Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegfall des Rechtsschutzinteresses für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist als Mißbrauch anzusehen, wenn die vorgebrachten Ablehnungsgründe offensichtlich abwegig sind.

2. Das Rechtsschutzinteresse für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung entfällt jedenfalls in dem Zeitpunkt, in dem das von dem Antragsteller verfolgte Ziel abschließend und endgültig durch Zeitablauf erreicht wird.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1, § 114

 

Tatbestand

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind Erben der im Jahr 1980 verstorbenen A, die Inhaberin der Firma . . . war. Diesen Gewerbebetrieb führten die Antragsteller in fortgesetzter Erbengemeinschaft nach ihrem Vorbringen bis zum 31. Dezember 1983 fort.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) führte seit 1983/1984 eine Außenprüfung durch. Er hatte mehrmals versucht, mit dem Prozeßbevollmächtigten einen Termin zur Schlußbesprechung zu vereinbaren. Im Juni 1986 wurde sodann die Schlußbesprechung auf den 31. Juli 1986 anberaumt. Hiergegen beantragte die Antragstellerin zu 5 beim Finanzgericht (FG), im Wege der einstweiligen Anordnung den Termin zur Schlußbesprechung aufzuheben. Das FA setzte daraufhin den Termin ab. Das FG wies den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in derselben Besetzung wie bei Erlaß der angefochtenen Vorentscheidung mit Beschluß vom 23. Oktober 1986 V 1/86 mit der Begründung zurück, der Antrag sei unzulässig, weil das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin zu 5 für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung weggefallen sei.

Nachdem das FA erfolglos einen neuen Termin auf den 27. Januar 1987 festgesetzt hatte, beraumte es mit Schreiben vom 2. Februar 1987 einen weiteren Termin zur Schlußbesprechung auf den 16. Februar 1987 an. Daraufhin beantragten die Antragsteller, im Wege der einstweiligen Anordnung dem FA zu untersagen, die Schlußbesprechung vom 16. Februar 1987 abzuhalten und die Betriebsprüfung fortzuführen. Gleichzeitig lehnten sie die Richter B, C und D des FG, die den Beschluß vom 23. Oktober 1986 (V 1/86) gefaßt hatten, als befangen ab. Zur Begründung führten die Antragsteller aus, diese Richter hätten bei ihrer Entscheidung in ,,fahrlässiger Weise" die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13. Mai 1986 1 BvR 1542/84 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1986, 1859) übersehen. Sie machten ferner geltend, die Schlußbesprechung bringe für die im Zeitpunkt des Erbfalls minderjährigen Antragsteller zu 3 bis 5 eine Belastung mit sich. Deshalb sei das Ergehen der Steuerbescheide nicht abzuwarten.

Das FG hat den Ablehnungsantrag in der geschäftsplanmäßigen Besetzung, d. h. unter Mitwirkung der abgelehnten Richter, als offensichtlich mißbräuchlich abgewiesen.

Den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat es als unbegründet abgewiesen. Seiner Ansicht nach lagen für die begehrte Regelungsanordnung weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vor.

Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr bisheriges Begehren weiter.

Sie beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben, die Richter B, C und D für befangen zu erklären und die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Das FG hat zu Recht das Ablehnungsgesuch abgewiesen.

a) Für die Ablehnung von Gerichtspersonen sind gemäß § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die §§ 41 bis 49 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sinngemäß anzuwenden. Das Gesetz will mit diesem sehr weitgehenden Ablehnungsrecht die Unparteilichkeit der Rechtspflege sichern.

Gemäß § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Diese Besorgnis ist gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der nach objektiven und vernünftigen Erwägungen vom Standpunkt der Partei aus geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es ausschließlich darauf an, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (Beschluß des BVerfG vom 25. Januar 1972 2 BvA 1/69, Die öffentliche Verwaltung - DöV - 1972, 312). Dagegen ist es nicht Sinn des Instituts der Richterablehnung, den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, auf dem Weg der Richterablehnung sich die Richter nach ihrem Belieben auszusuchen (vgl. Beschluß des Bundesfinanhofs - BFH - vom 10. März 1972 VI B 141/70, BFHE 105, 316, BStBl II 1972, 570). Um zu vermeiden, daß das weitgehende Richterablehnungsrecht sinnwidrig geltend gemacht wird und damit zu einer Erschwerung und Verzögerung der Rechtspflege führt, ist nach der Rechtsprechung eine Richterablehnung, die sich als mißbräuchliche Rechtsausübung erweist, unzulässig. Bei mißbräuchlicher Richterablehnung entscheidet das Gericht in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung, d. h. unter Einschluß des oder der abgelehnten Richter (BFH-Beschlüsse vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638; in BFHE 105, 316, BStBl II 1972, 570).

Nach der in den vorgenannten Entscheidungen dargestellten Rechtsprechung des BVerfG, des Reichsgerichts (RG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) sowie des BFH ist eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit als Mißbrauch anzusehen, wenn die vorgebrachten Ablehnungsgründe offensichtlich abwegig sind.

b) Das FG hat danach den Ablehnungsantrag der Antragsteller ohne Rechtsirrtum als unzulässig angesehen. Da es den Antrag der Antragsteller im Verfahren V 1/86 bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen zurückgewiesen hat, konnte es auf keinen Fall mehr auf die Entscheidung des BVerfG in NJW 1986, 1859 ankommen. Nach diesem Beschluß ist es mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Minderjähriger (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) nicht vereinbar, daß Eltern ihre Kinder kraft elterlicher Vertretungsmacht (§ 1629 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) bei Fortführung eines ererbten Handelsgeschäfts in ungeteilter Erbengemeinschaft finanziell unbegrenzt verpflichten können. Diese Entscheidung betrifft das sachliche Recht. Dem FG war es jedoch deshalb, weil es bereits das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin zu 5 verneint hatte, verwehrt, die materielle Begründetheit des Antrags zu überprüfen. Zu Recht hat das FG in der angefochtenen Vorentscheidung darauf hingewiesen, daß es für die rein prozessuale Frage, ob ein Rechtsschutzinteresse vorliegt, nicht eines Eingehens auf die von der Antragstellerin zu 5 angeführte Entscheidung des BVerfG bedurfte. Die Richter des FG waren nicht deshalb den Antragstellern des vorliegenden Verfahrens voreingenommen, weil sie im Verfahren V 1/86 ein Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin zu 5 verneint hatten.

2. Die Antragsteller haben kein rechtlich schutzwürdiges Interesse mehr an der Weiterverfolgung ihrer weiteren Sachanträge.

a) Das Begehren der Antragsteller, dem FA zu untersagen, am 16. Februar 1987 eine Schlußbesprechung abzuhalten, hat sich mit Ablauf dieses Tages erledigt. Wie die Antragsteller aufgrund einer Anfrage des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 22. Juni 1987 mit Schriftsatz vom 27. Juni 1987 mitgeteilt haben, hat eine Schlußbesprechung nicht stattgefunden. Das von den Antragstellern verfolgte Ziel wurde damit durch Zeitablauf erreicht, und zwar abschließend und endgültig. Damit ist ihr Rechtsschutzbedürfnis an der Weiterverfolgung ihres Antrags im Beschwerdeweg insoweit entfallen.

b) Das gleiche gilt hinsichtlich des Antrags, dem FA die Fortführung der Außenprüfung zu untersagen.

Die Außenprüfung wird durch den schriftlichen Bericht (Prüfungsbericht) abgeschlossen, der gemäß § 202 der Abgabenordnung (AO 1977) über das Ergebnis der Außenprüfung zu ergehen hat (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Rdnr. 1 zu § 202 AO 1977). Nach dem eigenen Vorbringen der Antragsteller in den Schriftsätzen vom 27. Juni 1987 und 13. Juli 1987 hat das FA nicht nur einen Betriebsprüfungsbericht übersandt, sondern auch bereits auf der Grundlage dieses Berichts neue Steuerbescheide erlassen. Das Fehlen der Schlußbesprechung gemäß § 201 AO 1977 hindert den Abschluß der Außenprüfung nicht. Damit wurde auch das weitere von den Antragstellern verfolgte Ziel durch Zeitablauf erreicht, und zwar ebenfalls abschließend und endgültig.

Auf den von den Antragstellern zur Begründung ihrer Beschwerde angeführten Beschluß des BVerfG in NJW 1986, 1859 kommt es auch im Beschwerdeverfahren nicht entscheidend an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415268

BFH/NV 1988, 103

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