Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Wiedereinsetzung bei Verspätung wegen unvollständiger Anschrift

 

Leitsatz (NV)

Mit dem Transport einer Fristsache innerhalb der regelmäßigen Postlaufzeiten kann nur dann gerechnet werden, wenn die Sendung mit der vollständigen und richtigen Anschrift des Empfängers versehen wird. Dies ist nicht der Fall, wenn sowohl die Angabe des Zustellpostamtes als auch die des Postfachs des BFH fehlen und der Brief deshalb zunächst dem Ermittlungsdienst der Münchener Postanstalten zugeleitet werden muß.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hatte die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) wegen Gewerbesteuermeßbetrag 1975 bis 1978 abgewiesen.

Das Urteil des FG vom 27. September 1984 wurde dem Kläger am 30. Oktober 1984 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 26. November 1984 legte der Kläger gegen dieses Urteil Revision ein.

Auf die Anträge des Steuerberaters Z vom 19. Dezember 1984 und vom 18. Januar 1985 verlängerte der Vorsitzende des erkennenden Senats die Frist zur Begründung der Revision bis zum 28. Februar 1985.

Mit Schriftsatz vom 26. Februar 1985 - beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 4. März 1985 - beantragten die Prozeßbevollmächtigten des Klägers, die Revisionsbegründungsfrist erneut um vier Wochen zu verlängern. Der Schriftsatz vom 26. Februar 1985 trägt die Anschrift ,,An den Bundesfinanzhof Postfach 8000 München"; Er wurde in einem Fensterumschlag übersandt. Auf dem Umschlag ist handschriftlich das Zustellpostamt ,,86" angegeben.

Auf den Hinweis des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 5. März 1985, daß die Revisionsbegründungsfrist bereits am 28. Februar 1985 abgelaufen sei und dem am 4. März 1985 eingegangenen Antrag auf Fristverlängerung deshalb nicht stattgegeben werden könne, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 21. März 1985 - beim BFH eingegangen am 22. März 1985 - die Revision begründet und zugleich wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Schriftsatz vom 26. Februar 1985 sei von dem Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt A verfaßt und - wie durch dessen eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht werde - von ihm am selben Tag gegen 18.00 Uhr in einen Postbriefkasten in unmittelbarer Nähe der Anwaltskanzlei in Dortmund 1 eingeworfen worden. Die Leerung des mit einem roten Punkt versehenen Briefkastens habe um 20.30 Uhr angestanden. Unter Berücksichtigung einer normalen Postlaufzeit habe der Schriftsatz bis zum 28. Februar 1985 beim BFH eingehen müssen.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Gewerbesteuermeßbescheid 1977 aufzuheben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Der Vorsitzende des erkennenden Senats hat eine Auskunft der Deutschen Bundespost darüber eingeholt, ob die Briefsendung vom 26. Februar 1985 bei normalem Postlauf den BFH bis zum 28. Februar 1985, 24.00 Uhr erreicht hätte.

Mit Schreiben vom 20. Mai 1985 teilte die Deutsche Bundespost (Postamt München 2) mit, eine Briefsendung, die am 26. Februar 1985 gegen 18.00 Uhr in Dortmund eingeliefert werde, könne bei genauer Postanschrift den Empfänger in aller Regel bis spätestens 28. Februar 1985, 24.00 Uhr erreichen. Sendungen ohne Angabe des Zustellamts müßten mehrere Verteilungsvorgänge durchlaufen und könnten deshalb nur mit Verzögerung ausgeliefert werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Der Kläger hat die verlängerte Revisionsbegründungsfrist nicht gewahrt. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Da das angefochtene Urteil des FG dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 30. Oktober 1984 zugestellt worden ist, endete die Revisionsfrist am 30. November 1984. Die sich daran anschließende Revisionsbegründungsfrist endete am 31. Dezember 1984, da der 30. Dezember 1984 auf einen Sonntag fiel. Sie wurde auf den rechtzeitig gestellten Antrag des Klägers bis zum 28. Februar 1985 verlängert.

Der Antrag auf Gewährung einer weiteren Fristverlängerung ist unstreitig erst am 4. März 1985 beim BFH eingegangen und damit verspätet.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann nicht gewährt werden. Denn der Kläger war nicht i. S. des § 56 Abs. 1 FGO ohne Verschulden verhindert, die versäumte Frist einzuhalten. Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten steht dabei dem Verschulden der Partei gleich (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).

Zwar kann davon ausgegangen werden, daß der mit Schriftsatz vom 26. Februar 1985 gestellte Antrag auf (erneute) Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist unter normalen Umständen am 28. Februar 1985 beim BFH eingegangen wäre. Der 28. Februar 1985 war jedoch der Tag des Fristablaufs. Unter diesen Umständen konnte der Prozeßbevollmächtigte nur dann mit einem fristgerechten Eingang seines Schriftsatzes und der Gewährung einer weiteren Fristverlängerung rechnen, wenn der Schriftsatz mit der vollständigen und richtigen Anschrift des Empfängers versehen war (BFH-Urteil vom 16. Oktober 1970 III R 10/70, BFHE 101, 32, BStBl II 1971, 240; Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 24. November 1970 - 1 AZR 271/70 -, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1971, 1054). Der Prozeßbevollmächtigte hätte sich deshalb bei der Unterzeichnung des Schriftsatzes davon überzeugen müssen, daß dieser zutreffend und vollständig hinsichtlich des angegangenen Gerichts adressiert war. Dies gilt insbesondere dann, wenn in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten üblicherweise Fensterumschläge verwendet werden, die Adressierung des Schriftsatzes also zugleich die des Briefumschlags ist.

Im Streitfall fehlte nicht nur die Angabe des Zustellamtes, sondern auch die des Postfachs des BFH. Bei einer derart unvollständigen Adressierung konnte der Prozeßbevollmächtigte angesichts der Vielzahl von Behörden und Gerichten in einer Großstadt wie München, deren Gebiet zudem noch unter zahlreiche Zustellämter aufgeteilt ist, nicht damit rechnen, daß der Schriftsatz vom 26. Februar 1985 den BFH innerhalb normaler Postlaufzeit (hier bis zum 28. Februar 1985) erreichen werde. Zwar ist auf dem Briefumschlag handschriftlich das Zustellpostamt angegeben. Diese handschriftliche Hinzufügung rührt aber offenbar nicht von dem Prozeßbevollmächtigten A her, der die Aufgabe des Briefes selbst besorgt hat, sondern von einem Bediensteten des Ermittlungsdienstes der Münchener Postanstalten. Die Einschaltung des Ermittlungsdienstes der Post bedeutet jedoch zwangsläufig eine Verzögerung der Postzustellung. Diese ist nicht auf den Postbetrieb, sondern auf die mangelhafte Adressierung durch den Absender und damit auf dessen Verschulden zurückzuführen. Dieses Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten muß der Kläger - wie oben erwähnt - gegen sich gelten lassen (Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 9. Oktober 1980 VII ZB 17/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1982, 30).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414328

BFH/NV 1987, 648

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