Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorläufiger Rechtsschutz gegen drohende Vollstreckung

 

Leitsatz (NV)

1. Drohende Vollstreckungsmaßnahmen, die sich noch nicht in Form eines aussetzungsfähigen (Vollstreckungs-)Verwaltungsakts konkretisiert haben, können unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO durch eine einstweilige Anordnung abgewendet werden.

2. Eine einstweilige Anordnung kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die drohenden Vollstreckungsmaßnahmen bedroht ist. In jedem Fall müssen die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind.

 

Normenkette

FGO § 114 Abs. 1

 

Tatbestand

Der selbständig tätige Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) beantragte vor dem Finanzgericht (FG) die Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) im Wege der einstweiligen Anordnung. Er bezog sich dabei in seiner Antragsschrift auf die bei der D. Bank AG ausgebrachte Kontopfändung durch das FA.

Das FG wies den Antrag mit der Begründung ab, der Antragsteller habe einen Anordnungsgrund i. S. von § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht glaubhaft gemacht. Der Hinweis auf die Pfändung des Bankkontos sowie die pauschale Behauptung, die Maßnahmen des FA gefährdeten aufs Höchste den Bestand seiner Lebensgrundlage, reichten zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes nicht aus. Mit Rücksicht darauf, daß der Gesetzgeber in den Vorschriften der §§ 850 ff. der Zivilprozeßordnung (ZPO) die Pfändung von Arbeitseinkommensbezügen unter Berücksichtigung bestimmter persönlicher Merkmale des Vollstreckungsschuldners in den dort genannten Grenzen als zulässig geregelt habe, könne in der Pfändung eines Bankkontos im Rahmen der so gesetzten Grenzen allein keine Bedrohung der wirtschaftlichen oder persönlichen Existenz des Antragstellers gesehen werden. Daß im Streitfall aus besonderen Umständen etwas anderes zu gelten habe, sei vom Antragsteller nicht substantiiert dargelegt worden. Dies habe im Streitfall deshalb besondere Bedeutung, weil sich das FA bereit erklärt habe, nach Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse die zum Lebensunterhalt sowie zur Berufsausübung erforderlichen Beträge freizugeben. Der Antragsteller habe auch nicht vorgetragen, daß er zum Zwecke der Steuerzahlung Dispositionen habe treffen oder Vermögensgegenstände unter deren Wert habe veräußern müssen.

Mit der vom FG nicht abgeholfenen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Er ist der Auffassung, der Gesetzgeber habe § 114 FGO zum Schutz grundgesetzlich garantierter Rechte eingerichtet, wozu er in ausreichender Weise nachgewiesen habe, daß die ihm und seiner Familie (Ehefrau, vierjähriger Sohn und sechs Monate alte Tochter) zugestandenen Rechte - Bestand der Lebensgrundlage - in extremer Gefahr seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Den Ausführungen des Antragstellers in seiner Antragsschrift vom 30. November 1988 ist zu entnehmen, daß er sinngemäß die Vollstreckung aus den Einkommensteuerbescheiden 1983 bis 1985 für unbillig hält und der Auffassung ist, daraus ergebe sich ein Anspruch (Anordnungsanspruch) auf Aufschub der Vollstreckung (§ 258 der Abgabenordnung - AO 1977 -) mit der Folge, daß die bereits vorgenommene Kontopfändung aufzuheben sei.

Dieses Begehren unterliegt dem Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung; denn drohende Vollstreckungsmaßnahmen, die sich noch nicht in Form eines aussetzungsfähigen (Vollstreckungs-)Verwaltungsaktes konkretisiert haben, können unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO durch eine einstweilige Anordnung abgewendet werden (Koch /Szymczak, Abgabenordnung, 3. Aufl. 1986, § 256 Rdnr. 18, Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl. 1988, § 258 AO 1977 Tz. 4, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen).

Zur Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Beschlüsse vom 29. November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418, BStBl II 1985, 194, und vom 18. März 1986 VII B 115/85, BFH/NV 1986, 479, 480) erforderlich, daß zunächst der Anordnungsanspruch schlüssig dargelegt wird und daß außerdem die Tatsachen, die für die Entscheidung erheblich sind, durch präsente Beweismittel in dem für die Glaubhaftmachung erforderlichen Maße (dazu Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 46. Aufl., § 294 Anm. 1 A, m. w. N.) nachgewiesen werden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vortrag des Antragstellers für eine Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs in diesem Sinne ausreicht. Denn der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 1 FGO setzt neben dem Anordnungsanspruch auch einen Anordnungsgrund voraus, der ebenfalls - im vorgenannten Sinne - glaubhaft zu machen ist (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Zumindest daran fehlt es im Streitfall.

Dabei ist zu beachten, daß die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO genannten Gründe Maßstäbe für die Beurteilung der Frage setzen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt (BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1986 VII B 42/86, BFH/NV 1987, 39; vom 30. Juli 11986 V B 31/86, BFH/NV 1987, 42, und vom 14. Juni 1988 VII B 15/88, BFH/NV 1989, 75, 76). Danach kommt eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen bedroht ist (BFH-Beschlüsse vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492, und vom 17. Januar 1985 VI B 106/84, BFH/NV 1986, 219). In jedem Fall müssen die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind.

Der Antragsteller hat nicht entsprechend den aufgezeigten Erfordernissen glaubhaft gemacht, daß die Vollstreckung wegen der fraglichen Steuerbeträge der Existenzvernichtung vergleichbare Nachteile für ihn und seine Familie bringt. Der Senat schließt sich insoweit den dazu gemachten Ausführungen des FG an.

2. Da der Antragsteller zumindest deshalb keinen Erfolg haben kann, weil er einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob der Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung die Pfändung des Bankkontos aufzuheben, nach § 114 Abs. 5 FGO unzulässig ist. Bedenken ergeben sich insoweit daraus, daß die angegriffene Pfändungsverfügung ein Verwaltungsakt (§ 118 AO 1977) ist, gegen den grundsätzlich vorläufiger Rechtsschutz im Wege der Aussetzung der Vollziehung nach § 361 Abs. 2 AO 1977 oder § 69 Abs. 3 FGO gegeben ist (Tipke / Kruse, a. a. O., § 309 AO 1977 Tz. 24; Schwarz in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., 1989, § 309 AO 1977 Rdnr. 112 a; Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., 1989, § 309 Anm. 9).

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 104

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