Entscheidungsstichwort (Thema)

Ernstliche Zweifel hinsichtlich der Feststellungsverjährung

 

Leitsatz (NV)

Die Aussetzung der Vollziehung eines Feststellungsbescheides kann geboten sein, wenn zweifelhaft und im summarischen Verfahren nicht abschließend aufklärbar ist, ob die Feststellungsfrist wegen Steuerhinterziehung gewahrt ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 181 Abs. 1 S. 1, § 169 Abs. 2 S. 2, § 361 Abs. 2; FGO § 69 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) waren zusammen mit anderen an einer Bauherrengemeinschaft beteiligt, die ein Mehrfamilienhaus mit Eigentumswohnungen errichtete. Treuhänderin war die X Treuhand-AG (X), die die Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für die Streitjahre 1978 und 1979 einreichte und sich darin als Empfangsbevollmächtigte bezeichnete. Das Gebäude war 1979 fertiggestellt; damit endete die Bauherrengemeinschaft. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) stellte 1982 die Überschüsse der Werbungskosten über die Einnahmen für die Bauherrengemeinschaft für die Streitjahre im wesentlichen erklärungsgemäß gesondert und einheitlich fest. Nach einer Prüfung durch die Steuerfahndungsstelle, bei der sich ergab, daß die Antragsteller schon in den Streitjahren die Absicht gehabt hatten, die Eigentumswohnungen zu verkaufen oder Rückkaufangebote erhalten hatten, änderte das FA die Feststellungsbescheide für die Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 173 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und berücksichtigte mangels Einkünfteerzielungsabsicht keine Werbungskostenüberschüsse. Es gab den Änderungssammelbescheid im Januar 1992 der X bekannt. Dagegen erhoben die Antragsteller Einspruch und beantragten Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Feststellungsbescheide mit der Begründung, die Bescheide hätten nicht der X, sondern ihnen persönlich bekanntgegeben werden müssen, weil das Mehrfamilienhaus in Eigentumswohnungen aufgeteilt und diese veräußert worden seien. Die X habe dies dem FA 1981 mitgeteilt. Außerdem hätten die Feststellungsbescheide nicht mehr geändert werden dürfen, weil bei Bekanntgabe der Änderungsbescheide die Feststellungsfrist abgelaufen sei.

Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück. Das FA wies den Einspruch der Antragsteller mit Einspruchsentscheidung vom April 1993, die es dem Prozeßbevollmächtigten der Antragsteller bekanntgab, als unbegründet zurück. Über die Klage ist noch nicht entschieden.

Das Finanzgericht (FG) gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Feststellungsbescheide für die Streitjahre mit der Begründung statt, es sei ernstlich zweifelhaft, ob die angefochtenen Feststellungsbescheide ordnungsgemäß bekanntgegeben und damit wirksam geworden seien. Das FA habe die Feststellungsbescheide nicht mehr der X bekanntgeben dürfen, weil die Bauherrengemeinschaft im Zeitpunkt der Bekanntgabe aufgelöst und dies dem FA bekannt gewesen sei.

Dagegen wendet sich das FA mit seiner Beschwerde.

Das FA beantragt, den angefochtenen Beschluß des FG aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurückzuweisen.

Die Antragsteller beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen geänderten Feststellungsbescheide bestehen.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Dies ist aufgrund einer summarischen Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen des Feststellungsbescheids zu entscheiden, wobei die Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen nach § 76 FGO so weit gehen muß, daß entschieden werden kann, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Feststellung eines höheren als des festgestellten Werbungskostenüberschusses im Rahmen einer gesonderten und einheitlichen Feststellung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung begehrt wird (Beschluß des Senats vom 30. Januar 1991 IX B 58/89, BFH/NV 1992, 463 m. w. N.).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die Vorentscheidung im Ergebnis als zutreffend.

a) Das FG ist allerdings rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, daß die Bekanntgabe der geänderten Feststellungsbescheide unwirksam sei. Es hat nicht beachtet, daß jedenfalls mit der ordnungsgemäßen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung Mängel der Bekanntgabe des Steuerbescheides bzw. Feststellungsbescheides geheilt sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 25. Januar 1994 VIII R 45/92, BFHE 173, 213, BStBl II 1994, 603, zu 3. a, m. w. N.). Das FG hat es auch versäumt, sich die Vollmacht der Treuhänderin vorlegen zu lassen und den Umfang und die zeitliche Dauer dieser Vollmacht oder Empfangsvollmacht zu prüfen (vgl. dazu den Senatsbeschluß in BFH/NV 1992, 463, und das Urteil vom 7. Februar 1995 IX R 3/93, BFHE 177, 22, BStBl II 1995, 357). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Änderungsbescheide bestehen aber jedenfalls deshalb, weil offen und im summarischen Verfahren nicht aufklärbar ist, ob im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Änderungsbescheide bzw. der Einspruchsentscheidung Feststellungsverjährung eingetreten war. Da jedenfalls die regelmäßige Feststellungsfrist von vier Jahren bei Bekanntgabe der Änderungsbescheide im Januar 1992 abgelaufen war, kommt es voraussichtlich darauf an, ob die Feststellungsfrist gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 wegen Steuerhinterziehung auf zehn Jahre verlängert war. Die Frage, ob sich die Antragsteller einer Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben, indem sie dem FA verschwiegen, daß sie Verkaufsabsicht hatten oder ein Rückkaufangebot erhalten hatten, ist zweifelhaft und läßt sich im summarischen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nicht abschließend klären.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420850

BFH/NV 1996, 104

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