Leitsatz (amtlich)

Eine etwa unrichtige, einem Beteiligten ungünstige Rechtsauffassung des Richters ist im allgemeinen kein Grund für dessen Ablehnung wegen Befangenheit.

 

Normenkette

FGO § 51; ZPO § 42 Abs. 2

 

Tatbestand

In dem dem Ablehnungsverfahren zugrunde liegenden Rechtsstreit geht es darum, in welchem Umfang die Klägerin und Beschwerdeführerin (Steuerpflichtige) steuerbare Inlandsleistungen dadurch erbracht hat, daß sie der ... AG Kesselwagen zum Transport von Kraftstoffen im Inland und Ausland gegen Entgelt zur Verfügung stellte. Die steuerbaren Inlandsleistungen wurden anläßlich einer Betriebsprüfung bei der AG ermittelt, das Ermittlungsergebnis der Steuerpflichtigen mitgeteilt und vom Beklagten und Beschwerdegegner (FA) der Umsatzsteuerveranlagung zugrunde gelegt.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA hat im Einspruchsverfahren die Aufstellung der Inlands- und Auslandsumsätze anhand von Unterlagen der AG erneut geprüft und nach Mitteilung des Ermittlungsergebnisses an die Steuerpflichtige den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der Klage macht die Steuerpflichtige wie auch schon im Vorverfahren geltend, das FA habe die Bekanntgabe der Besteuerungsgrundlagen verweigert. Daraufhin richtete der Berichterstatter in der Sache, Finanzgerichtsrat Dr. X an den Bevollmächtigten der Steuerpflichtigen am 6. März 1969 folgendes Schreiben:

"Unstreitig hat die Klägerin Inlandsumsätze getätigt. Sie war daher verpflichtet, die entsprechenden Umsätze fortlaufend aufzuzeichnen (§ 16 UStDB, § 161 Abs. 1 Nr. 2 AO in der für die Streitjahre gültigen Fassung). Die Klägerin hatte dementsprechend ihre Umsätze in Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Umsatzsteuer-Jahreserklärungen anzugeben (§ 66 UStDB, § 167 Abs. 3 AO). Da nicht die Finanzverwaltung, sondern die Klägerin ihre Umsätze zu erklären hat, werden Sie gebeten, die gesamten Umsätze der Klägerin für die einzelnen Streitjahre bis zum 1. Mai 1969 dem Finanzgericht mitzuteilen, die darüber gemachten Aufzeichnungen vorzulegen und bei einer Abweichung von den Feststellungen des Beklagten darzulegen, weshalb die vom Beklagten festgestellten Umsätze nicht richtig ermittelt worden sind. Es bleibt Ihnen unbenommen, Ihre Klage zurückzunehmen. Da beabsichtigt ist, Ihre Äußerung ggf. der AG zur Stellungnahme vorzulegen, werden Sie um Beantwortung in dreifacher Fertigung gebeten."

Aufgrund dieses Schreibens lehnte die Steuerpflichtige Finanzgerichtsrat Dr. X wegen Befangenheit ab.

Der abgelehnte Richter erklärt in der dienstlichen Äußerung vom 14. März 1969 hinsichtlich des damals vorgebrachten Ablehnungsgrundes sich nicht als befangen.

Das FG lehnte daraufhin mit dem angefochtenen Beschluß das Ablehnungsgesuch ab.

Mit der Beschwerde gegen diesen Beschluß wird geltend gemacht, daß ein Richter an die Geheimhaltung gebunden sei. Die Erklärungen eines Steuerpflichtigen dürften daher nicht ohne dessen Einverständnis Dritten mitgeteilt werden. Der abgelehnte Richter habe aber unbekümmert um die Zustimmung der Steuerpflichtigen die Mitteilung an die AG angekündigt. Durch dieses Verhalten bringe der Richter zum Ausdruck, daß er nicht mehr unparteilich sei.

In der dienstlichen Äußerung vom 11. September 1965 hat der abgelehnte Richter sich auch wegen des neuerdings vorgebrachten Ablehnungsgrundes nicht als befangen angesehen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach dem sinngemäß anzuwendenden (§ 51 Abs. 1 FGO) § 42 Abs. 2 ZPO findet eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch darauf an, ob der Beteiligte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (Entscheidung des BVerfG 2 BvE 2/64 vom 3. März 1966, BVerfGE 20; 9, 14). Der ablehnende Beteiligte muß einen vernünftigen Grund für die Annahme haben, daß sich der Richter aus einer in seiner Person liegenden individuellen Ursache heraus bei seiner Entscheidung von falschen Rücksichten leiten lasse (Beschluß des BFH III B 37/67 vom 21. Juli 1967, BFH 90, 160, BStBl II 1968, 12). Als Ursache für eine Parteilichkeit des Richters kann grundsätzlich nicht seine einer Partei ungünstige unrichtige Rechtsauffassung in einem früheren Verfahren gelten (Beschluß des Kammergerichts II. ZS II W 3123/55 vom 24. Dezember 1955, Juristische Rundschau 1957 S. 64). Es kann auch keine Rolle spielen, daß der Richter eine etwa unrichtige Rechtsauffassung hinsichtlich der ihm im Verfahren obliegenden Pflichten erkennen läßt. Denn das Ablehnungsverfahren schützt nicht gegen unrichtige Rechtsauffassungen eines Richters. Dagegen können sich die Beteiligten mit den vorgesehenen Rechtsbehelfen wehren. Das Ablehnungsverfahren dient allein dazu, die Beteiligten vor der Unsachlichkeit des Richters aus einem in seiner Person liegenden Grund zu bewahren. Das wird im allgemeinen bei einer unrichtigen Rechtsauffassung nicht zutreffen, es sei denn, daß sie eine unsachliche Behandlung der Streitsache zur Folge hätte.

2. Im vorliegenden Falle behauptet die Steuerpflichtige, der von ihr abgelehnte Richter habe sich über das Gebot der Geheimhaltung durch die einseitige Erklärung hinweggesetzt, er werde Auskünfte der Steuerpflichtigen - ohne deren Zustimmung - dritten Personen zur Kenntnis geben. Selbst wenn daraus ein unrichtiges Verständnis der Bedeutung des Steuergeheimnisses (§ 22 AO) entnommen werden könnte, ließe eine solche Auffassung noch nicht besorgen, der Richter werde sich parteilich verhalten. Dagegen spricht vor allem die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters im Beschwerdeverfahren. Daraus ergibt sich, daß sich der abgelehnte Richter für berechtigt hielt, im Interesse der Aufklärung des Sachverhalts das von ihm angekündigte Verfahren anzuwenden.

Daß die möglicherweise unrichtige Rechtsauffassung eine unsachliche Behandlung zur Folge gehabt hätte, hat die Steuerpflichtige nicht glaubhaft gemacht. Eine solche Annahme wäre auch im Hinblick auf die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters vom 11. September 1969 nicht berechtigt. Dr. X hat ausführlich dargestellt, daß die Zuleitung der Erklärung der Steuerpflichtigen an die AG der schnellstmöglichen Aufklärung des Sachverhalts dienen sollte.

Die Beschwerde war unter diesen Umständen mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl II 1971, 243

BFHE 1971, 207

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