Entscheidungsstichwort (Thema)

Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

1. Der auf Anfrage des FA erteilte Rat eines Richters, dessen Meinung entsprechende Änderungbescheide zu erlassen, die dann gerichtlich überprüft werden könnten, läßt -- trotz einer zunächst unbefriedigenden Auswirkung für den Kläger -- eine Parteinahme zu dessen Ungunsten nicht erkennen, sofern ersichtlich war, daß sich der Richter in der Beurteilung der Rechtslage nicht festlegen wollte und es auch nicht getan hat. Festgelegt hätte sich der Richter, wenn er dem FA geraten hätte, die vom Kläger begehrten Änderungsbescheide zu erlassen; denn dann wäre eine gerichtliche Überprüfung der zumindest nicht zweifelsfreien Rechtslage nicht mehr möglich gewesen.

2. Daß der Berichterstatter den Kläger nicht umgehend über den Inhalt eines Gesprächs mit der Sachgebietsleiterin der Rechtsbehelfsstelle in Kenntnis gesetzt hat, rechtfertigt jedenfalls dann nicht die Besorgnis der Befangenheit, wenn das FA dem Kläger mitgeteilt hatte, daß es zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten vor Änderung der Bescheide beim Berichterstatter Rücksprache halten würde.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2

 

Tatbestand

In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) hatten sich die Beteiligten in der Weise geeinigt, "daß es bei der gewinnerhöhenden Auflösung der Rückstellung für die Tantieme gemäß Tz. 21 des Bp-Berichts vom 11. Dezember 1987 verbleibt, während die Gewinnerhöhungen gemäß Tz. 22 bis 25 des Bp-Berichts unter anteiliger Auflösung der Gewerbesteuerrückstellungen rückgängig zu machen sind". Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hatte sich verpflichtet, entsprechende Änderungsbescheide zu erlassen. Beide Beteiligte hatten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Als das FA die Steuerbescheide ändern wollte, stellte es fest, daß der Prüfer die Gewinnerhöhungen gemäß Tz. 23, 24 und 25 in Tz. 27 wieder rückgängig gemacht hatte, so daß der Gewinn des Klägers, Antragstellers und Beschwerdeführers (Kläger) im Ergebnis um die dort aufgeführten Beträge nicht erhöht worden war. Das FA war daher nur zu einer Minderung des Gewinns um die in Tz. 22 aufgeführten Beträge bereit. Der Kläger begehrte unter Hinweis auf den Wortlaut des Protokolls über die mündliche Verhandlung die Herabsetzung des Gewinns auch um die in den Tz. 23 bis 25 genannten Beträge.

Vor Änderung der Bescheide rief die Sachgebietsleiterin der Rechtsbehelfsstelle beim Berichterstatter, Richter am FG X, an, legte die unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten dar und fragte, wie das FA nunmehr verfahren solle. Das FA erließ aufgrund des Gesprächs Änderungsbescheide, in denen es nur die Gewinnerhöhung gemäß Tz. 22 des Betriebsprüfungsberichts rückgängig machte.

Der Kläger beantragte beim FG, das Verfahren fortzusetzen und das FA zu verpflichten, Änderungsbescheide entsprechend der Einigung in der mündlichen Verhandlung zu erlassen. Mit Schriftsatz vom 9. August 1995 wies das FA darauf hin, daß die Änderung der Steuerbescheide zusagegemäß erfolgt sei. Der Schriftsatz wurde dem Kläger mit dem vom Berichterstatter verfügten Zusatz "Wird der Antrag, das Verfahren fortzusetzen, zurückgenommen?" übersandt.

Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 1995 lehnte der Kläger den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das FA habe durch die Sachbearbeiterin der Rechtsbehelfsstelle telefonisch mitgeteilt, daß Änderungsbescheide abweichend vom Wortlaut des Gerichtsprotokolls ergehen würden; dies sei so mit dem Berichterstatter abgesprochen und abgestimmt worden. Dieses Verhalten, insbesondere der dem FA gegebene Rat, von der Zusage abweichende Bescheide zu erteilen, erweckte Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters, zumal dieser es nicht für notwendig erachtet habe, den Kläger über sein Telefongespräch mit dem FA zu informieren. Darauf, daß der Berichterstatter nicht mehr unvoreingenommen entscheiden werde, deute zumindest auch seine Anfrage hin, ob der Antrag, das Verfahren fortzusetzen, zurückgenommen werde.

Der Berichterstatter hat sich dienstlich dahingehend geäußert, daß er der Sachgebietsleiterin der Rechtsbehelfsstelle auf ihre Anfrage geantwortet habe, "daß ich ohne Einsicht in die Akten nicht endgültig Stellung nehmen könne, und geraten, zunächst in ihrem Sinne Änderungsbescheide zu erlassen, die dann überprüft werden könnten. An jenem Telefongespräch habe ich mich, wie ich genau weiß, wegen fehlender Akten nicht in meiner Meinung festgelegt. Die Anfrage wegen der Rücknahme des Antrags auf Verfahrensfortsetzung geschah rein routinemäßig".

Das FG hat -- ohne Mitwirkung des Berichterstatters -- den Befangenheitsantrag des Klägers abgelehnt. Es führt im wesentlichen aus, ausgehend von der dem Kläger bekannten Sach- und Rechtslage, wonach es Sache der Beteiligten sei, den Streit über den Umfang und die Erfüllung der vom FA gegebenen Zusage in dem dafür vorgesehenen Verfahren, nämlich im Wege der (sonstigen) Leistungsklage gemäß §40 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszutragen, ergäben sich bei vernünftiger Betrachtung keine Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung des Berichterstatters. Mit seiner Antwort dem FA gegenüber habe er sich nicht mit der Auslegung des gerichtlichen Protokolls durch das FA vorab identifiziert, sondern mit Blick auf die sich abzeichnende weitere gerichtliche Auseinandersetzung ausdrücklich die spätere Überprüfung der Rechtsansicht des FA dem Gericht vorbehalten. Äußere sich der Berichterstatter auf Anfrage der einen oder der anderen Seite lediglich zu Fragen, die den Fortgang des finanzgerichtlichen Verfahrens bei einem Dissens der Beteiligten über den Umfang ihrer außergerichtlichen Einigung beträfen, und behalte er dabei ausdrücklich die Rechtsschutzprüfung in materiell-rechtlicher Hinsicht dem Gericht vor, so könne jedenfalls unter Berücksichtigung der dienstlichen Äußerung bei Anlegung des geforderten objektiven Maßstabes auch ausgehend vom Standpunkt des Klägers der Eindruck unsachlicher Einstellung oder der Anschein von Willkür nicht entstehen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers. Er trägt im wesentlichen vor, da er auf Erlaß der Änderungsbescheide entsprechend der Zusage in der mündlichen Verhandlung bestanden habe, habe das FA mit dem Berichterstatter die Rechtsfrage erörtert, ob und in welchem Umfang er Anspruch auf Erteilung der zugesagten Änderungsbescheide habe. Die Sachbearbeiterin der Rechtsbehelfsstelle habe seinem Bevollmächtigten telefonisch mitgeteilt, daß die Änderungsbescheide abweichend vom Wortlaut der protokollierten Zusage ergehen würden. Dabei hat sie fast wörtlich gesagt: "Der Kläger hat keine Chance; das sieht Richter X genauso." Richter X habe diese Absprache und Abstimmung in seiner dienstlichen Äußerung nicht ausdrücklich in Abrede gestellt. Der Eindruck der Voreingenommenheit ihm (dem Kläger) gegenüber werde dadurch vervollständigt, daß der Berichterstatter ihn nicht über sein Gespräch mit dem FA unterrichtet habe.

Der Kläger beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und seinem Befangenheitsantrag gegen Richter am FG X stattzugeben.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen.

Das FG hat im Ergebnis zutreffend das Ablehnungsgesuch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.

Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§51 Abs. 1 FGO i. V. m. §42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Es müssen objektive Gründe vorliegen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei ruhiger und vernünftiger Betrachtung befürchten lassen, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber; somit müssen Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder Willkür des Richters gegeben sein (ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. Senatsbeschluß vom 26. Juni 1995 XI B 11/95, BFH/NV 1995, 1083, m. w. N.).

Das Telefongespräch zwischen der Sachgebietsleiterin der Rechtsbehelfsstelle und dem Berichterstatter läßt eine parteiliche und unsachliche Einstellung des Richters nicht erkennen. Eine einseitige Kontaktaufnahme zu einem Prozeßbeteiligten kann zwar geeignet sein, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Es muß sich dabei allerdings um die Erteilung von Hinweisen und Ratschlägen handeln, die den Eindruck einer den Gegner benachteiligenden Einflußnahme auf den Prozeßverlauf erweckt (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 25. April 1991 IV S 14--21/90; IV S 1/91, BFH/NV 1992, 394, und vom 7. September 1994 II B 70/94, BFH/NV 1995, 414). Dies ist im Streitfall zu verneinen. Der auf Anfrage des FA erteilte Rat, dessen Meinung entsprechende Änderungsbescheide zu erlassen, die dann gerichtlich überprüft werden könnten, läßt -- trotz der zunächst unbefriedigenden Auswirkung für den Kläger -- eine Parteinahme zu dessen Ungunsten nicht erkennen; denn -- wie der dienstlichen Äußerung des Berichterstatters zu entnehmen ist -- wollte sich dieser in der Beurteilung der Rechtslage nicht festlegen und hat es auch nicht getan. Festgelegt hätte er sich, wenn er dem FA geraten hätte, die vom Kläger begehrten Änderungsbescheide zu erlassen; denn dann wäre eine gerichtliche Überprüfung der zumindest nicht zweifelsfreien Rechtslage nicht mehr möglich gewesen.

Der Kläger stellt zwar in Abrede, daß sich der Berichterstatter noch kein abschließendes Urteil gebildet habe; er hat seine Behauptung, daß ihm das FA erklärt habe, der Berichterstatter sei derselben Meinung wie das FA, und er (Kläger) habe keine Chance, aber nicht glaubhaft gemacht, obgleich das FA diese Äußerungen bestritten hat (vgl. §51 Abs. 1 FGO i. V. m. §44 Abs. 2 ZPO).

Daß der Berichterstatter den Kläger nicht umgehend über den Inhalt des Gesprächs mit der Sachgebietsleiterin der Rechtsbehelfsstelle in Kenntnis gesetzt hat, rechtfertigt im Streitfall jedenfalls deshalb nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil das FA dem Kläger mitgeteilt hatte, daß es zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten vor Änderung der Bescheide beim Berichterstatter Rücksprache halten würde.

Schließlich ergibt sich auch unter Einbeziehung der Anfrage des Berichterstatters im Rahmen des Schriftsatzaustausches, ob der Antrag, das Verfahren fortzusetzen, zurückgenommen werde, kein Grund, an dessen Unparteilichkeit zu zweifeln. Die Anfrage enthält nicht einmal eine Empfehlung (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 27. September 1994 VIII B 64--76/94, BFH/NV 1995, 526, und vom 12. Dezember 1996 VII B 137/96, BFH/NV 1997, 369, m. w. N.). Der Anfrage lag nach der dienstlichen Äußerung des Berichterstatters auch keine Meinungsbildung zugrunde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66486

BFH/NV 1998, 462

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge