Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmißbräuchliche Richterablehnung

 

Leitsatz (NV)

1. Es ist rechtsmißbräuchlich, wenn das Ablehnungsrecht nach § 42 der ZPO i. V. m. § 51 Abs. 1 FGO genutzt werden soll, um vom Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts offensichtlich nicht erfaßte Ziele zu erreichen. Das Ablehnungsrecht soll die unparteiliche Rechtspflege sichern. Es dient nicht dem Zweck, einen Verfahrensbeteiligten vor einer für ihn möglicherweise ungünstigen Rechtsauffassung eines Richters zu schützen.

2. Im Beschwerdeverfahren können keine neuen Ablehnungsgründe vorgebracht werden.

 

Normenkette

FGO §§ 51, 128; ZPO § 42

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war in den Jahren 1973 bis 1983 (Streitjahre) freiberuflich tätig. 1984 bis 1988 fand bei ihm eine Steuerfahndungsprüfung statt, die die Streitjahre betraf. Auf der Grundlage der Feststellungen des Prüfers erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) im Jahr 1989 Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre, die der Kläger nach weitgehend erfolglosem Einspruchsverfahren zum Gegenstand mehrerer beim Finanzgericht (FG) bereits anhängiger Klageverfahren machte. Diese Verfahren verband das FG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung.

Mit Schriftsatz vom 1. Juni 1992 lehnte der Kläger, der durch rechtskräftiges Urteil wegen mehrerer mit seiner Berufstätigkeit zusammenhängender Straftaten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war und sich seit Mitte 1988 wieder in Haft befindet, die seinerzeit geschäftsplanmäßig für die Entscheidung über seine Klagen zuständigen Richter A, B und C vorsorglich wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug er im wesentlichen und sinngemäß vor:

Am 3. April 1992 habe ihm das FG eine Frist nach Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) zur Angabe von Tatsachen und Bezeichnung von Beweismitteln bis zum 5. Juni 1992 gesetzt. Diese Fristsetzung sei rechtswidrig. Das FG habe ermessensfehlerhaft nicht berücksichtigt, daß der Kläger nicht oder aufgrund seiner Inhaftierung zumindest zur Zeit nicht in der Lage sei, die angeforderten Angaben zu machen und Unterlagen vorzulegen. Das FG habe zudem die Beweislastregeln nicht beachtet. Außerdem betreibe es das Verfahren weiter, bevor über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) und die Beiordnung seines Bruders als Prozeßbevollmächtigten entschieden worden sei. Auf die entsprechenden Verfahrensrügen und Gegenvorstellungen des Klägers im Schriftsatz vom 28. April 1992 habe das FG bisher nicht reagiert, obwohl es die Fristsetzung schon längst hätte aufheben müssen.

Bei der Terminierung der mündlichen Verhandlung in den Parallelverfahren mit den Az. ... der X-GmbH und Stille Gesellschaft auf den 14. Mai 1992 habe das FG ähnliche Fehler begangen. Auf die entsprechenden Verfahrensrügen und Gegenvorstellungen habe es nicht reagiert. Am 13. Mai 1992 habe die Prozeßbevollmächtigte in den Parallelverfahren das Mandat niedergelegt. Daraufhin habe B auf Anordnung des Vorsitzenden Richters A der Prozeßbevollmächtigten telefonisch mitgeteilt, daß die mündliche Verhandlung dennoch am 14. Mai 1992 stattfinde. Mit dieser Willkür- Reaktion habe das FG die bereits gerügten Verfahrensfehler und Verfassungsverletzungen fortgesetzt und erweitert. Da die Prozeßbevollmächtigte das Mandat niedergelegt habe, hätte das FG den Termin zur mündlichen Verhandlung aufheben und den Klägern ausreichend Frist zur Reaktion gewähren müssen.

Aufgrund der wiederholten Willkür des FG sei davon auszugehen, daß es sich nicht um einen Ausrutscher gehandelt habe. Der Kläger fürchte, der Senat mit allen drei Richtern werde auch in dem Verfahren mit dem Az. ... genauso handeln.

Deshalb lehne er die Richter A, B und C vorsorglich unter Vorbehalt der Bescheidung seiner Anträge wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Richter hätten entweder bewußt die Prinzipien eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens mißachtet und das Recht beugen wollen oder sie hätten dem Kläger gegenüber eine innere Haltung eingenommen, die ihre richterliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit beeinflußt habe, so daß sie dadurch das Recht gebeugt hätten.

Mit Schreiben vom 5. August 1992 verlängerte A die dem Kläger am 3. April 1992 gesetzte Frist bis zum 20. September 1992 und sandte dem Kläger einen Karton mit Beweismitteln zur Einsichtnahme zu. Außerdem teilte er ihm mit, das FG werde über den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und den Antrag auf Aussetzung oder Ruhen des Verfahrens nach Ablauf der verlängerten Frist entscheiden. Gleichzeitig bat er den Kläger mitzuteilen, ob der vorsorglich gestellte Ablehnungsantrag noch aufrechterhalten werde. Der Kläger reagierte auf dieses Schreiben zunächst nicht und teilte nach Erinnerung durch das FG mit, er habe das Schreiben vom 5. August 1992 und die Beweismittel nicht erhalten. S hob daraufhin am 10. Dezember 1992 bis zur Klärung des Verbleibs der Beweismittel sämtliche Fristen zur Stellungnahme auf.

Am 9. März 1993 teilte der Kläger dem FG mit, er halte die Befangenheitsrüge aufrecht. Es komme auf die Rechtswidrigkeit der Fristsetzung und nicht auf die nachträgliche Aufhebung der Frist aus anderen, sachlichen Gründen an. Entscheidend sei die persönliche Einstellung des Richters in dem Verfahren. Es sei nicht zu erkennen, daß diese sich inzwischen grundsätzlich geändert habe.

Mit Beschluß vom 19. Juli 1993 wies das FG unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters A und der Richter B und C das Ablehnungsgesuch als unzulässig ab.

Gegen den Beschluß hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers fristgerecht Beschwerde eingelegt und angekündigt, er werde das Rechtsmittel begründen, sobald über den gleichzeitig gestellten Antrag auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren positiv entschieden worden sei.

Das FA hat mitgeteilt, ihm lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß Richter des ... Senats des FG befangen sein könnten.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde war zurückzuweisen. Sie ist unbegründet. Das FG hat zu Recht das Ablehnungsgesuch als rechtsmißbräuchlich und damit als unzulässig angesehen.

Es ist rechtsmißbräuchlich, wenn das Ablehnungsrecht nach § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genutzt werden soll, um vom Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts offensichtlich nicht erfaßte Ziele zu erreichen (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638). Das Ablehnungsrecht soll die unparteiliche Rechtspflege sichern. Es dient nicht dem Zweck, einen Verfahrensbeteiligten vor einer für ihn möglicherweise ungünstigen Rechtsauffassung eines Richters zu schützen (s. BFH-Beschluß vom 14. Januar 1971 V B 67/69, BFHE 101, 207, BStBl II 1971, 243).

Der Kläger lehnte den Vorsitzenden Richter A und die Richter B und C nicht ab, weil er an ihrer Unparteilichkeit zweifelte, sondern weil er Entscheidungen des FG-Senats verhindern wollte, die mit seinen Rechtsauffassungen möglicherweise nicht übereinstimmen. Das zeigt der im Ablehnungsgesuch vom 1. Juni 1992 gemachte Vorbehalt. Die Ablehnung sollte nur gelten, falls die Richter seinen Verfahrensanträgen nicht entsprechen wollten. Auch die Bestätigung des Ablehnungsgesuchs im Schriftsatz vom 9. März 1993 läßt erkennen, daß es dem Kläger allein darum ging, sich gegen eine seiner Ansicht nach rechtswidrige Fristsetzung zu wehren. Anhaltspunkte für die Annahme, A, B und C seien dem Kläger gegenüber voreingenommen und ließen sich bei ihren in dem Verfahren zu treffenden Entscheidungen von unsachlichen Überlegungen leiten, waren weder am 1. Juni 1992 noch am 9. März 1993 vorhanden.

Die Sache ist entscheidungsreif, obwohl der Kläger die Beschwerde bisher nicht begründet hat. Im Beschwerdeverfahren können keine neuen Ablehnungsgründe vorgebracht werden (BFH-Beschluß vom 22. Mai 1991 IV B 48/90, BFH/NV 1992, 395) und die vom Kläger im Verfahren vor dem FG vorgebrachten Ablehnungsgründe sind offensichtlich nicht geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit der Richter A, B und C zu rechtfertigen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 400

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