Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung ohne Verböserungshinweis

 

Leitsatz (NV)

Wird der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß §164 Abs. 3 AO im Einspruchsverfahren aufgehoben, bedarf es in der Regel keines vorherigen Verböserungshinweises gem. §367 Abs. 2 Satz 2 AO.

 

Normenkette

AO 1977 § 164 Abs. 3, § 367 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Dem Kläger und seinem Bruder gehörte bis zum 23. März 1988 eine Eigentumswohnung in A. An diesem Tag stellte das Amtsgericht A durch Beschluß fest, daß der Kläger in dem von der B-Bank betriebenen Zwangsversteigerungsverfahren mit einem baren Meistgebot von 200 000 DM Meistbietender geblieben war. Er leistete jedoch keine Zahlung an das Gericht, weil die Gläubigerin (B-Bank) ausgezahlte Darlehen gegenrechnen konnte. Vor der Versteigerung hatten die Kläger als Garanten gegenüber der B-Bank (Garantienehmer) das notarielle Versprechen abgegeben (Bietungsgarantievertrag), im Zwangsversteigerungsverfahren ein Gebot von 426 000 DM abzugeben.

Für die Jahre 1989 und 1990 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Einkommensteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Während er die erklärten Schuldzinsen anerkannte, kürzte er die Absetzung für Abnutzung (AfA), weil er nicht die garantierte Summe aus dem Bietungsgarantievertrag (426 000 DM), sondern den bislang unstreitigen Verkehrswert der Eigentumswohnung von 200 000 DM als alleinige Anschaffungskosten ansah.

Mit den Einsprüchen machten die Kläger zunächst geltend, der gesamte Abwicklungskredit in Höhe von 426 000 DM sei als Anschaffungskosten anzusehen; lediglich ein Anteil für Grund und Boden in Höhe von 15 v. H. sei für die Bemessungsgrundlage der AfA abzuziehen. Das FA wies für die Jahre 1989 und 1990 die Einsprüche zurück. Außerdem setzte es nach Erörterung, jedoch ohne Verböserungshinweis nach §367 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977), die Einkommensteuer der Streitjahre unter Hinweis auf §164 Abs. 2 AO 1977, herauf. Gleichzeitig hob es für beide Jahre den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Die Heraufsetzung der Steuer wurde damit begründet, daß bisher zu Unrecht sämtliche Zinsen anerkannt worden seien. Diese stünden aber nur teilweise in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Finanzierung der Eigentumswohnung.

Auf die hiergegen gerichtete Klage hob das Finanzgericht (FG) die Einspruchsentscheidung auf, da sie gegen §367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 verstoße. Das Fehlen des Verböserungshinweises bei einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheid sei nur dann unschädlich, wenn der Nachprüfungsvorbehalt bestehen bleibe (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1996, 1198).

Mit der Revision rügt das FA einen Verstoß gegen §164 AO 1977. Das FG stelle für die Anwendung dieser Vorschrift Voraussetzungen auf, die im Gesetz nicht vorgesehen seien. Außerdem habe es gegen §367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 verstoßen, weil die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift nicht vorlägen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Rechtsstreit zur weiteren Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat zu Unrecht die Einspruchsentscheidung des FA aufgehoben, weil dieses zuvor nicht auf die Änderung der Steuerbescheide zum Nachteil der Kläger, insbesondere auf die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung, hingewiesen habe.

1. Gemäß §367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 kann der mit dem Einspruch angefochtene Verwaltungsakt auch zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu äußern.

a) Die angefochtenen Steuerbescheide sind im Streitfall ohne Hinweis zum Nachteil des Klägers geändert worden. Zu Recht weist das FG darauf hin, daß der Steuerpflichtige durch die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung verfahrensrechtlich benachteiligt sein kann. Der Vorbehalt der Nachprüfung bewirkt, daß der Steuerfall nach allen Seiten offen bleibt. Zwar kann die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung die Verfahrensposition des Steuerpflichtigen verbessern, da die Steuerfestsetzung nicht mehr zu seinen Ungunsten geändert werden kann. Solange der Vorbehalt der Nachprüfung besteht, kann der Steuerpflichtige jedoch auch innerhalb der Festsetzungsfrist jederzeit eine Änderung der Steuerfestsetzung zu seinen Gunsten beantragen (§164 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Wird der Vorbehalt der Nachprüfung in der Einspruchsentscheidung aufgehoben, entfällt diese (schlichte) Änderungsmöglichkeit. Eine Korrektur des Steuerbescheides kann dann nur noch im Klagewege oder unter den einschränkenden Voraussetzungen der §§172 ff. AO 1977 erreicht werden. Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gemäß §164 Abs. 2 AO 1977 kann daher auch einen Nachteil für den Steuerpflichtigen bedeuten.

b) Gleichwohl bedarf die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gemäß §164 Abs. 3 AO 1977 im Einspruchsverfahren in der Regel keines vorherigen Verböserungshinweises gemäß §367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977, weil der mit dieser Regelung verbundene Zweck nicht erreicht werden könnte (s. auch Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 10. Juli 1996 I R 5/96, BFHE 181, 100, BStBl II 1997, 5).§

367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 hat den Zweck, dem Steuerpflichtigen zu ermöglichen, einer verbösernden Einspruchsentscheidung durch rechtzeitige Rücknahme seines Einspruchs zuvorzukommen (BFH- Urteil vom 10. November 1989 VI R 124/88, BFHE 159, 405, BStBl II 1990, 414). Die Regelung hat insoweit lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung; die Verböserungsbefugnis selber ergibt sich bereits aus §367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 (BFH-Urteil vom 15. Dezember 1992 VIII R 27/91, BFH/NV 1993, 599).

Die Änderung einer Steuerfestsetzung zum Nachteil des Steuerpflichtigen ist im Einspruchsverfahren in der Regel ohne Verböserungshinweis möglich, wenn die angegriffene Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht (zuletzt BFH-Urteil vom 21. August 1996 I R 75/95, BFH/NV 1997, 314; BFH-Beschluß vom 21. Januar 1997 V B 110/96, BFH/NV 1997, 388; BFH in BFHE 159, 405, BStBl II 1990, 414). Das Fehlen des Hinweises auf Verböserung im Einspruchsverfahren ist unschädlich, weil der Zweck des §367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nicht erreicht werden kann, wenn eine Entscheidung zum Nachteil des Steuerpflichtigen ungeachtet der Rücknahme seines Einspruchs möglich ist. Dies gilt auch für die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gemäß §164 Abs. 3 Satz 1 AO 1977; denn durch die Rücknahme des Einspruchs ließe sich in der Regel die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung durch das FA nicht vermeiden. Nur in den Fällen, in denen bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist und diese lediglich durch den Einspruch gemäß §171 Abs. 3 AO 1977 in ihrem Ablauf gehemmt ist, würde durch die Rücknahme des Einspruchs diese Ablaufhemmung und damit auch nach §164 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 der Vorbehalt der Nachprüfung entfallen, so daß ein Verböserungshinweis erforderlich ist (vgl. FG Köln, Urteil vom 10. Juni 1996 12 V 949/96, EFG 1997, 47; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 6. Aufl., §367 Anm. 3). Im Streitfall sind diese Besonderheiten nicht gegeben.

Auch die Tatsache, daß den Steuerpflichtigen durch die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in der Einspruchsentscheidung die Änderungsmöglichkeit gemäß §164 Abs. 2 AO 1977 genommen wird, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dem Steuerpflichtigen bleibt es unbenommen, die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Klageverfahren gegen die Einspruchsentscheidung prüfen zu lassen. Soweit dem Steuerpflichtigen insoweit eine Rechtsbehelfsinstanz verloren geht, ist dies unschädlich (BFH in BFHE 159, 405, BStBl II 1990, 414, 416).

2. Die Vorentscheidung, die auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, ist aufzuheben. Das FG hat, von seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig, die materiell-rechtliche Frage, ob die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind, nicht geprüft. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen kann der Senat hierüber nicht selbst entscheiden und verweist daher die Sache an die Vorinstanz zurück (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Dem FG wird auch die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen (§143 Abs. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 67269

BFH/NV 1998, 816

HFR 1998, 624

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