Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO

 

Leitsatz (NV)

Voraussetzung für eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO ist grundsätzlich, daß der Rechtsstreit, dessen Entscheidung vorgreiflich ist, bei einem anderen Gericht anhängig ist. Nur wenn dem zuständigen Spruchkörper die Kompetenz für die vorgreifliche Entscheidung fehlt, läßt sich die Aussetzung des Verfahrens mit ihren weitreichenden Wirkungen rechtfertigen.

 

Normenkette

FGO §§ 74, 128

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hatte mit Beschlüssen vom 15. Oktober 1993 die Klageverfahren betreffend Gewerbesteuer-Meßbeträge 1981 und 1983 nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt, weil es die Entscheidung über das ebenfalls bei ihm anhängige Verfahren betreffend Gewerbesteuer-Meßbetrag 1980 für vorgreiflich hielt. Mit Schreiben vom 22. August 1994 regte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) an, die Verfahren wieder aufzunehmen. Er werde entsprechende Abhilfebescheide für 1980 wie auch für 1981 bis 1983 erlassen. Durch Beschlüsse vom 22. September 1994 hob daraufhin das FG seine Beschlüsse vom 15. Oktober 1993 auf und führte die Verfahren unter neuen Aktenzeichen fort.

Mit der Beschwerde begehrt der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), die Beschlüsse des FG aufzuheben und die Verfahren unverändert auszusetzen.

Durch die Änderungsbescheide des FA vom 29. September 1994, welche er zum Gegenstand der anhängigen Klageverfahren gemacht habe, sei nur einer der Aussetzungsgründe weggefallen. Im Klageverfahren betreffend Gewerbesteuer-Meßbetrag 1980 werde eine Rückstellung für drohende Verluste geltend gemacht. Sollte für 1980 diese Rückstellung zu verneinen sein, so würde 1981 in Höhe desselben Betrages eine Teilwertabschreibung vorzunehmen sein. Im Falle der Anerkennung dieser Teilwertabschreibung ergebe sich für die Folgejahre noch ein verbleibender Verlustvortrag.

Das FA hält die Beschwerden für unzulässig, jedenfalls für unbegründet. Für die Beschwerden fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die einfachere Möglichkeit der Rechtsverwirklichung gewesen wäre, mit neuen Argumenten einen neuen Aussetzungsantrag beim FG zu stellen. Unbegründet seien sie aber jedenfalls deshalb, weil kein Streit über ein vorgreifliches Rechtsverhältnis bei einem anderen Gericht anhängig sei.

Das FG hat den Beschwerden nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerden sind zulässig.

Gegen die Aufhebung eines Beschlusses über die Aussetzung des Verfahrens ist gemäß § 128 Abs. 2 und 1 FGO die Beschwerde statthaft. Entgegen der Auffassung des FA ist auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerden gegeben. Da das FG der Beschwerde abhelfen kann, wenn es sie für begründet hält (§ 130 Abs. 1 FGO), ist nicht erkennbar, weshalb die erneute Antragstellung beim FG gegenüber der Beschwerde das einfachere Verfahren sein soll.

Die Beschwerden sind jedoch unbegründet.

Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei. Der Senat läßt offen, ob die Entscheidung über die geltend gemachte Rückstellung für drohende Verluste im Rechtsstreit über den Gewerbesteuer-Meßbetrag 1980 im Sinne dieser Vorschrift vorgreiflich für die Entscheidung über die Gewerbesteuer-Meßbeträge 1981 und 1983 ist. Eine Aussetzung des Verfahrens kommt jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit betreffend Gewerbesteuer-Meßbetrag 1980 ebenso wie die Verfahren, deren Aussetzung begehrt wird, bei demselben Senat desselben Gerichts anhängig sind. § 74 FGO verlangt -- wie § 148 der Zivilprozeßordnung, welcher Norm die Vorschrift nachgebildet ist --, daß der Rechtsstreit, dessen Entscheidung vorgreiflich ist, bei einem anderen Gericht anhängig ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 74 FGO Tz. 2 c; Zöller, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 148 Rdnr. 6; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 53. Aufl., § 148 Rdnr. 7). Nur wenn dem zuständigen Spruchkörper die Kompetenz für die vorgreifliche Entscheidung fehlt, läßt sich die Aussetzung des Verfahrens mit ihren weitreichenden Wirkungen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., Vor § 74 Rdnr. 4) rechtfertigen.

Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens wie auch deren Aufhebung ist zwar eine Ermessensentscheidung des FG. Für die Frage, ob sich der angefochtene Beschluß des FG als rechtmäßig erweist, kommt es jedoch nicht auf die vom FG gegebene Begründung an. Bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung des FG hat der Senat vielmehr ein eigenes Ermessen auszuüben (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. November 1992 III B 133/91, BFHE 169, 498, BStBl II 1993, 240, m. w. N.). Entscheidend ist, ob der erkennende Senat die Voraussetzungen für die Aufhebung der Aussetzung des Verfahrens für gegeben hält. Dies ist, wie bereits dargelegt, der Fall. Für eine Aussetzung der Verfahren betreffend Gewerbesteuer-Meßbeträge 1981 und 1983 wegen Vorgreiflichkeit des Verfahrens betreffend Gewerbesteuer-Meßbetrag 1980 besteht kein Grund, weil alle Verfahren bei demselben Spruchkörper desselben Gerichts anhängig sind.

Eine Kostenentscheidung entfällt. Durch die Beschwerdeentscheidung ist kein Verfahren i. S. des § 143 Abs. 1 FGO beendet worden (vgl. BFH-Beschluß vom 9. August 1994 X B 26/94, BFHE 174, 498, BStBl II 1994, 803).

 

Fundstellen

BFH/NV 1996, 219

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