Leitsatz (amtlich)

1. § 15 ErbStDV begründet wegen Nichtigkeit des Satzes 2 des Absatzes 1 (Urteil II 98/62 vom 27. März 1968) nicht die Notwendigkeit der Beiladung (§ 60 Abs. 3 Satz 1 FGO) der anderen Erbbeteiligten.

2. In der Frage, ob nach den Steuergesetzen rechtliche Interessen anderer durch die Entscheidung berührt werden (§ 60 Abs. 1 Satz 1 FGO), hat der BFH als Beschwerdegericht grundsätzlich den materiellrechtlichen Standpunkt des FG zugrunde zu legen, nicht jedoch dessen Ansichten über den Umfang der Rechtskraft des ergehenden Urteils.

 

Normenkette

FGO § 60 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 132; ErbStDV § 15 Abs. 1 S. 2; ErbStG § 15 Abs. 1, 3, 5

 

Tatbestand

Das FA (Beklagter) hatte einem im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 ErbStDV einheitlichen Erbschaftsteuerbescheid an den Testamentsvollstrecker gerichtet. Die beiden Kläger sind im Testament bedacht. Sie bestritten zeitweilig, Miterben zu sein; unter der Annahme, sie seien Erben, ist umstritten, ob sie zugunsten zweier anderer Miterben mit einer Teilungsanordnung oder mit einem Vermächtnis belastet sind. Die Kläger und der Testamentsvollstrecker haben gegen den Steuerbescheid Einspruch erhoben. Das FA hat den Bescheid geändert. Die Kläger haben wiederum Einspruch eingelegt. Das FA hat den Bescheid erneut geändert. Auch dagegen haben die Kläger Einspruch erhoben. Das FA hat ihre Einsprüche zurückgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das FG nach Beiladung des Testamentsvollstreckers und der genannten (anderen) Miterben den letztgenannten Steuerbescheid (zweiten Änderungsbescheid) und die diesen bestätigenden Einspruchsentscheidungen wegen Unzulässigkeit des Änderungsbescheids aufgehoben. Daraufhin hat das FA den Einspruch zumindest eines der Kläger gegen den zweitgenannten Steuerbescheid (ersten Änderungsbescheid) zurückgewiesen. Nach dem Entscheidungssatze hat es gleichwohl die Steuer (auf einen Negativbetrag?) herabgesetzt; ausweislich der Begründung wollte es dem Einspruch der beiden anderen Miterben stattgeben, und sollte der im Entscheidungssatz genannte Betrag diesem gegenüber derjenige der Herabsetzung gegenüber dem Erstbescheid (und der Erstattung?) sein. Gegen den letzten Bescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung richtet sich die vorliegende Klage. Das FG hat den Testamentsvollstrecker und die beiden anderen Miterben beigeladen. Das fechten die Kläger mit der Beschwerde an.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist begründet.

Ein Fall notwendiger Beiladung im Sinne des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO liegt nicht vor. Wie der Senat in dem Urteil II 98/62 vom 27. März 1968 (BFH 91, 434, BStBl II 1968, 376) des näheren dargelegt hat, ist der einheitliche Steuerbescheid des § 15 Abs. 1 Satz 1 ErbStDV weder eine einheitliche Feststellung im Sinne des § 215 AO noch steht er einer solchen hinsichtlich der Konsequenzen der §§ 219, 233, 241 Abs. 3 AO, § 48 Abs. 2, § 60 Abs. 3, § 73 Abs. 2 FGO gleich; § 15 Abs. 1 Satz 2 ErbStDV, wonach der einem Erben (§ 15 Abs. 2 ErbStDV) oder dem Testamentsvollstrecker, Nachlaßpfleger oder Nachlaßverwalter (§ 15 Abs. 4 ErbStV) bekanntzugebende Bescheid allen Beteiligten gegenüber wirksam ist (vgl. § 15 Abs. 6 Satz 3 ErbStDV), ist wegen fehlender Ermächtigung (Art. 80 Abs. 1 GG) nichtig. Der einheitliche Bescheid des § 15 Abs. 1 Satz 1 ErbStDV kann somit nur als formale Zusammenfassung mehrerer, je für sich zu beurteilender Bescheide ergehen, ein ergangener Bescheid nur in diesem Sinne verstanden werden. Daraus folgt, daß ebenso wie in den Fällen des § 210 Abs. 2 AO auch widersprechende Festsetzungen möglich sind, wenn nur einzelne der Beteiligten Rechtsbehelfe gegen den Steuerbescheid ergreifen: gelingt es z. B. dem anfechtenden Erben wegen eines Vermächtnisses einen höheren Abzug zu erreichen, als dem Steuerbescheid zugrunde gelegt war, so kann nicht allein schon darum - freilich unbeschadet des § 222 Abs. 1 AO - von dem nicht anfechtenden Vermächtnisnehmer eine höhere Steuer verlangt werden. Vielmehr ist auch verfahrensrechtlich die Steuerschuld jedes Erwerbers (§ 15 Abs. 1 ErbStG) selbständig; es gibt außerhalb des Bereiches der Haftung (§ 15 Abs. 3 und 5 ErbStG) kein streitiges Rechtsverhältnis derart, daß die Entscheidung mehreren an dem Erbfall Beteiligten (§ 15 Abs. 1 Satz 1 ErbStDV) gegenüber nur einheitlich ergehen könnte (§ 60 Abs. 3 Satz 1 FGO), sofern diese Beteiligten nicht ihrerseits - wie etwa die Gesellschafter bei einem Vermächtnis an eine Personengesellschaft - bürgerlichrechtlich verbunden sind.

War somit die Beiladung nicht gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig, so war sie doch gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 FGO zulässig, sofern nach den Steuergesetzen rechtliche Interessen der Beigeladenen durch die Entscheidung berührt und berechtigte Interessen der Kläger dadurch nicht verletzt werden (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 2 FGO, auch § 22 AO, § 71 Abs. 2, § 78 Abs. 1, § 96 Abs. 2 FGO). Auch aus der beispielhaft angeführten Steuerhaftung (§ 60 Abs. 1 Satz 1 FGO) folgt die Beiladungsbefugnis nur für den Regelfall, daß diese Voraussetzungen gegeben sind.

Ob die erstgenannte Voraussetzung erfüllt ist, hängt zunächst davon ab, wie das FG - in Auseinandersetzung mit dem vorbezeichneten Urteil des BFH II 98/62 vom 27. März 1968 - die materielle Rechtslage beurteilt. Diese - vom FG bislang noch nicht angestellte - Prüfung kann der BFH nicht vorwegnehmen. Denn er ist als Beschwerdegericht zwar zur tatsächlichen Prüfung befugt und verpflichtet; seine Beschwerdeentscheidung über eine prozessuale Frage bindet das FG aber nur für diese und nicht in der Beurteilung der materiellen Rechtslage. Da der BFH nur als Revisionsgericht (§ 126 Abs. 5 FGO), nicht aber als Beschwerdegericht den materiellen Inhalt des künftig ergehenden finanzgerichtlichen Urteils beeinflussen kann, muß er folglich - nicht anders als bei der Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO) - bei der beschwerdegerichtlichen Nachprüfung einer vom FG angeordneten Beiladung den materiellrechtlichen Standpunkt des FG zugrunde legen, ohne freilich an dessen Ansichten über den Umfang der Rechtskraft des ergehenden Urteils (§ 110 Abs. 1 FGO) gebunden zu sein. Anders mag es allerdings sein, wenn das FG eine gebotene Beiladung unterlassen hätte (vgl. § 123 Satz 1 FGO), weil die Anordnung der Beiladung dem Urteil nicht vorgreifen würde; doch kann das hier dahingestellt bleiben.

Da insbesondere im Hinblick auf das Urteil des BFH II 98/62 vom 27. März 1968 (a. a. O.) nicht zu ersehen ist, ob und inwiefern nach den Steuergesetzen rechtliche Interessen aller oder einzelner der Beigeladenen durch das Urteil des FG - sei es auch nur möglicherweise - berührt werden können (§ 60 Abs. 1 Satz 1 FGO), war der angefochtene Beschluß aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67759

BStBl II 1968, 748

BFHE 1968, 127

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