Leitsatz (amtlich)

Ist das Vorverfahren vor dem 1. Januar 1966 abgeschlossen, nicht aber auch das finanzgerichtliche Verfahren, so kann die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO noch ergehen.

 

Normenkette

FGO § 139 Abs. 3 S. 3

 

Tatbestand

Die Antragstellerin legte gegen den Gewinnfeststellungsbescheid Einspruch ein, der durch eine Entscheidung vom 22. Mai 1964 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Durch Urteil vom 29. April 1966 hob das FG die von der Antragstellerin angefochtene Einspruchsentscheidung und den ihr zugrunde liegenden Feststellungsbescheid auf. Die Kosten des Verfahrens legte es je zur Hälfte der Antragstellerin und dem FA auf. Das Urteil ist rechtskräftig.

Die Antragstellerin beantragte mit Schriftsatz vom 10. Januar 1967 (eingegangen am 11. Januar 1967), die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO). Das FG entsprach dem Antrag.

Gegen diesen Beschluß legte das FA Beschwerde ein.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde des FA konnte keinen Erfolg haben.

Der Antrag war zulässig. Der Große Senat des BFH hat inzwischen durch den Beschluß Gr. S. 5-7/66 vom 18. Juli 1967 (BFH 90, 150, BStBl II 1968, 56) entschieden, daß es sich bei der nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO zu treffenden Entscheidung um eine solche innerhalb des Kostenfestsetzungsverfahrens, nicht dagegen um eine Kostenentscheidung handele, daß demnach die Frist des § 109 FGO nicht eingehalten zu werden brauche, der Antrag vielmehr jederzeit gestellt werden könne. Dieser Beschluß wurde auf Anrufung des IV. Senats gefaßt. Er entspricht der Ansicht des Senats im damaligen Vorlagebeschluß, bei der der Senat auch heute verbleibt.

Der Antrag war auch begründet. Der Große Senat sprach in dem weiteren Beschluß Gr. S. 8/66 vom 18. Juli 1967 (BFH 90, 156, BStBl II 1968, 59) aus, daß eine Erstattung von Kosten des im Vorverfahren zugezogenen Bevollmächtigten nicht mehr erfolgen dürfe und daher eine Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht mehr ergehen könne, wenn sowohl das Vorverfahren als auch das finanzgerichtliche Verfahren vor dem 1. Januar 1966 rechtskräftig abgeschlossen waren. Die Frage, ob das auch gilt, wenn zwar das Vorverfahren, nicht aber auch das finanzgerichtliche Verfahren vor dem 1. Januar 1966 abgeschlossen war, ließ er in dem erstgenannten Beschluß Gr. S. 5-7/66 ausdrücklich dahingestellt.

Der erkennende Senat ist der Ansicht, daß die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO noch ergehen kann, wenn das finanzgerichtliche Verfahren noch nach dem 31. Dezember 1965 angedauert hatte. Nach der Vorschrift des § 184 Abs. 1 FGO gilt grundsätzlich für das Verfahren vor den Finanzgerichten ab 1. Januar 1966 neues Recht. Die durch das Gericht zu treffende (§ 143 FGO) Kostenentscheidung bezieht sich grundsätzlich auch auf die Kosten des Vorverfahrens (§ 139 Abs. 1 FGO). Allerdings sind nicht alle Kosten des Vorverfahrens ohne weiteres erstattungsfähig. Soweit es sich um die Kosten der Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistandes handelt, muß das Gericht sie für notwendig erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO). Einzige Voraussetzung (neben der Tatsache der Notwendigkeit der Zuziehung) ist dabei, daß ein Vorverfahren geschwebt hat. Wenn aber nach dem ab 1. Januar 1966 geltenden Verfahrensrecht das Gericht grundsätzlich sowohl über die Kosten des Vorverfahrens als auch über die Erstattungsfähigkeit eines Teiles der dort entstandenen Kosten entscheiden soll, so ist mangels einer in § 184 FGO aufgenommenen Ausnahmevorschrift davon auszugehen, daß das für jedes gerichtliche Verfahren gelten soll, das noch nicht abgeschlossen ist. § 316 Abs. 2 AO a. F. ist, wie auch das FG annahm, durch die FGO außer Kraft gesetzt.

Diese Ansicht des Senats steht in Einklang mit der grundsätzlichen Auffassung des Großen Senats (Gr. S. 8/66), daß die Kostenpflicht und die Kostenerstattungspflicht Ausfluß des bestehenden Prozeßrechtsverhältnisses seien, das mit der Klageerhebung beginne und mit dem Abschluß des Prozesses ende, daß der Erstattungsanspruch mit dem Erlaß der gerichtlichen Kostenentscheidung entstehe und daß das Gericht eine Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO nur treffen könne, wenn die Gebühren und Auslagen unter die gerichtliche Kostenentscheidung fielen, was nach § 139 Abs. 1 FGO grundsätzlich auch für die Kosten des Vorverfahrens einschließlich der Kosten des Bevollmächtigten der Fall sei, nicht jedoch nach dem erst mit Inkrafttreten der FGO außer Kraft getretenen § 316 Abs. 2 AO a. F.

Auch andere Senate des BFH haben, ohne die Frage ausdrücklich zu erörtern, den Ausspruch nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO offenbar für möglich gehalten, auch wenn das Vorverfahren schon vor dem 1. Januar 1966 abgeschlossen war (vgl. z. B. das Urteil I 26/64 vom 25. Oktober 1966, BFH 87, 243, 251, BStBl III 1967, 92, und die unveröffentlichten Beschlüsse III 157/65 vom 14. Oktober 1966, I 62/65 vom 25. Januar 1967; I 222/65 vom 19. Januar 1967 und V 207, 208/63 vom 18. März 1966. In dem Beschluß V B 8/66 vom 1. Dezember 1966 blieb die Frage ausdrücklich dahingestellt). Ebenso entschieden das FG Hamburg, EFG 1966, 424, das FG Nürnberg, EFG 1966, 576, das Niedersächsische FG, EFG 1967, 139, und das Schleswig-Holsteinische FG, EFG 1967, 139.

 

Fundstellen

BStBl II 1968, 278

BFHE 1968, 220

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