslage dargelegt und somit nur auf Gründe für eine Verböserung, aber nicht auf die Möglichkeit einer Verböserung hingewiesen. Dafür reiche auch die lediglich formularmäßige Bezugnahme auf eine Entscheidung nach Aktenlage im Schreiben vom 29. November 1994 nicht aus. Das gelte insbesondere, wenn darin versehentlich ein Schreiben bezeichnet werde, das dem Empfänger nicht zugegangen sein könne und wenn diesem deshalb die Aktenlage nicht bekannt zu sein brauche.

Mit der Beschwerde begehrt das FA Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) der Rechtssache.

Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Eine Rechtsfrage hat nur dann grundsätz liche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. September 1991 VIII B 41/91, BFHE 165, 287, BStBl II 1991, 924). In einer wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde muß der Beschwerdeführer demgemäß die Rechtsfrage bezeichnen, außerdem dartun, weshalb die Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärbar ist, und schließlich das Allgemeininteresse an der Klärung der Rechtsfrage darlegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 11. Juli 1996 XI B 171, 172/95, BFH/NV 1997, 49). Die von dem FA aufgeworfene Rechtsfrage erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

Die als rechtsgrundsätzlich hervorgehobene Rechtsfrage: "Erfüllt der Hinweis auf eine Entscheidung nach Aktenlage die Voraussetzung des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO, wenn dem Einspruchsführer zuvor die Sach- und Rechtslage einschließlich der nachteiligen Steuerfestsetzung dargelegt und ihm die Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu äußern?" stellt sich im Streitfall so, wie sie das FA hervorgehoben hat, nicht und ist deshalb in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärbar.

a) Ob ein Hinweis des FA auf eine Entscheidung nach Aktenlage mit den dargestellten steuererhöhenden Folgen die Anforderungen an einen Verböserungshinweis nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 erfüllt, hängt von der Auslegung des Inhalts dieses Hinweises unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls ab. Je nach den in jedem Fall unterschiedlichen Umständen kann aus der Eindeutigkeit oder der Umstrittenheit der aufgrund der Akten aus der Sicht des FA dargestellten Rechtslage auf eine in Betracht gezogene Möglichkeit der Verböserung nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 oder nur auf eine schriftliche Erörterung des Sach- und Streitstands nach Aktenlage geschlossen werden. Nicht abstrakt, sondern nur nach den Gegebenheiten des Einzelfalls läßt sich entscheiden, ob die nach Aktenlage dargestellten steuererhöhenden Rechtsfolgen ausreichen, die Steuer in einer abschließenden Einspruchsentscheidung zu erhöhen oder nur eine auch vorhandene steuermindernde Wirkung zu ermäßigen. Einzelfallbezogene Beurteilungen sind einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich (BFH-Beschlüsse vom 9. Juli 1996 VII B 57/96, BFH/NV 1997, 84 zu 3.; vom 2. September 1987 II B 23/87, BFH/NV 1989, 42 zu 3.).

So läßt sich auch im Streitfall die vom FA gestellte Rechtsfrage nicht abstrakt beantworten, sondern nur aufgrund einer Würdigung seiner Schreiben vom 13. Oktober und 29. November 1994 unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Streitfalls klären, ob die Klägerin vor Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung den in § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 notwendigen Hinweis auf eine Verböserung der Steuerfestsetzungen erhalten hatte. Daß das FG das Verhalten des FA im Ergebnis möglicherweise unzutreffend beurteilt hat, reicht als Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht aus.

b) Klärbarkeit und Klärungsbedürftigkeit der bezeichneten Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren sind außerdem auch deswegen nicht vorhanden, weil ein etwa unterbliebener Hinweis auf die Möglichkeit einer verbösernden Einspruchsentscheidung unschädlich ist, wenn die angegriffene Steuerfestsetzung unabhängig von einer Einspruchsentscheidung geändert werden kann, weil sie unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist (vgl. dazu Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 367 AO 1977, Rz. 86, mit Rechtsprechungshinweisen). Im Streitfall sind die angefochtenen Steuerfestsetzungen für 1987 vom 30. Dezember 1992 und für 1988 vom 26. November 1993 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen.

Dieser Vorbehalt (§ 164 Abs. 1 AO 1977) ist in der Einspruchsentscheidung nicht ausdrücklich aufgehoben worden, so daß er erhalten geblieben ist (vgl. zur Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts und zum Hinweis auf die Möglichkeit der Verböserung BFH- Urteil vom 10. Juli 1996 I R 5/96, BFHE 181, 100, BStBl II 1997, 5, Deutsches Steuerrecht 1996, 1893).

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 388

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