Leitsatz (amtlich)

1. Ein Anordnungsgrund zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die Ablehnung der Herabsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen ist nur gegeben, wenn durch die Ablehnung der Herabsetzung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen unmittelbar und ausschließlich bedroht ist.

2. Keine Anordnungsgründe sind, für sich allein gesehen, die Bezahlung von Steuern, eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme oder Veräußerung von Vermögenswerten, ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards.

 

Normenkette

FGO § 114 Abs. 1 S. 2; AO 1977 § 222

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist freiberuflich tätiger Zahnarzt und außerdem seit 1981 als Kommanditist mit einer Einlage von 300 000 DM an der B-GmbH & Co. beteiligt. Das für die B-GmbH & Co. zuständige Betriebs-FA hat eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb (Verlusten) für die B-GmbH & Co. abgelehnt, weil die B-GmbH & Co. kein gewerbliches Unternehmen habe und die Kommanditisten nicht Mitunternehmer seien. Der Einspruch dagegen blieb erfolglos. Über die Klage dagegen ist noch nicht entschieden. Ein Antrag der B-GmbH & Co. auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Feststellung von Verlusten aus Gewerbebetrieb wurde vom Finanzgericht (FG) abgelehnt. Die Beschwerde dagegen ist durch Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Dezember 1983 I B 81/82 (BFHE 139, 501, BStBl II 1984, 206) zurückgewiesen worden.

Der Antragsteller beantragte bei seinem Wohnsitz-FA, dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA), Anpassung - Herabsetzung - der restlichen Einkommensteuervorauszahlungen III und IV/1981 sowie der Einkommensteuervorauszahlungen I und II/1982 auf jeweils null DM mit der Begründung, daß er aus seiner Beteiligung an der B-GmbH & Co. Verlustanteile von 220 000 DM für 1981 und von 177 300 DM für 1982 erwarte. Nachdem das FA zunächst die Vollziehung der Vorauszahlungsbescheide in Höhe von zusammen 128 000 DM ausgesetzt hatte, widerrief es später diese Aussetzung unter Hinweis auf die vom Betriebs-FA abgelehnte gesonderte Feststellung. Über die Beschwerde gegen diesen Widerruf ist noch nicht entschieden.

Während des Verfahrens zur Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen beantragte der Antragsteller beim FG, im Wege der einstweiligen Anordnung die Einkommensteuervorauszahlungen III und IV/1981 sowie I bis IV/1982 zu stunden.

Das FG lehnte den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ab und führte dazu aus:

Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Die behaupteten Verlustanteile ergäben sich lediglich aus Verlustberechnungen der B-GmbH & Co., deren Richtigkeit umstritten sei. Das Vorgehen der B-GmbH & Co. gegen die vom Betriebs-FA abgelehnte gesonderte Feststellung erscheine wenig erfolgversprechend. Überdies handele es sich um einen schwierig zu ermittelnden Sachverhalt im Ausland, bei dem die Feststellungslast letztlich den Antragsteller treffe.

Außerdem gebe es für die Einkommensteuervorauszahlungen III und IV/1982 kein Verfahren zur Hauptsache, weil insoweit kein Herabsetzungsantrag gestellt worden sei. Eine Herabsetzung der Vorauszahlungen für 1982 auf null DM komme auch deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller im zuletzt veranlagten Jahr 1980 ein zu versteuerndes Einkommen von 343 000 DM erzielt habe, während der geltend gemachte Verlust für 1982 nur rd. 177 000 DM betrage.

Ein Anordnungsgrund sei nicht erkennbar.

Mit der Beschwerde wird hiergegen geltend gemacht:

Das FG habe für den Anordnungsanspruch zu Unrecht ein streitiges Rechtsverhältnis hinsichtlich der Einkommensteuervorauszahlungen für III und IV/1982 verneint; beantragt sei, "die Einkommensteuer zu stunden".

Ein Anordnungsgrund sei glaubhaft gemacht, weil die Rechtsauffassung des Betriebs-FA nicht so zweifelsfrei sei, wie das FG angenommen habe; das ergebe sich aus der Rechtsmittelbegründung der B-GmbH & Co. gegen die Ablehnung einer gesonderten Feststellung.

Die Steuerzahlung sei dem Antragsteller nicht zuzumuten, weil sie nur aus Krediten zu finanzieren sei, da die eigenen Mittel des Antragstellers wegen eines Wohnhausbaus erschöpft seien.

Das FA beantragt Zurückweisung der Beschwerde.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG hat den Erlaß einer einstweiligen Anordnung in Form einer Stundung von Einkommensteuervorauszahlungen zu Recht abgelehnt. Die besonderen Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht erfüllt.

1. Gegen die Ablehnung der Herabsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen kann vorläufiger Rechtsschutz durch eine einstweilige Anordnung in Gestalt einer einstweiligen Stundung gewährt werden (BFH-Beschluß vom 10. April 1975 I B 7/75, BFHE 116, 83, BStBl II 1975, 778). Erforderlich für eine einstweilige Anordnung ist, daß neben den allgemeinen Prozeßvoraussetzungen die besonderen Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO (Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund) dargelegt und glaubhaft gemacht sind (BFH-Beschlüsse vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233; BFHE 139, 501, BStBl II 1984, 206). Es stellt keinen Verfassungsverstoß dar, wenn für eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO die Erfüllung schärferer Voraussetzungen verlangt wird als für eine Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 2. März 1984 1 BvR 255/84 - nicht veröffentlicht -).

2. Das FG hat eine einstweilige Regelungsanordnung hinsichtlich der Herabsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen nicht erlassen, weil es den behaupteten Anspruch auf Anpassung der Vorauszahlungen als nicht glaubhaft gemacht angesehen und damit das Fehlen eines Anordnungsanspruchs angenommen hat. Darauf und auf die Begründung des FG braucht der Senat nicht einzugehen. Das Rechtsmittel des Antragstellers hat schon deshalb keinen Erfolg, weil es - unabhängig von dem behaupteten Anordnungsanspruch - an den weiteren Voraussetzungen des Anordnungsverfahrens (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO), nämlich dem Anordnungsgrund, fehlt. Ein solcher läßt sich weder den erkennbaren Umständen des Streitfalles noch dem tatsächlichen Vorbringen des Antragstellers entnehmen.

a) Der Anordnungsgrund i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO wird nicht bestimmt oder mitbestimmt durch das Maß der Erfolgsaussichten des Anordnungsanspruchs. Deshalb ist für den Anordnungsgrund eine Vorausbeurteilung des Anordnungsanspruchs in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ohne Bedeutung (Beschluß in BFHE 139, 501, BStBl II 1984, 206). Ein Anordnungsgrund i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ist nur dann gegeben, wenn die Regelung "um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint". Das Verfahren der einstweiligen Anordnung muß auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben (BFH-Beschluß vom 13. Juni 1975 VI B 22/75, BFHE 116, 106, BStBl II 1975, 717). Die für eine vorläufige Anordnung sprechenden Gründe müssen so schwerwiegend sein, daß sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (Beschluß in BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233, m. w. N.). Diesen Anordnungsgründen genügen bloße Rechtsbenachteiligungen, wie sie von der Ablehnung der Herabsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen ausgehen, nicht. Sollen die Folgen einer solchen Ablehnung bei dem Betroffenen berücksichtigt werden, dann ist ein Anordnungsgrund nur gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung einer Herabsetzung der Vorauszahlungen unmittelbar und ausschließlich bedroht ist. Umstände wie die Bezahlung von Steuern, auch wenn sie möglicherweise nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu erstatten wären, eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme oder Veräußerung von Vermögenswerten, ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards sind, für sich allein gesehen, keine Anordnungsgründe. Sie sind es insbesondere dann nicht, wenn die Bezahlung von Steuern eine Folge aus der freien Wahl einer bestimmten Unternehmensform mit hoher Kapitalbeteiligung ist.

b) Ein Anordnungsgrund ist nach § 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung glaubhaft zu machen. Dazu genügt es nicht, daß er nach schlüssiger Darlegung als möglich erscheint; es müssen vielmehr die Tatsachen, die den Anordnungsgrund ergeben, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen (Beschluß in BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233, m. w. N.)

c) Im Streitfall wurde ein Anordnungsgrund weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Schon nach den Feststellungen des FG sind besondere Nachteile, die sich für den Antragsteller aus der Entrichtung der Einkommensteuervorauszahlungen ergeben könnten, weder vorgetragen noch in Anbetracht des hohen Einkommens ersichtlich. Im Beschwerdeverfahren haben sich dazu keine neuen Gesichtspunkte ergeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74798

BStBl II 1984, 492

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